Politik

BND-Bericht zu Corona-Ursprung: Merkel weist Vorwurf der Vertuschung zurück

  • Donnerstag, 13. März 2025
Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) /picture alliance, Panama Pictures, Christoph Hardt
Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) /picture alliance, Panama Pictures, Christoph Hardt

Berlin – Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Vorwürfen der Vertuschung von Geheimdiensterkenntnissen über den Ursprung des Coronavirus widersprochen. Sie weise diese „ganz grundsätzlich zurück“, teilte eine Sprecherin Merkels dem Tagesspiegel mit.

Merkel sehe sich zudem außerstande, sich zu der Sache selbst zu äußern. Merkels Büro verwies bei „Sachfragen an das Bundeskanzleramt“, weil dort die amtlichen Unterlagen aus der Regierungszeit Merkels lägen und nicht in ihrem heutigem Büro.

Gestern waren Medienberichte veröffentlicht worden, wonach der Bundesnachrichtendienst (BND) einen Laborunfall im chinesischen Wuhan als wahrscheinlichste Ursache der Coronapandemie ansieht. Zu dieser Bewertung kam der deutsche Auslandsgeheimdienst nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und Zeit bereits im Jahr 2020. In Auftrag gegeben wurde die Untersuchung demnach vom Kanzleramt, das die Befunde dann jahrelang unter Verschluss gehalten haben soll. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.

Die BND-Erkenntnisse sollen unter anderem auf Dokumenten und Daten aus dem Institut für Virologie in Wuhan beruhen, über die aber bisher keine Einzelheiten bekannt sind. Noch in Merkels Regierungszeit habe BND-Präsident Bruno Kahl persönlich das Kanzleramt über die nachrichtendienstliche Operation und die Bewertung des Dienstes unterrichtet. Die Laborthese wurde mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 95 Prozent bewertet, wie Zeit und SZ berichteten.

Drosten: Mangels Quelldaten keine Einschätzung möglich

Wie mehrere Medien berichteten, bat das Kanzleramt erst Ende 2024 mehrere deutsche Wissenschaftler, die Indizien des BND zu prüfen. Heute äußerte sich erstmals einer der involvierten Forscher dazu, der Virologe Christian Drosten. Die zusammengefasste Darstellung der Ergebnisse habe ihn zwar beeindruckt, erklärte der Direktor des Instituts für Virologie der Charité in Berlin nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur. Die Quelldaten seien dem Kreis der Wissenschaftler aber nicht zugänglich gemacht worden. „Ich kann daher schon allein mangels Datenzugang kein wissenschaftliches Urteil abgeben.“

Zudem unterlägen alle Mitglieder der Runde einer Geheimhaltungsverpflichtung. Aus Sicht der Wissenschaft und der Öffentlichkeit möge es unbefriedigend sein, keine klare Einschätzung zu bekommen. Aber: „Für eine Auswertung nach wissenschaftlichen Standards müssten die Quelldaten in Gänze verfügbar und veröffentlicht werden, damit die Analysen für andere Wissenschaftler nachvollziehbar und reproduzierbar sind.“ Ohne diese Freigabe seien die mitgeteilten Erkenntnisse auf wissenschaftlicher Ebene nicht verwertbar.

Er selbst habe wie auch andere Forschende und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) immer wieder darauf hingewiesen, dass alle vorliegenden Daten und Informationen zum Virusursprung einer wissenschaftlichen Auswertung zugänglich gemacht werden sollten. Bei der bisherigen öffentlichen Informationslage ergebe sich eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Ursprungs, „und so wurde es auch stets von mir ausgedrückt: Für keine der Herkunftshypothesen gibt es einen Beweis, aber es gibt eine deutliche Gewichtung der Wahrscheinlichkeit“.

Auf die Berichte angesprochen, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Pressetermin im Kanzleramt gestern lediglich: „Was nachrichtendienstliche Erkenntnisse betrifft, ist dies nicht der Ort, darüber zu sprechen.“

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wusste nach eigener Aussage nichts von dem Geheimdienstbericht. „Den kenne ich nur aus der Berichterstattung, und deswegen kann ich den an dieser Stelle auch ohne weitere Kenntnis nicht kommentieren“, sagte Spahn heute den Sendern RTL und ntv. Er könne nur sagen, dass es die Debatte um die so genannte Laborthese bereits vor fünf Jahren gegeben habe.

Spahn wies darauf hin, dass auch ein früherer Befund über den Virusursprung keinen Einfluss auf die Coronamaßnahmen in Deutschland gehabt hätte. „Das Virus war, wie es war und hatte die gesundheitlichen Schäden verursacht, die es verursacht hat.“ Sollten sich die Berichte bewahrheiten, hätte das Folgen für die Außenpolitik und Schutzmaßnahmen in der Forschung, sagte Spahn. „Für die Maßnahmen im Land hätte es aber natürlich keinen Unterschied gemacht.“

China äußert Ablehnung „politischer Manöver“

China hat unterdessen nach Bekanntwerden der Berichte über die BND-Erkenntnisse zu Zurückhaltung aufgerufen. „In der Frage des Coronavirus lehnt China jegliche Form politischer Manöver entschieden ab“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning in Peking. Die Volksrepublik vertrete die Ansicht, dass wissenschaftliche Fragen von Wissenschaftlern beurteilt werden sollten.

Die chinesische Außenamtssprecherin verwies auf eine Expertengruppe der WHO, die in Wuhan mit Forschern relevanter Laboratorien gesprochen habe. Diese sei zu dem Schluss gelangt, dass ein Durchsickern des Virus von dort „höchst unwahrscheinlich“ gewesen sei, erklärte Mao.

Allerdings betont die WHO seit vier Jahren, dass alle Hypothesen zum Ursprung von SARS-CoV-2 weiter auf dem Tisch liegen. Die Untersuchung 2021 sei nur der Anfang, nicht das Ende gewesen. Die WHO hat China erst Ende Dezember 2024 wieder aufgerufen, „Daten und Zugang zur Verfügung zu stellen, damit wir die Ursprünge von COVID-19 verstehen können. Dies ist ein moralisches und wissenschaftliches Gebot.“

Parlamentarisches Kontrollgremium will informiert werden

Überrascht wurden von den Berichten auch die Mitglieder des für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestages. „Es gibt leider ein grundsätzliches Problem: Rund 80 Prozent aller Skandale, Pannen und hochbrisanten Vorgänge erfahren wir nicht in den zuständigen Gremien, sondern über die Medien“, kritisiert Linken-Politiker André Hahn, der dem PKGr bis Ende 2023 angehörte. „Das ist in den letzten Jahren etwas besser geworden“, räumte er ein.

Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Das Thema Corona stand nicht im Zentrum unserer Tätigkeit.“ Fragen zum Ursprung des Virus habe man eher im Gesundheitsausschuss verortet. „Wenn die Bundesregierung dazu nachrichtendienstliche Erkenntnisse hatte, dann wäre sie aber verpflichtet gewesen, das PKGr zu informieren. Ob sie diese dann zusätzlich auch öffentlich macht, das steht auf einem anderen Blatt.“

Der PKGr-Vorsitzende, Konstantin von Notz, begrüßte generell, „dass sich auch der Bundesnachrichtendienst intensiv mit der Frage nach dem Ursprung des Coronavirus beschäftigt“. Die Bundesregierung und die Nachrichtendienste müssten dazu in den kommenden Tagen in den dafür vorgesehenen Gremien umfassend berichten, auch über die Zeitabläufe und zur Frage, wer was wann wusste.

afp/dpa

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