Politik

Bundesklinikatlas: Nur 13 Kliniken haben eigene Daten im Vorfeld aktualisiert

  • Donnerstag, 27. Juni 2024
/picture alliance, Soeren Stache
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Berlin – Lediglich 13 Krankenhäuser von den rund 1.700 somatischen Kliniken haben vor dem Start des um­strittenen Bundesklinikatlas eigene Daten im bundesweiten Standortverzeichnis geprüft und aktualisiert. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion CDU/CSU hervor, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Der Bundesklinikatlas soll Transparenz über die Qualität in der Krankenhauslandschaft schaffen und informiert über Fallzahlen bestimmter Leistungen, Pflegepersonalquotienten, Notfallstufen und ausgewählter Zertifikate.

Nach dem Start am 17. Mai hagelte es aber Kritik unter anderem aufgrund falscher Angaben. Rund vier Fünftel der Kliniken waren einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) zufolge von falschen Daten be­troffen. Krankenhäuser, Verbände und die Ärzteschaft bemängelten zudem eine unverständliche, zu komplizier­te Suchfunktion für Laien.

Für die Überprüfung der Daten im Vorfeld hatten die Krankenhäuser allerdings auch nur gut zwei Wochen Zeit, um ihre Aktualisierungen vorzunehmen. So habe das Institut für Qualität im Gesundheitswesen (IQTIG) die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Landeskrankenhausgesellschaften am 15. April 2024 aufge­fordert, einen entsprechenden Aufruf bei den Krankenhäusern zu starten.

Die Frist dieser Überprüfung sei der 30. April 2024 gewesen, schreibt die parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) in dem Antwort­schreiben der Regierung.

Fehlerhafte Daten gab es im Atlas etwa bei der Angabe zu den Notfallstufen. Diese basierten auf Selbstaus­künf­ten der Krankenhäuser in den strukturierten Qualitätsberichten, schreibt Dittmar. „Diese Datenquelle hat sich seit der Veröffentlichung des Bundesklinikatlas in Teilen als unzureichend herausgestellt.“

Insgesamt seien fehlerhafte Angaben, die im Bundesklinikatlas in den vergangenen Wochen gefunden worden sind, „fast ausschließlich auf fehlerhafte Angaben in den strukturierten Qualitätsberichten zurückzuführen“.

Mit unzureichenden Datenquellen kein Register bestücken

„Die Bundesregierung gibt mittlerweile selbst zu, dass der Start des Bundesklinikatlas ein Fehlstart war“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, dem Deutschen Ärzteblatt. „Wer mit unzu­reichenden Datenquellen ein Register bestückt, darf sich nicht über dessen fehlende Aussagekraft wundern. Die verbliebene Schmalspurversion des Atlas als umfassendes Update zu verkaufen, grenzt an vorsätzliche Täuschung“, erklärte Sorge.

Bis zum 5. Juni gab es der Regierungsantwort zufolge 884 Anfragen zum Bundesklinikatlas. Davon waren 346 Anfragen, die auf vermeintlich fehlerhafte Informationen oder Datenaktualisierungen hinwiesen. Rund 69 Pro­zent der Anfragen gingen von Krankenhäusern oder Krankenhausmitarbeitenden aus.

Die Kritik führte zu einem Relaunch am 20. Juni. Seitdem gilt nicht mehr die komplexe Suche nach OPS-Codes und Erkrankungen nach ICD 10/11, sondern die Suche ist auf 20 häufig vorgenommene Eingriffe beschränkt. „Durch die Auswahl der 20 Versorgungsanlässe werden rund 2,5 Millionen Krankenhausfälle abgebildet, was über 15 Prozent der Gesamtfälle ausmacht“, heißt es in dem Antwortschreiben dazu.

Diese Eingriffe können über Kacheln ausgewählt und entsprechende Kliniken miteinander verglichen werden. Sie sollen nach und nach erweitert werden. Zudem sollen künftig weitere Daten, wie etwa Komplikationsraten im Atlas angezeigt werden. Insgesamt hat der Bundesklinikatlas dem Antwortschreiben zufolge bislang rund 275.00 Euro gekostet. Jährlich sind Kosten von rund 250.000 bis 300.000 Euro vorgesehen.

Atlas soll nicht vom Netz genommen werden

Dittmar betont in dem Schreiben weiter, dass nicht geplant sei, den Atlas vom Netz zu nehmen. Entsprechende Forderungen wurden in den vergangenen Wochen von einigen Kritikern laut.

So forderte etwa der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD), den Klinikatlas offline zu stellen. Die Ad-hoc-Kommission Versorgungsstrukturen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medi­zi­nischen Fachgesellschaften (AWMF) forderte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Ende Mai zudem auf, die Webseite als „Beta-Version“, also als Testversion auszuweisen.

Sorge erklärte: „900 Fehlerhinweise allein in den ersten drei Wochen sprechen Bände über die Qualität des Registers, das Karl Lauterbach als Teil seiner Qualitätsoffensive bezeichnet hat. Was der Minister noch im Mai als „übersichtlichen Wegweiser“ mit „verständlichen Informationen“ gepriesen hat, wurde bereits im Juni wegen zu hoher Komplexität für Laien wieder auf ein Minimalmaß geschrumpft.“

Auf einen Probebetrieb im Vorfeld habe man im BMG offenbar bewusst verzichtet. „Lediglich eine Zwei-Wo­chen-Frist wurde den Klinken zur Datenüberprüfung eingeräumt“, sagte Sorge. Bis heute könne die Bundesre­gie­rung nicht genau sagen, ab wann oder ob sie überhaupt mit einem fehlerfreien Betrieb des Atlas rechne.

Auch Sorge forderte: „Bis ein fehlerfreier Betrieb einwandfrei gewährleistet werden kann, muss der Klinikatlas vom Netz. Es herrschte offenbar Profilierungssucht auf Kosten der Patientensicherheit, der Krankenhäuser und der Steuerzahler.“ Sorge zufolge werde es höchste Zeit, dass jemand für den Fehlstart Verantwortung über­nehme.

Kritik am Klinikatlas kam auch von Stephan Pilsinger (CSU). „Mal ganz abgesehen davon, dass der Start des Bundesklinikatlas wegen der vielen falschen Daten und irreführenden Verknüpfungen ein Desaster für die Bundesregierung war, gibt dieses Verzeichnis auch noch ein falsches Bild ab über kleinere Krankenhäuser mit niedrigerem Level“, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt.

Wenn er als Laie das Ergebnis bekomme, bei diesem oder jenem Krankenhaus in einer Region handele es sich „nur“ um ein Level-1-Krankenhaus, suche man doch eher ein Level-2- oder Level-3-Krankenhaus weit weg, weil die ja scheinbar alles gut könnten.

„Dass vielleicht die Behandlungsqualität in dem Level-1-Krankenhaus bei der Leistung, die ich konkret brauche, sehr gut ist, übersehe ich dann. Kleinere Krankenhäuser werden so also systematisch benachteiligt“, betonte er. Er warf Lauterbach Fahrlässigkeit und Irreführung vor und sprach von einer „Form von Staats­versagen“.

BMG-Staatssekretärin Dittmar betonte hingegen in einer Antwort auf eine Frage von Pilsinger, über die Zu­ordnung von Krankenhäusern zu Leveln würden Patienten in nachvollziehbarer Weise über den Umfang des Leistungsangebots und die Verteilung der Leistungsgruppen auf die einzelnen Standorte informiert. „Die Regelung erachtet die Bundesregierung daher als verhältnismäßig.“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte den Bundesklinikatlas zuletzt heute im ZDF-„Morgenma­gazin“ verteidigt. Die neue Version sei jetzt einfach aufgebaut, erklärte er. Mit wenigen Klicks seien je nach Krankheit Informationen zu Kliniken und deren Erfahrung damit abrufbar.

cmk/may

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