Breite Front gegen vertrauliche Erstattungspreise im Bundesgesundheitsausschuss

Berlin – Die Pläne der Bundesregierung, vertrauliche Erstattungspreise zu ermöglichen, trafen heute im Bundesgesundheitsausschuss auf breiten Widerstand. Lediglich die Pharmaverbände sprachen sich für sie aus, während die gesetzliche Krankenversicherung mit Zusatzbelastungen in Milliardenhöhe rechnet.
Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die pharmazeutische Forschung und Entwicklung in Deutschland stärken, indem sie unter anderem Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht. Die heutige Anhörung im Bundesgesundheitsausschuss war aber geprägt von einem eigentlich nicht zentralen Aspekt des Gesetzentwurfs: der Option für pharmazeutische Unternehmen, bei neuen Wirkstoffen vertrauliche Erstattungspreise zu vereinbaren.
Während das Gesetz selbst größtenteils auf Zustimmung traf – vor allem Pläne wie die Einführung von Mustervertragsklauseln bei klinischen Studien und Vereinfachungen bei den Strahlenschutzvorgaben – kritisierten die meisten Verbände und Sachverständigen die geplante Einführung einer zur „Spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren“ umdeklarierten Bundesethikkommission sowie besagte Erstattungspreisregelungen.
Würden 25 Prozent aller Erstattungspreisverhandlungen der Vertraulichkeit unterliegen, so würde das nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbands in den kommenden zehn Jahren bis zu 8,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Belastungen für die Beitragszahlenden verursachen, erklärte dessen Leiterin des Referats AMNOG-Erstattungsbetragsverhandlungen, Anja Tebinka-Olrich.
Würden alle Verhandlungen vertraulich geführt, sei im selben Zeitraum mit bis zu 36 Milliarden Euro zu rechnen. Das seien Größenordnungen, die zu Beitragssteigerungen führen könnten.
Nach Auffassung der Professorin für Regulierung in Recht, Medizin und Technologie der Universität Zürich, Kerstin Noëlle Vokinger, sind das keine unrealistischen Szenarien. „Die geheimen Preise sind eine Initiative der Industrie und bringen keinen Nutzen in der Versorgung“, kritisierte sie.
Studien aus anderen Gesundheitssystemen würden belegen, dass Unternehmen in vertraulichen Erstattungsbetragsverhandlungen regelhaft mit höheren Preisen einsteigen würden und die Verhandlungen länger dauerten. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spreche sich gegen sie aus.
Der Verweis von Befürwortern, dass andere Gesundheitssysteme ebenfalls mit vertraulichen Erstattungspreisen arbeiten würden und Deutschland mit seiner vollen Preistransparenz in Europa allein sei, greife dabei ebenfalls nicht, betonte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.
Denn die Pläne im MFG würden vorsehen, nur einen Teil des Systems zu ändern: Anders als andere europäische Länder kenne Deutschland bei der Erstattungsfähigkeit nämlich keine vierte Hürde wie Kosteneffizienz. „Geheimpreise ohne jede wirtschaftliche Steuerung führen in die Überforderung der Krankenkassen“, warnte sie.
Zudem sei das Vorhaben „zutiefst uneuropäisch“, da seine Logik sei, die Referenzwirkung des deutschen Marktes mit ihr auszuhebeln. Das würde zwangsläufig zu höheren Preisen in anderen europäischen Ländern führen und damit wiederum zu einer schlechteren Verfügbarkeit neuer Arzneimittel in den dortigen Gesundheitssystemen. Hierzulande würde die Regelung zu einem erheblichen Mehraufwand an Bürokratie führen, da es regelhaft zu einer Überzahlung käme, die dann ausgeglichen werden müsse.
Außerdem sei ohnehin zu bezweifeln, dass die Vertraulichkeit der der Erstattungspreise überhaupt gewährleistet werden könnte, erklärte der Vorstandsvorsitzende des BKK-Dachverbands, Franz Knieps.
In seiner Zeit als Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, gesetzliche Krankenversicherung, Pflegeversicherung im Bundesgesundheitsministerium sei er auch für Arzneimittel zuständig gewesen und in diesem Zusammenhang oft mit der Situation konfrontiert gewesen, dass andere Länder mit vertraulichen Preisen arbeiten.
Es hätten meist „ein oder zwei Anrufe bei den richtigen Leuten in ausländischen Gesundheitssystemen“ gereicht, um die tatsächliche Erstattungshöhe eines Arzneimittels in Erfahrung zu bringen, erklärte er. Auch er betonte, dass er die Pläne angesichts der Referenzwirkung des deutschen Marktes „aus europäischer Perspektive für sehr fragwürdig“ halte.
Die Großhändler sprachen sich ebenfalls gegen die Pläne aus. Diese würden nach Berechnungen des Bundesverbands der pharmazeutischen Großhändler (Phagro) durch höhere Einkaufspreise zu Mehrkosten von 3,5 Milliarden Euro führen, erklärte Vorstandsmitglied Thomas Porstner.
Diese Mehrkosten könne der Großhandel aber aufgrund der Preisbindung nicht einfach an weitere Handelsstufen durchreichen. „Von daher fordern wir einen Ausgleich dieser Mehrkosten. Wir können diese Steigerungen nicht an unsere Kunden weitergeben“, sagte er.
Auch Allessandro di Lorenzo aus dem erweiterten Vorstand des Verbands der Arzneimittel-Importeure kritisierte die Pläne deutlich. Das System der Importe diene einer Kostensenkung durch eine Stärkung des Preiswettbewerbs – seien die tatsächlichen Preise im Inland nicht bekannt, werde das System ausgehebelt. „Durch die geplante Regelung läge es künftig in der Entscheidungsgewalt des Herstellers, ob ein Wettbewerb möglich ist oder nicht“, betonte er.
Ebenfalls untauglich sei das Argument der Bundesregierung, dass vertrauliche Erstattungspreise die Verfügbarkeit neuer Arzneimittel steigern könne, die unter transparenten Bedingungen gegebenenfalls gar nicht erst auf dem deutschen Markt eingeführt würden, erklärte der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Thomas Kaiser.
Es gebe überhaupt keine Evidenz dafür, dass das der Fall sei. Ganz im Gegenteil: Deutschland sei das einzige Land in Europa mit voller Preistransparenz und habe gleichzeitig die höchste und schnellste Verfügbarkeit neuer Wirkstoffe.
Auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) reihte sich bei den Gegnern des Vorhabens ein. Das Wirtschaftlichkeitsgebot werde in der ambulanten Versorgung unmöglich durchzusetzen, „wenn in der Lauer-Taxe Fantasiepreise stehen“, erklärte der unparteiische Vorsitzende, Josef Hecken. Damit würde ein zentrales Steuerungsinstrument zur Makulatur.
Befürworter fanden vertrauliche Erstattungspreise lediglich im Verband der forschenden Arzneimittelunternehmen (vfa) und Pharma Deutschland. Sein Verband bewerte den Gesetzentwurf sehr positiv, erklärte vfa-Präsident Han Steutel: „Das ist für uns in Deutschland ein sehr wichtiger Schritt für die forschende Industrie.“ Vertraulichkeit könne helfen, den Marktaustritt von Produkten zu verhindern.
Zusätzlich sei es notwendig, auch bei den Regelungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes nachzusteuern. Die damit eingeführten Leitplanken, die unter anderem dazu führten, dass ein neues Arzneimittel in bestimmten Fällen trotz nachgewiesenen Zusatznutzens nicht mehr als die Vergleichstherapie kosten dürfe, hätten bereits zur Nichtverfügbarkeit neuer Produkte geführt.
So seien bereits fünf neue Arzneimittel – drei Onkologika sowie jeweils eines gegen HIV und Psoriasis – aufgrund der Leitplanken nicht in Deutschland eingeführt worden. „Das macht mir Sorgen“, betonte er. Pharma Deutschland schloss sich den Forderungen, Leitplanken und Kombiabschläge abzuschaffen, an. Nur Arzneimittel, die auch verkauft werden können, würden erforscht.
Auf breiten Widerstand trafen auch die Pläne zur Errichtung einer Bundesethikkommission. Es sei vorgesehen, dass das BMG sowohl ihre Satzung genehmigt als auch ihre Mitglieder ernennt, außerdem sei sie mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an eine weisungsgebundene Bundesoberbehörde angegliedert, die ebenfalls dem BMG unterstellt ist, kritisierte der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen (AKEK), Georg Schmidt.
„Das ist aus meiner Sicht nicht vertretbar“, sagte er und verwies darauf, dass die Deklaration von Helsinki die Unabhängigkeit von Ethikkommissionen verlange. Ein deutscher Sonderweg sei da keine gute Idee. Auch der Geschäftsführer Politik der Bundesärztekammer (BÄK), Ulrich Langenberg, betonte, dass er eine Bundesethikkommission entschieden ablehne: Die Unabhängigkeit sei ein hohes Gut, das man dem Wunsch nach Harmonisierung und Beschleunigung nicht opfern dürfe.
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