Bundesgesundheitsministerium richtet Stabsstelle für Enquetekommission ein

Düsseldorf – Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat die Einsetzung der neuen Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie als „überfälligen Schritt“ bezeichnet. „Unser gemeinsames Ziel ist es, aus der COVID-19-Pandemie zu lernen und die richtigen Schlüsse zur besseren Vorbereitung auf zukünftige Pandemien zu ziehen“, sagte sie der Rheinischen Post.
„Wir müssen aus Fehlern lernen, die richtigen Fragen stellen und insbesondere die richtigen Konsequenzen ziehen“, fuhr sie fort. Warken zufolge unterstützt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Arbeit der Kommission inhaltlich und hat dafür eine Stabsstelle eingerichtet.
Auch Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den Schritt. Deutschland sei zwar insgesamt gut durch die Coronapandemie gekommen: Eine Aufarbeitung „aus der politischen Mitte heraus“ sei dennoch wichtig, um das Feld nicht der kleinen Gruppe der Skeptiker zu überlassen.
Die im Juli vom Bundestag eingesetzte Kommission hat gestern ihre Arbeit aufgenommen. Sie soll die Coronapandemie und die dabei getroffenen Entscheidungen umfassend politisch aufarbeiten. Insgesamt besteht sie aus jeweils 14 Abgeordneten der Fraktionen sowie Sachverständigen.
Unter den von den Fraktionen berufenen Sachverständigen ist etwa der Facharzt für Innere Medizin und Pneumologe, Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, viele weitere haben aber keinen medizinischen oder naturwissenschaftlichen Hintergrund. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Pandemie medial besonders im Fokus standen, sind nicht vertreten.
Kritik an fehlender virologischer Perspektive
Der Virologe Jörg Timm vom Universitätsklinikum Düsseldorf, 2. Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie, zeigte sich im Gespräch mit dem NDR „schon etwas überrascht“ darüber, dass die Fraktionen keine Sachverständigen seines Fachs berufen haben.
„Ich denke, die infektiologische oder virologische Expertise, die wäre durchaus wichtig gewesen jetzt bei der Aufarbeitung“, sagte Timm. Er betonte, dass es wichtig sei, damalige Entscheidungen im Lichte des damaligen Wissensstandes zu beleuchten und sehr nah an den Fakten zu bleiben, „damit das nicht zu sehr in das Bauchgefühl abdriftet“.
Maßnahmen wie Schulschließungen seien sicher zu einem hohen Preis gekommen – nach dem Nutzen müsse man aber auch fragen und diesen sachlich bewerten, so Timm weiter. Hierbei habe er etwas Sorge vor einer Verzerrung in der Rückschau. Lehren aus der Coronazeit ließen sich auch nicht zwangsläufig auf eine künftige Pandemie übertragen, mahnte er.
Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta erklärte die Sachverständigenauswahl gestern am Rande der Sitzung mit dem breiten Themenspektrum, das die Kommission zu bearbeiten habe. Zudem könnten Unterarbeitsgruppen der Kommission zusätzliche Sachverständige laden.
Piechotta: Experten mit Sorge vor Anfeindungen
Die Radiologin wies darauf hin, dass es bei manchen wissenschaftlichen Sachverständigen Ängste gebe, Teil der Kommission zu werden: Es gehe um befürchtete Anfeindungen.
Entsprechend hat die Grünen-Fraktion bisher erst einen ihrer zwei möglichen Sachverständigen berufen können, den Soziologen Armin Nassehi. Einen weiteren Namen aus dem Bereich Recht will sie zu einem späteren Zeitpunkt nennen.
Als Herausforderung für die Kommission sieht Piechotta auch die Auseinandersetzung mit der AfD – „ihrer sehr speziellen Sicht auf die Coronapandemie“ und den von der Fraktion berufenen „sehr speziellen Experten“, wie sie im Deutschlandfunk sagte. „Mit denen werden wir auch viel Zeit verbringen, um deren Aussagen dann wieder richtigzustellen, zu widerlegen.“
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte, dass die Interessen hochbetagter, pflegebedürftiger und sterbender Menschen bei der Aufarbeitung keine Rolle spielten. „Das zeigt die Zusammensetzung der Enquetekommission", sagte er der Rheinischen Post.
Brysch zufolge ist es überfällig, dass die Coronamaßnahmen in der Langzeitpflege auf den Prüfstand gestellt werden. Weiter kritisierte er, dass bis heute Anstrengungen fehlten, verbindliche Schutzkonzepte für pandemische Notlagen in der Langzeitpflege zu entwickeln.
Pflegeeinrichtungen dürften „nie wieder zu Hochrisikozonen“ werden. „Der Bund muss endlich aus seinen Versäumnissen in der Coronakrise die richtigen Schlüsse ziehen und sich für den erneuten Ernstfall wappnen“, forderte Brysch.
Piechotta plädiert für eine Bürgerbeteiligung, um etwa Gruppen wie Alleinerziehende, Kinder und Jugendliche und sehr alte Menschen zu hören – und damit auch leisere Stimmen, die in der Pandemie weniger zum Zuge gekommen seien.
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