Bundesgesundheitsministerium will Prävention stärken

Berlin – Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat vier Maßnahmen benannt, mit denen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Prävention in Deutschland stärken will.
„Jeder wünscht sich ein langes, gesundes Leben“, sagte Warken heute auf dem Kongress für Prävention in Berlin. „Die Wirklichkeit sieht aber anders aus.“ Denn bei den gesunden Lebensjahren bleibe Deutschland hinter dem europäischen Durchschnitt zurück.
„Das liegt nicht an der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems“, betonte die Ministerin. „Wer krank ist, kann auf die modernste medizinische Versorgung vertrauen. In Bezug auf die Vermeidung von Krankheiten ist unser Potenzial in Deutschland jedoch noch nicht ausgeschöpft.“
Deshalb plane das BMG, das Präventionsgesetz weiterzuentwickeln. Das Gesetz, das vor zehn Jahren vom Bundestag verabschiedet wurde, legt zum Beispiel bestimmte Ausgabenrichtwerte für die Krankenkassen im Bereich Prävention fest.
„Durch die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes wollen wir erreichen, dass alle Akteure im Gesundheitswesen besser zusammenarbeiten, um dort etwas zu bewirken, wo die Menschen leben, lernen und arbeiten“, sagte Warken.
Dazu gehöre auch ein weiterer Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung in den Unternehmen. Zudem plane das BMG, den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) über das Jahr 2026 hinaus zu verstetigen.
Überall Gesundheit mitdenken
Drittens will die Bundesregierung Warken zufolge die Gesundheitskompetenz der Menschen verbessern. Dafür sei bereits im Jahr 2017 die Allianz für Gesundheitskompetenz gegründet worden.
„Die Spitzenverbände des Gesundheitswesens haben sich dazu verpflichtet, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, einschließlich der digitalen Gesundheitskompetenz“, sagte Warken. Schließlich wolle die Regierung die Gesundheitsförderung gesamtpolitisch im Sinne des Mottos ,Health in all Policies' ausrichten. Gesundheit soll also in allen Bereichen stets mitgedacht werden.
„Dabei geht es unter anderem um Bildung, Ernährung in den Familien und gesunde Lebensverhältnisse“, erklärte Warken. „Mit dem Bundesverkehrsministerium (BMV) befinden wir uns dabei zum Beispiel derzeit in einem Dialog zu aktiver Mobilität.“
Um die Versorgung für alle in Zukunft sicherzustellen, müsse das deutsche Gesundheitssystem insgesamt effizienter werden. „Wenn der Druck auf das System durch das Nichteintreten von Krankheiten sinkt, ist es jede Anstrengung wert, mehr für die Prävention zu tun“, sagte Warken.
Menschliches Leid vermeiden
„Wir begrüßen, dass die Koalition die Gesundheitsförderung zu einem festen Bestandteil ihrer Politik machen möchte“, sagte Iris Hauth, die Vorstandsvorsitzende der Gesundheitsstadt Berlin, die den Kongress ausgerichtet hat.
Es sei richtig, nach dem Prinzip „Health in all Policies“ die Prävention in alle gesellschaftlichen Bereiche einzubeziehen. Das dürfe jedoch keine Floskel sein, sondern müsse zu einem Leitprinzip der Politik werden. Teil der Verhältnisprävention sei es in diesem Zusammenhang, eine höhere Steuer auf Zucker zu erheben.
Hauth betonte, dass viel menschliches Leid reduziert werden könnte, wenn es gelinge, vermeidbare Erkrankungen tatsächlich zu vermeiden: Krebserkrankungen ebenso wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Demenzerkrankungen. „Wir wissen, was wir tun müssen, um gesünder alt zu werden: weniger rauchen insbesondere, mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung“, sagte Hauth.
Um dieses Wissen auch in die Praxis zu bringen, brauche es eine gezielte Präventionskultur und strukturelle Veränderungen im Gesundheitssystem. Trotz Präventionsgesetz sei zu wenig in der Bevölkerung angekommen. Hauth forderte, dass Prävention nicht mehr als Nebensache im Gesundheitswesen betrachtet werden dürfe.
Zu starker Eingriff des Staates gefürchtet
Über die Potenziale der Prävention sprachen gestern Abend auch Tino Sorge, parlamentarischer Staatssekretär im BMG, und Oliver Huizinga, Abteilungsleiter für Prävention im AOK-Bundesverband, bei einer Debatte der Konrad-Adenauer-Stiftung. Inwiefern der Staat in die Lebensführung der Menschen eingreifen solle und wie erfolgreich bereits umgesetzte Maßnahmen seien, darin waren die beiden unterschiedlicher Ansicht.
„In Prävention investiertes Geld ist gut investiertes Geld“, betonte Sorge. Für ihn sei insbesondere ein stärkerer Fokus auf Gesundheitsaufklärung und Primärprävention wichtig. Man müsse vor allem bei den Kleinsten anfangen, sagte Sorge. Kinder müssten in Kita und Schule lernen, dass Bewegung Spaß machen kann. Er setze sich auch für ein Fach Gesundheit ein, in dem Kinder gesunde Ernährung erlernen könnten.
Zudem müsse man etwa bei Alkohol darüber sprechen, dass diejenigen, die die Gesundheitsprobleme verursachen – also die Alkoholindustrie – auch stärker herangezogen werden müssten. „Im Supermarkt ist die Flasche Korn häufig günstiger als eine gute Flasche Saft“, kritisierte Sorge.
Hier müsse man das Anreizsystem anders setzen, so dass die Bevölkerung eher einen gesünderen Lebensstil verfolge. Das dürfe aber nicht nur über den Geldbeutel, sondern müsse auch über eine bessere Gesundheitsaufklärung funktionieren.

Man könne zudem etwa über Jahrespauschalen für Ärztinnen und Ärzte nachdenken, die sich danach richten sollten, wie oft Patienten mit chronischen Erkrankungen in die Praxis kämen. „Je weniger, desto besser ist der Patient eingestellt“, sagte Sorge.
In der Ernährungspolitik gebe es fast keine verbindlichen Vorgaben für die Industrie, kritisierte Huizinga. Es existierten nur Empfehlungen, beispielsweise den Nutri-Score auf freiwilliger Basis zu nutzen. Und die Unternehmen, die es besser machen würden wollen, hätten es im Wettbewerb zu den anderen deutlich schwerer.
Deshalb müsse man das Spielfeld begradigen und andere Voraussetzungen schaffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat hier klare Empfehlungen verfasst, sagte Huizinga. Hier sei die Politik nun in der Pflicht der Umsetzung.
Zu den fehlenden verbindlichen Regeln entgegnete Sorge, dass man dafür in der Vergangenheit keine politischen Mehrheiten bekommen habe. Denn in Gesprächen mit der Industrie werde das Argument Sicherung von Arbeitsplätzen vor Ort häufig angebracht. „Das ist auch eine volkswirtschaftliche Frage“, sagt der CDU-Politiker.
Skepsis bei Erfolg der Zuckerreduktion
An vielen Stellen seien aber schon Erfolge erzielt worden, etwa beim Zucker. Bei einigen Produkten habe sich der Zuckergehalt aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie bereits reduziert, sagte Sorge.
Dies hinterfragte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK).
Das Bündnis habe einen Vergleich der Zuckerreduktion von gesüßten Getränken in Deutschland durch die freiwillige Reduktionsstrategie und Großbritannien mit der Herstellerabgabe durchgeführt. Ergebnis sei, dass in Großbritannien eine Zuckerreduktion von rund 30 Prozent erzielt werden konnte, während es in Deutschland nur rund drei Prozent gewesen seien.
Daraufhin erwiderte Sorge, dass es trotz der einen oder anderen Verbesserung noch zu langsam gehe. Er wies allerdings weiter auf „politische Machbarkeiten“ hin und stellte in den Raum, ob man nicht besser kleine Schritte unternehme oder 100 Prozent fordere und dann gar nichts bekomme. Jetzt müsse man schauen, wie man es künftig besser hinbekomme, betonte er.
Sollte man die Verursacher stärker für das Problem heranziehen können, gebe es weiter das Problem, dass neu gewonnenes Geld nicht im Gesundheitsbereich und in der Forschung landen würde, sagte der CDU-Politiker. „Dann ist es eine falsche Verteilungswirkung.“ Es sei zudem eine grundsätzliche Debatte, wie stark der Staat in die individuelle Lebensführung eingreifen solle.
Man müsse nicht direkt mit Steuern, etwa einer höheren Alkoholsteuer oder einer Zuckersteuer starten, sagte Huizinga. Wirksam wären auch andere Interventionen, wie etwa ein Rauchverbot im Auto im Beisein von Kindern, eine Altersgrenze für Energydrinks oder das Abschaffen des begleiteten Trinkens bei Minderjährigen.
Auch Werbeverbote, etwa bei Alkohol oder zuckerhaltige Produkte, die sich an Kinder richteten, könnten viel bewirken, so Huizinga. Es fehle hier eher an parteipolitischen als an gesellschaftlichen Mehrheiten, sagte er.
Diese Maßnahmen seien nicht so einfach der Bevölkerung zu verkaufen, entgegnete Sorge. Mit Werbeeinnahmen würde häufig auf kommunaler Ebene etwa Breitensport gefördert. Wenn das Geld wegfallen würde, wäre das auch schwierig.
Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Heyo K. Kroemer, betonte heute auf dem Kongress für Prävention in Berlin, dass es angesichts des demografischen Wandels eigentlich keine Alternative zur Prävention gebe. „Wir neigen dazu, den demografischen Wandel weiterhin zu unterschätzen“, sagte Kroemer.
Dabei sei klar, dass die Geburtenrate zwischen 1960 und 1975 um 33 Prozent zurückgegangen sei. Entsprechend weniger Menschen würden künftig im Gesundheitssystem arbeiten. Und entsprechend mehr Menschen würden altersabhängige Erkrankungen wie Demenzen entwickeln.
Dennoch gebe es in Deutschland kein wirkliches Konzept, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Wenn allerdings durch die Prävention zahlreiche Erkrankungen vermieden werden könnten, könne es auf diesem Weg gelingen, die demografische Krise zu beherrschen.
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