Politik

Bund und Länder wollen Infektionsschutz­gesetz nachschärfen

  • Freitag, 9. April 2021
/picture alliance, Christoph Soeder
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Berlin – Überraschende Wende bei der Coronastrategie von Bund und Ländern: Die vor Ostern verein­barte nächste Runde von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder fällt aus. Stattdessen soll im Eilverfahren das Infektionsschutzgesetz nachgeschärft werden, wie die stell­vertre­tende Regierungssprecherin Ulrike Demmer heute in Berlin mitteilte.

Ziel sei es, bundesweit einheitliche Regelungen für Regionen mit hohen Infektionszahlen zu schaffen. Die Änderung solle schon in der kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden. Dessen Sitzung werde von Mittwoch auf Dienstag vorgezogen.

Demmer sagte: „Bund und Länder haben sich heute darauf verständigt, in enger Absprache mit den Bun­destagsfraktionen das Infektionsschutzgesetz zu ergänzen, um nun bundeseinheitlich zu regeln, welche Beschränkungen zu ergreifen sind, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis über 100 liegt.“

Angestrebt werde ein „ganz normales Gesetzgebungsverfahren“, sagte die Sprecherin. Der Entwurf werde vor der Verabschiedung im Kabinett mit den Fraktionen im Bundestag und mit den Ländern besprochen. In der kommenden Woche wird es nach Demmers Angaben gar keine Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mehr geben.

Für den Fall, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region den Wert von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner übersteigt, hatten Bund und Länder bereits Anfang März Regeln vereinbart: Alle Lockerungen der Coronamaßnahmen müssten demnach wieder vollständig zurückgenommen werden. Allerdings hat sich in den vergangenen Wochen vielfach gezeigt, dass diese sogenannte Notbremse nicht angewendet wird. Dies hatte auch Merkel kritisiert.

Verbindlicher Regeln

Offenbar sollen diese Regeln nun im Infektionsschutzgesetz verbindlich festgeschrieben werden. Wie die zusätzlichen Regelungen aussehen könnten, wollte Demmer allerdings nicht sagen. „Das wäre den Ver­handlungen vorgegriffen.“ Sie betonte, dass das Vorgehen in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sei.

Eine Verschiebung der Ministerpräsidentenkonferenz hatte sich zuvor bereits angedeutet. Sie wurde auch durch einen Vorstoß der Spitzen der Koalitionsfraktionen im Bundestag nötig.

Die Fraktionschefs Ralph Brinkhaus (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) sowie CSU-Landesgruppenchef Alex­ander Dobrindt hatte in einem Brief an die Kanzlerin und den MPK-Vorsitzenden, Berlins Regieren­den Bürgermeister Michael Müller (SPD), eine Bundestagsdebatte noch vor der nächsten Bund-Länder-Runde verlangt. Sie hatten dazu eine Regierungserklärung oder eine Debatte im Parlament vorgeschla­gen. Der Bundestag kommt wieder planmäßig vom kommenden Mittwoch bis Freitag zusammen.

Nach Darstellung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lässt sich das Infektionsschutzgesetz in kürzester Zeit ändern. „Es kann schnell gehen, wenn die Beteiligten alle wollen“, sagte der CDU-Politiker am Donnerstagabend im ZDF-„Heute Journal“. Zur Not könne dies sogar in einer einzigen Sitzungswoche passieren.

Warnung von Spahn und Wieler

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat heute eindringlich für konsequente und bundesein­heit­liche Maßnahmen gegen die steigenden Infektionszahlen geworben. „Ich empfehle uns allen, den Parteienstreit – Wahljahr hin oder her – herunterzufahren und uns auf das Wesentliche zu konzen­trie­ren, die Bekämpfung der Pandemie“, sagte er heute bei seiner Freitagspressekonferenz in Berlin.

Spahn betonte, die aktuellen Infektionszahlen seien bereits sehr hoch, spiegelten wegen der Osterfei­er­tage aber womöglich noch nicht einmal das wirkliche Infektionsgeschehen wider. In den Krankenhäu­sern zeige sich, wie ernst die Situation tatsächlich sei.

„Es braucht einen Lockdown, um die aktuelle Welle zu brechen", sagte Spahn. Die Zahl der Infektionen müsse durch die Reduzierung von Kontakten und Mobilität dringend und rasch gesenkt werden, „wenn nötig auch durch nächtliche Ausgangsbeschränkungen“. Alle notwendigen Maßnahmen seien dabei prin­zipiell bereits zwischen Bund und Ländern vereinbart. Sie müssten aber umgesetzt werden.

Er habe den Eindruck, einige würden aktuell die „Umstände“ nicht erkennen, in denen sich Deutschland befinde. Viele Bürger hingegen schätzten „den Ernst der Lage realistisch ein“, sagte Spahn unter Verweis auf Umfragen.

Bislang sei es gelungen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, sagte der Bundesge­sund­heitsminister weiter. Dies dürfe nun nicht doch noch passieren. Das Land müsse „zwei, drei Wochen“ heruntergefahren werden. Das könne auch „eine Brücke“ in eine Phase sein, um mit Tests mehr zu öffnen.

Auch der Präsident des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnte eindringlich vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Die Lage dort sei inzwischen „sehr, sehr ernst“, sagte er bei dem gemeinsamen Auftritt mit Spahn. Die Intensivstationen füllten sich „rasant“, während viele Betten noch mit den Patienten aus der zweiten Coronawelle belegt seien.

Ärzte und Pfleger seien überlastet, sagte Wieler. Jeder habe auch die „Pflicht“, sie vor weiteren Belastun­gen zu schützen. Das Land müsse in einen Lockdown gehen, um die Infektionszahlen wieder zu senken. Es sei bekannt, dass sich diese im exponentiellen Anstieg befänden. Es könne aus seiner Sicht „nicht sein“, dass darüber immer noch diskutiert werde. Alle nötigen Erkenntnisse lägen vor. „Jeden Tag, den wir nicht handeln, verlieren wir Menschenleben.“

In Deutschland wurden innerhalb eines Tages mehr als 25.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus ver­zeichnet. Wie das RKI heute Morgen unter Berufung auf Angaben der Gesundheitsämter mitteilte, wur­den 25.464 Neuansteckungen sowie 296 weitere Todesfälle registriert.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg an und lag heute bei 110,4. Am Vortag hatte sie 105,7 be­tragen. Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb dieser Zeitspanne an. Im Februar war dieser Wert zwischenzeitlich auf unter 60 gefallen.

dpa/afp

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