Bundesrechnungshof: Lage der Pflegeversicherung ist prekär

Berlin – Der Bundesrechnungshof (BRH) hat die Bundesregierung aufgerufen, Maßnahmen zu treffen, die kurzfristig eine dauerhafte Verbesserung der finanziellen Situation der gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung (SPV) bewirken.
„Diese sollten noch in der laufenden Legislaturperiode ergriffen werden, damit der Fortbestand der SPV gesichert wird“, schreibt der BRH in seinem Bericht zum aktuellen Etat des Bundesgesundheitsministeriums, der in der kommenden Woche im Bundestag beraten wird. Es bestehe weiterhin ein enormer Handlungsdruck.
Um das zu diesem Zeitpunkt bestehende Defizit der SPV auszugleichen, hatte die Bundesregierung zum 1. Juli 2023 die Beitragssätze in der sozialen Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent der Bruttoeinnahmen beziehungsweise auf vier Prozent für Kinderlose angehoben. Auf diese Weise wollte sie das Milliardendefizit ausgleichen, dass die SPV in den Jahren 2021 und 2022 eingefahren hatte.
„Infolge der Beitragssatzerhöhung erzielte die SPV in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2023 einen Überschuss von 2,4 Milliarden Euro“, schreibt der Bundesrechnungshof. „Das Haushaltsjahr schloss sie somit mit einem Einnahmenüberschuss von 1,8 Milliarden Euro ab. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte allerdings einen höheren Überschuss von 2,4 Milliarden Euro erwartet.“
Kein nachhaltiger Einnahmenüberschuss
Auch in der Folge sei der Einnahmenüberschuss nicht so nachhaltig gewesen, wie das BMG gehofft hatte. „Dass sich diese Erwartung nicht erfüllte, dürfte auch dem starken Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen geschuldet sein“, schreibt der BRH. „Im Jahr 2023 erhöhte sich deren Zahl auf 5,2 Millionen. Damit waren erstmals mehr als fünf Millionen Personen pflegebedürftig.
Der GKV-Spitzenverband bezifferte den Zuwachs im vergangenen Jahr auf 361.000 Pflegebedürftige. In den vergangenen Jahren war ein Zuwachs von durchschnittlich 326.000 Pflegebedürftigen pro Jahr zu verzeichnen gewesen. Damit lag im Jahr 2023 der Zuwachs elf Prozent über dem langjährigen Durchschnitt.
Das BMG räumte ein, dass die Gründe für den unerwartet hohen Anstieg noch nicht bekannt seien. Es wolle die Gründe für den Anstieg wissenschaftlich untersuchen lassen.
Im Jahr 2023 sei das BMG noch davon ausgegangen, dass die SPV aufgrund der Beitragssatzerhöhung auch im Jahr 2024 einen Überschuss von mehr als 600 Millionen Euro erzielen werde. Erst für 2025 habe das Ministerium ein Defizit von knapp einer Milliarde Euro erwartet sowie ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro für das Jahr 2026.
„Derzeit hält es das BMG angesichts der voraussichtlich weiter steigenden Zahl der Pflegebedürftigen und der unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung kaum für möglich, gesicherte Schätzungen zu den Jahresabschlüssen des Jahres 2025 und der Folgejahre abzugeben“, schreibt der BRH. Im ersten Quartal des laufenden Jahres habe die SPV in jedem Fall einen Verlust von etwa 650 Millionen Euro eingefahren.
Zum Ausgabentreiber in der Pflegeversicherung haben sich dem BRH zufolge die vollstationären Leistungen entwickelt: vor allem die Ausgaben für die Begrenzung der Eigenanteile. Im Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz hatte die Bundesregierung die Eigenanteile der Pflegebedürftigen begrenzt, um den Anstieg der Zuzahlungen für ein Pflegeheim einzudämmen.
Die entsprechenden Ausgaben übernimmt seither die Pflegeversicherung. Die Ausgaben sind dem BRH zufolge im ersten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahresquartal um fast 40 Prozent auf etwa 1,5 Milliarden Euro angestiegen.
„Das BMG hat angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode eine Pflegereform auf den Weg zu bringen“, schreibt der Bundesrechnungshof. „Deren Konzept möchte es nach der Sommerpause vorlegen.“
Die Finanzsituation der SPV sei weiterhin prekär, was nicht zuletzt auch an dem weiterhin deutlichen Anstieg der Zahl Pflegebedürftiger liegt. „Auch die während der Coronapandemie ergriffenen Maßnahmen haben bis heute negative Auswirkungen auf die Finanzsituation der SPV“, so der Rechnungshof.
„Beispielsweise entstanden den Pflegekassen für die Erstattung der Testkosten Ausgaben von über 4,4 Milliarden Euro, die der Bund nur zum Teil erstattete.“
Die Erwartung, dass sich mit der Beitragssatzerhöhung die Finanzsituation der SPV zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode stabilisiere, habe sich nicht erfüllt. Vielmehr weise die SPV nach nur zwei Quartalen mit Überschüssen erneut ein Defizit im hohen dreistelligen Millionenbereich aus.
„Es ist davon auszugehen, dass zum Jahreswechsel die Ausgaben die Einnahmen in Milliardenhöhe übersteigen werden“, so der BRH. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Bund kurzfristig Maßnahmen ergreifen muss, um die finanzielle Leistungsfähigkeit der SPV zu gewährleisten.“ Kosmetische Maßnahmen reichten in jedem Fall nicht aus, um die finanziellen Probleme der SPV zu lösen.
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