Arbeitgeber entfachen Diskussion um Kontaktgebühr in Arztpraxen

Berlin – Braucht es in Deutschland angesichts steigender Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen eine Kontaktgebühr beim Arzt? Die Arbeitgeber sind der Ansicht, dass das ein wirksames Mittel sein kann.
„Wir Arbeitgeber wollen, dass die Krankenversicherungsbeiträge endlich stabil werden“, begründete Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), den Vorstoß im Berlin Playbook-Podcast von Politico.
Das bedeute, es brauche geringere Ausgaben. Eine Kontaktgebühr könne eine stärkere Patientensteuerung herbeiführen, sagte er. Man brauche keine unnützen Arztbesuche, sondern solche, die Kranken helfen würden, gesund zu werden.
Anders als bei der ehemaligen Praxisgebühr, bei der von 2004 bis 2012 beim ersten Arztbesuch im Quartal zehn Euro fällig wurden, würde die Kontaktgebühr bei jedem Besuch anfallen, hieß es im Podcast. „Mir geht es nicht primär um die Einnahmen, sondern darum, Ärzte-Hopping zu begrenzen“, wird Kampeter zitiert.
Der Sozialstaat sei in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes, warnt der BDA-Geschäftsführer: „Der Sozialstaat ist quasi insolvent.“
„Grundsätzlich ist es richtig und notwendig, sich mit dem Thema Patientensteuerung zu beschäftigen. Aber in dem Sinne, die Menschen dorthin zu bringen, wo sie richtigerweise mit ihrem gesundheitlichen Anliegen hingehören“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Grundlage dafür müsse die medizinische Notwendigkeit sein. Natürlich müsse darüber nachgedacht werden, ob diejenigen, die sich partout nicht steuern lassen wollten und die selber in jedem Fall frei wählen wollten, etwa einen etwas höheren Krankenkassentarif leisten müssten.
„Eine Kontaktgebühr je Arztbesuch wäre das, was in vielen Ländern üblich ist, aber jeden Patienten finanziell belasten würde und auch erheblichen Verwaltungsaufwand darstellt“, betonte Gassen. Aus seiner Sicht braucht es eine Praxisgebühr alter Prägung von vor 20 Jahren im neuen Gewand nicht.
„Aber Selbstbeteiligungsmodelle sollten kein Tabu sein. Das Thema Patientensteuerung sollte von der Politik mit uns diskutiert werden. Wir haben Angebote dafür, beispielsweise per digitaler Ersteinschätzung über die 116117“, so Gassen.
Der Hausärzte-Verband wies den Vorstoß ebenfalls zurück. „Dieser Vorschlag der Arbeitgeber ist nicht nur unsozial, sondern auch komplett undurchdacht“, sagte die Verbandsvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth der Rheinischen Post. Chronisch Kranke müssten die Gebühr dann Dutzende Male im Jahr bezahlen.
„Das würde insbesondere sozial Schwache finanziell komplett überfordern“, warnte die Chefin des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Auch würde eine solche Gebühr zwingend notwendige Arztbesuche verhindern. Das könnte schwere gesundheitliche Folgen haben, weil etwa Erkrankungen zu spät behandelt würden oder eine Vorsorgemaßnahme nicht stattfinde.
Alte Leier
Von einer „alten Leier“ sprach der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, im ZDF-Interview. Eine Steuerwirkung habe schon die 2012 abgeschaffte Gebühr nicht gehabt. Vielmehr sei nachweisbar, dass es Patienten gegeben habe, die deshalb viel zu spät einen Arzt aufgesucht hätten.
Auch Bayerns ehemaliger Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) lehnt die Idee ab. Er setzt auf das im Koalitionsvertrag vereinbarte Primärarztsystem. „Wer will, dass die Menschen zuerst zum Hausarzt gehen, erreicht das nicht über Strafzahlungen, sondern über Anreize“, sagte der Politiker dem Münchner Merkur.
Der Sozialverband SoVD hält den Vorstoß für inhaltlich abwegig. „Diese Forderung ist unsolidarisch, weil dadurch besonders chronisch kranke Menschen überdurchschnittlich belastet würden“, sagte die Vorsitzende Michaela Engelmeier.
Menschen mit wenig Geld würden dann auch häufiger auf notwendige Arztbesuche verzichten. „Die Folge: verschleppte oder zu spät behandelte Erkrankungen, die letztlich höhere Kosten verursachen und die Solidargemeinschaft zusätzlich belasten. Hinzu kommt der bürokratische Mehraufwand in den Praxen, der zulasten der Behandlungszeit für Patientinnen und Patienten geht.“
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hält Reformen bei den Sozialversicherungen für dringend nötig, will einer eigens dazu eingesetzten Kommission aber nicht vorgreifen. „Wir werden Reformen machen müssen, gerade bei den Sozialversicherungen, weil die Lohnnebenkosten uns abhauen“, sagte Linnemann am Rande einer Klausurtagung der CDU Rheinland-Pfalz in Mainz. Wo genau etwas geändert werden solle, müsse geschaut werden. „Wir haben eine Kommission eingerichtet, die sich mit diesen Themen beschäftigt.“
Linnemann sagte, er wolle einzelne Punkte nicht herausziehen, aber klar sei, die Sozialversicherungsbeiträge seien zu hoch. „Und das spüren die Arbeitnehmer. Wir haben keine Probleme mit Bruttolöhnen, sondern mit Nettolöhnen, und deswegen müssen wir da 'ran.“
Grundsätzlich müsse Eigenverantwortung wieder gestärkt werden. „Wir werden auch darüber reden, ob die telefonische Krankschreibung so sinnvoll ist oder ob man nicht sagt, wenn man krank ist, muss man zum Arzt gehen“, sagte der CDU-Generalsekretär.
Der Bundesrechnungshof hatte zuletzt in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags vorausgesagt, dass nach einem Rekordwachstum bei den Ausgaben im vergangenen Jahr auch künftig die Einnahmen der Krankenkassen durchgängig unter den Ausgaben bleiben würden. Das jährliche Milliardendefizit hätte „einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 0,3 Beitragssatzpunkten pro Jahr“ zur Folge.
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