Politik

Ampel will Blutspende für Homosexuelle vereinfachen, Bundesärztekammer drängt auf Evidenz

  • Dienstag, 10. Januar 2023
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Berlin – Die Ampelkoalition will die Kriterien für die Blutspende gänzlich diskriminierungsfrei regeln. Die Bundesärztekammer (BÄK) spricht sich dafür aus, diese Entscheidung an medizinisch-wissenschaftliche Evidenz zu knüpfen.

Künftig sollen alle Personen unabhängig von der sexuellen Orientierung und der Ge­schlechtsidentität Blut spenden dürfen. Das sieht ein Änderungsantrag aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

„Die Bewertung des sexuellen Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, hat auf Grundlage des jeweiligen individuellen Risikoverhaltens der spendewilligen Person zu erfolgen. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität dürfen keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein“, heißt es in dem Gesetzentwurf, der das Transfusionsgesetz ändern soll.

Mit der geplanten Gesetzesänderung will der Bund die BÄK verpflichten, die Richtlinie zur Bewertung der Risiken, die zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führen müssen, innerhalb von vier Monaten entsprechend zu ändern.

Zuletzt hatte die BÄK die zugrundeliegende Richtlinie Hämotherapie im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Insitut (PEI) sowie unter Beteiligung von BMG und Robert-Koch-Insititut (RKI) im Jahr 2021 geändert.

Demnach dürfen Männer, die Sex mit Männern haben, nur dann Blut spen­den, wenn sie in den zurückliegen­den vier Monaten keinen Sexualverkehr mit „einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner“ hatten. Bei allen anderen Menschen besteht die viermonatige Sperre dagegen nur bei „häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern“. Vor der Änderung im Jahr 2021 lag die Sperrfrist bei zwölf Monaten.

Die Sperrfrist begründeten der wissenschaftliche Beirat der BÄK, PEI, RKI und das Ministerium damals in einem gemeinsamen Beratungsergebnis damit, dass eine frische Infektion in der sogenannten Fensterphase mit den heutigen Testsystemen nicht in jedem Fall erkannt werden könne.

„Um Diskriminierungen bei der Spenderauswahl zu vermeiden, soll nunmehr das sexuelle Risiko, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, nur auf Grundlage des jeweiligen individuellen Ri­si­koverhaltens der spendewilligen Person ermittelt werden“, heißt es nun in der Begründung des Gesetzes­textes. Gruppenbezogene Ausschluss- oder Rückstellungstatbestände seien insoweit nicht mehr zulässig.

Paul-Ehrlich-Institut soll Regelung übernehmen, falls BÄK die Frist nicht einhält

Sollte die BÄK die Richtlinie innerhalb der vier Monate nicht entsprechend ändern, geht die Zuständigkeit der Änderung einmalig auf das PEI über. Das sieht der Änderungsantrag weiter vor. Die entsprechende vorzuneh­mende Neubewertung der Risiken erfolge in dem Fall durch das PEI im Einvernehmen mit dem RKI, begrün­det das BMG den Vorschlag. Das PEI habe in diesem Fall die geänderte Richtlinie innerhalb von zwei weiteren Monaten bekannt zu machen.

„Ob jemand Blutspender werden kann, ist eine Frage von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ver­steckte Diskriminierung darf es auch bei diesem Thema nicht geben.“ Die Bundesärztekammer müsse „endlich nachvollziehen, was im gesellschaftlichen Leben längst Konsens ist“.

Die BÄK hingegen warnte „vor Bestrebungen der Politik, die Richtlinienkompetenz von der Bundesärztekam­mer auf weisungsgebundene Bundesoberbehörden zu verlagern“. „Die Frage der Zulassung zur Blutspende stellt eine Risikostratifizierung auf der Basis der jeweils aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epide­miologischen Daten dar“, erklärte die BÄK auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes.

„Wenn die politischen Entscheidungsträger bei den Auswahlkriterien für die Blutspende von diesem wissen­schaftlichen Stand abweichen wollen, dann stehen sie auch in der unmittelbaren Verantwortung gegenüber den Menschen, wenn diese zu Schaden kommen.“

Aus Gründen der Sicherheit der Patienten sei evident, dass allein wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten Grundlage von Richtlinien in der Medizin sein dürften, so die BÄK weiter.

Sie wies auch darauf hin, dass sie die Aktualität der Richtlinien gemäß Transfusionsgesetz auf Grundlage der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen und epidemiologischen Datenlage spätestens alle zwei Jahre prüft. Eine Aktualisierung der Richtlinie soll dem Vorstand der Bundesärztekammer im Februar 2023 zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt werden. Diese beinhaltet auch bereits die vom BMG geforderte Neuregelung.

Änderung der Richtlinie längst überfällig

Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus erklärte, die bisherige Regelung sei „nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern auch schlichtweg diskriminierend“. Sie betonte: „Wer Blut spenden möchte, sollte dies auch tun können. Denn die Blutspende rettet Leben.“

Auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Dagmar Schmidt, sagte, dass die bisherige Regelung dis­kriminierend sei. Mit der geplanten Änderung des Transfusionsgesetzes „sorgen wir für die Beseitigung dieser einseitigen Andersbehandlung“, sagte Schmidt. Sie verwies darauf, dass jetzt alle Blutspenden auf HIV und andere übertragbare Krankheiten geprüft würden, „dies gewährleistet auch in Zukunft die höchstmögliche Sicherheit“.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßte die geplante Änderung. Die Reformierung der Blutspen­de­­richtlinie sei längst überfällig. „Es ist falsch, Sexualkontakte zwischen Männern grundsätzlich als Risikover­halten zu definieren: Die Zahlen der Ansteckung mit HIV zeigen, dass auch bei heterosexuellem Sex eine Über­tragung stattfindet“, sagte Alfonso Pantisano, Mitglied im Bundesvorstand des LSVD.

Männer, die Sex mit Männern haben, dürften nicht länger von der Blutspende ausgeschlossen werden, wenn sie nur geschützte Sexualkontakte mit anderen Männern hatten und HIV-negativ seien, so Pantisano.

Das individuelle Risikoverhalten sollte maßgeblich für die Auswahl von Spenderinnen und Spendern ent­scheidend sein, so der LSVD. Eine Sexualanamnese, die sich am individuellen Risiko orientiere, gewährleiste eine höhere Sicherheit der Blutspenden als der bisherige pauschale Ausschluss beziehungsweise Rück­stellung bestimmter „Hochrisikogruppen“.

Die Blutspendeeinschränkungen für Homosexuelle stammen noch aus der Aidskrise. Dahinter stand die Sorge, dass bei homosexuellen Männern das Risiko einer Weitergabe des Virus durch eine Blutspende besonders hoch ist.

In den 1980er-Jahren gab es einen Skandal mit Humanen Immundefizienzvirus (HIV) kontaminierten Blut­produkten. Rund 1.500 Hämophiliepatienten infizierten sich damals mit dem HI-Virus.

Die aktuelle Regelung wird seit langem unter anderem von der Deutschen Aidshilfe als diskriminierend kritisiert. Die Ampelparteien hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Abschaffung verständigt.

cmk/afp

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