Ausgaben der Krankenkassen für Gesundheits-Apps deutlich gestiegen

Berlin – Seit mehr als vier Jahren gibt es in Deutschland Gesundheits-Apps auf Rezept. Doch die Krankenkassen haben heute eine kritische Bilanz gezogen. Viele der digitalen Helfer erfüllten die Erwartungen auf eine verbesserte Gesundheitsversorgung nicht, hieß es. Zudem seien viele stark überteuert.
Wie der GKV-Spitzenverband mitteilte, stiegen die Ausgaben der Krankenkassen für Gesundheits-Apps auf Rezept deutlich an. Vom 1. September 2020 bis 31. Dezember 2024 wurden 861.000 Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in Anspruch genommen. Die Kassen haben dafür 234 Millionen Euro gezahlt. Allein im Zeitraum 2023 bis 2024 stiegen die Ausgaben auf 110 Millionen Euro und damit um 71 Prozent.
Die Steigerung erklärt sich dem Bericht der Kassen zufolge nicht nur durch die wachsende Zahl von Verordnungen, sondern auch durch deutlich höhere Preise: Lag der Durchschnittspreis für eine App 2020 noch bei 411 Euro, waren es 2024 541 Euro. Das ist eine Zunahme um 32 Prozent. Der höchste Preis liegt derzeit bei 2.077 Euro für eine App gegen Multiple Sklerose.
Trotz der hohen Preise ist der Nutzen der digitalen Anwendungen aus Sicht der Krankenkassen oft fraglich: Von den bisher 68 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommenen Apps konnte laut Krankenkassen lediglich bei zwölf Apps der Nutzen von Anfang an durch Studien nachgewiesen werden. Bei den 56 zur Erprobung aufgenommenen Anwendungen konnten bisher nur für jede zweite App die versprochenen Effekte nachgewiesen werden.
Die Hersteller von Apps auf Rezept können nach der geltenden Rechtslage in einem „Erprobungsjahr“ den Preis unabhängig vom nachgewiesenen Nutzen frei festlegen. Erst ab dem zweiten Jahr muss die Wirksamkeit durch Studien belegt werden, woraufhin die endgültigen Preise zwischen Kassen und Herstellern verhandelt werden.
Die Krankenkassen werfen den Herstellern vor, die Preise hochzutreiben. „Die Unternehmen nutzen das gesetzlich festgelegte Recht auf einen beliebig hohen Preis im ersten und teilweise auch im zweiten Jahr voll aus“, sagte Verbandsvize Stefanie Stoff-Ahnis.
„Die vom Gesetzgeber gewollte Preisgestaltung bei DiGA hat mittlerweile jede Bodenhaftung verloren.“ Sie sprach von „Fantasiepreisen“, die selbst dann gezahlt werden müssten, wenn der Nutzen der Anwendung nicht nachgewiesen sei.
„Dieser Zwang zur Wirtschaftsförderung auf Kosten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gehört beendet“, forderte sie. Dass Apps ohne Nutzennachweis verordnet werden dürften, mache die Patientinnen und Patienten zu „Versuchskaninchen“. Sie forderte Gesetzesänderungen: Es dürften nur Produkte bezahlt werden, deren Nutzen, Qualität und medizinische Notwendigkeit hinreichend nachgewiesen seien.
„Nach wie vor schöpfen DiGA ihr ohne Zweifel vorhandenes Potenzial für eine bessere Versorgung bei Weitem nicht aus“, fügte sie hinzu. Zwar sei positiv anzumerken, dass immer mehr Digitale Gesundheitsanwendungen, die vorläufig aufgenommen wurden, nach ihrer Erprobungsphase den Sprung in die dauerhafte Aufnahme geschafft hätten. „Aber der Anteil von Anwendungen, die zunächst ohne einen nachgewiesenen Nutzen auf die Smartphones und Tablets der Patientinnen und Patienten gelangen, ist mit über 80 Prozent unverändert hoch.“
Kritik an der Darstellung des GKV-Spitzenverbands kommt vom Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV). Er wirft der Kassenseite vor, „einvernehmlich geschlossene Vereinbarungen“ zu ignorieren. Darüber hinaus weise der Report „gravierende inhaltliche wie qualitative Mängel auf“.
Haltlos seien etwa die Behauptungen des GKV-Spitzenverbands zur Preisbildung und zur Leistungsvergütung sowie zur Evidenz und Therapiefreiheit. Der Verband wirft den Kassen vor, an mehreren Stellen im Bericht das Narrativ zu pflegen, dass Hersteller den Preis für DiGA (im ersten Jahr) „beliebig festlegen“ könnten.
„Richtig ist, dass für jede DiGA bereits ab Tag 1 nach der Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis Höchstbeträge (...) gelten, deren Berechnung in der Rahmenvereinbarung (...) geregelt ist. Die Grundlagen der Berechnungslogik hinter den Höchstbeträgen hat der GKV-Spitzenverband mit den Herstellerverbänden selbst verhandelt“, schreibt der SVDGV.
Mit Blick auf das Erprobungsjahr vermittele der DiGA-Bericht den „irreführenden Eindruck, dass ungeprüfte DiGA, ohne Evidenznachweis, in die Versorgung kommen“. Diese „Unterstellung sei Teil der generellen Evidenz-Diskreditierung, die sich durch den gesamten DiGA-Bericht des GKV-SV“ ziehe, moniert der Digitalverband.
Auch werfe der DiGA-Bericht des GKV-SV den DiGA-Herstellern „fragwürdige Kooperationen“ und „aggressive Vermarktung“ vor und stelle die medizinische Notwendigkeit von DiGA-Verordnungen infrage – insbesondere, wenn sie ohne ärztliche Verordnung im Zuge des Genehmigungswegs von den Versicherten selbst bei ihrer Krankenkasse beantragt worden seien.
Vielmehr habe der Gesetzgeber bewusst einen niederschwelligen Zugang zu DiGA – ohne die Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung – geschaffen, erläutert der SVDGV. Ausschlaggebend sei die gesicherte Diagnose (Indikation), auf deren Basis die Krankenkasse selbst in der Verantwortung zur Prüfung des Leistungsanspruchs stehe.
„Es ist bedauerlich, dass mit dem vierten DiGA-Bericht erneut die Chance versäumt wurde, den Anspruch einer sachlich-neutralen Darstellung der Versorgung mit DiGA bereitzustellen,“ sagte Anna Haas, Vorständin im SVDGV.
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