Bundestag: Krankenhausreform ist nötig, Ausgestaltung bleibt umstritten

Berlin – Einig waren sich die Bundestagsabgeordneten parteiübergreifend heute darin, dass die Krankenhausreform notwendig ist. Allerdings gibt es bei der Frage der richtigen Ausgestaltung sehr unterschiedliche Überzeugungen. Über den Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) wurde im Bundestag heute in der ersten Lesung hitzig debattiert.
Bis 2030 würden 25 Prozent der Krankenhäuser in die Insolvenz abrutschen, wenn die Reform nicht käme, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor dem Bundestag. Grund dafür sei die wirtschaftlich angespannte Lage der Kliniken vor allem aufgrund „explodierender“ Kosten und von deutlichen Fallzahlrückgängen, sagte Lauterbach. Manche private Krankenhausträger würden derzeit hohe Gewinne einfahren, während viele Krankenhäuser rote Zahlen schrieben.
Problematisch sei auch, dass es an Personal fehle. Dadurch seien auch Krankenhäuser gefährdet, die für die Routineversorgung und für die Versorgung im ländlichen Raum dringend benötigt würden, erklärte Lauterbach. Deshalb könne man keinesfalls auf die Reform verzichten. „Die Diagnose lautet: Die deutschen Krankenhäuser sind in einer Krise, aber es gibt eine Therapie und die lautet: Krankenhausreform“, ergänzte der Grünen-Politiker und Neurologe Armin Grau.
„Der Status Quo ist nicht mehr haltbar“, sagte auch die Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang (Grüne). Man erlebe überarbeitete Ärztinnen und Ärzte und schlecht versorgte Patientinnen und Patienten, sagte Lang. Jahrelang sei nichts an der Situation in den Krankenhäusern geändert und eine Klinikreform ausgesessen worden, sagte sie in Richtung der Unionsfraktion. „Gesundheitsversorgung ist aber ein zentraler Baustein der Daseinsfürsorge und damit auch für Vertrauen in den Staat wichtig“, sagte sie. Sie sei froh, dass sich die Ampelregierung auch an die großen Reformen herantrauen würde.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann, bemängelte, man habe in Deutschland eines der teuersten und ineffektivsten Gesundheitssysteme der Welt. Mit der Reform zerstöre man aber die Unwuchten, Fehlanreize und überbordende Bürokratie, so Ullmann. Er verglich die Krankenhausreform mit einem modernen ICE. Problematisch sei aber das unzureichende Schienennetz, das die fehlenden Investitionskosten der Länder darstellen würde. „Ohne vernünftige Schienen, kann die beste Lokomotive nicht fahren“, sagte Ullmann.
Die Krankenhausreform schone Ressourcen und Kosten, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Heike Baehrens, weiter. Insbesondere die geplanten Level-1i-Kliniken (sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen) böten eine echte Chance für die alternde Gesellschaft und für eine sektorenübergreifende Versorgung. Die Reform leite einen Paradigmenwechsel in der Krankenhauspolitik ein, so Baehrens.
Zu geringe Beteiligung von Akteuren im Gesundheitswesen
Die Opposition stimmte Lauterbach und den Regierungsfraktionen bei dem Punkt der Notwendigkeit der Reform zu. „Wir brauchen diese Reform“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge. Unisono kritisierte die Opposition jedoch die unzureichende Beteiligung von Akteuren im Gesundheitswesen bei der Entwicklung der Reform.
So habe der Minister die Praktiker, allen voran die Krankenhäuser und Länder, im Zuge des Reformprozesses ignoriert, betonte Sorge. Der AfD-Abgeordnete Thomas Dietz warf Lauterbach und den Regierungsfraktionen vor, das Krankenhauswesen nur aufgrund von „Schönwetterbesuchen“ und „Sektempfängen“ zu kennen. Auch er bemängelte, dass bislang zu wenig die Betroffenen angehört worden seien.
Die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt verteidigte allerdings das Vorgehen und erklärte, man habe mit vielen Betroffenen und in vielen Runden auch mit den Ländern gesprochen. Seit Anfang 2023 diskutieren Bund und Länder immer wieder in vertraulichen Runden über die Ausgestaltung der Krankenhausreform. Im Sommer 2023 sei ein gemeinsames Eckpunktepapier verabschiedet worden, auf dessen Basis der Gesetzentwurf des KHVVG erarbeitet worden ist.
Der AfD-Abgeordnete Dietz verwies zudem auf die Defizituhr der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die einen aufgelaufenen Schuldenstand von mehr als elf Milliarden Euro aller Krankenhäuser in Deutschland aufweist. Es gebe zu wenige Hilfen für die in Not geratenen Kliniken, so der AfD-Abgeordnete.
Sorge zufolge fehle zudem eine Bedarfsanalyse auf Stadt- und Landkreisebene sowie eine Auswirkungsanalyse, wie sich die Reform auf die Versorgung auswirken werde. Der CDU-Politiker bemängelte ähnlich wie Dietz einen fehlenden Finanzierungsplan für die Kliniken während der Übergangsphase.
Und: Sorge warf Lauterbach vor, sich zu wenig an Erfolgsmodellen in den Bundesländern, insbesondere in Nordrhein-Westfalen (NRW) orientiert zu haben. Lauterbach habe Monate benötigt, um zu sehen, dass die NRW-Reform eine Blaupause für die bundesweite Reform sein könnte, sagte Sorge.
Finanzierung des Transformationsfonds unfair
Eine „Verschlimmbesserung“ nannte sein Fraktionskollege, der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller (CDU), die Krankenhausreform. Er verwies auf die nötige Unterscheidung der Anforderungen für die medizinische Versorgung in den Städten im Gegensatz zu den ländlichen Regionen.
Den geplanten Transformationsfonds, der Krankenhäuser finanziell bei Umstrukturierungen unterstützen soll, über den Gesundheitsfonds und damit über Beiträge der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanzieren zu lassen, sei falsch, so Müller. Unter anderem seine Oma müsste dadurch die Reform bezahlen. Unter dem Strich bliebe den Bürgern aufgrund drohender Beitragssatzsteigerungen weniger vom „hart erarbeiteten Geld“.
Die CDU-Abgeordnete Simone Borchardt warnte zudem vor der geplanten Abschaffung der Einzelfallprüfungen des Medizinischen Dienstes (MD). Damit könnten Schäden in Milliardenhöhe entstehen, so Borchardt.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger kündigte heute zudem an: „Wir werden den Murks, wenn er so beschlossen worden ist, in der nächsten Legislaturperiode in der Regierung wieder verbessern.“ Denn man wolle echte Qualität und keine Pseudoqualität, wie es der Entwurf vorsehe, sagte Pilsinger als Andeutung auf die aktuell besseren Umfragewerte der Union im Vergleich zu den Umfragewerten der Ampelparteien.
Diskussion über Fallpauschalensystem
Mit dem Ausruf: „Das System der Fallpauschalen muss abgeschafft werden“, sorgte Minister Lauterbach heute außerdem für Aufruhr und Kritik von der Gruppe Die Linke. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Die Linke), erklärte, es sei nicht richtig, dass Lauterbach von einer geplanten Abschaffung der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) spreche. Denn die Reform sehe weiterhin eine Finanzierung von 40 Prozent durch die DRG-Pauschalen vor. 60 Prozent sollen künftig über eine Vorhaltefinanzierung abgegolten werden.
Lauterbach erklärte, dass die Fallpauschalen durch diese Berechnung kaum mehr eine Rolle spielen würden. Für 40 Prozent der Betriebskosten würden Krankenhäuser rein aus ökonomischen Gründen keinen zusätzlichen Fall machen. Damit stünde die medizinische Behandlung wieder im Vordergrund.
Der Linken-Politiker Ates Gürpinar warnte aber vor einem zweiten Finanzierungssystem neben dem Fallpauschalensystem. Dieses würde sowohl für mehr Bürokratie als auch dafür sorgen, dass die Kliniken immer noch im Profitzwang blieben. Auch Gürpinar warf den Regierungskoalitionen vor, im Blindflug hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Gesetzes zu sein. Das Gesetz werde neue Probleme schaffen und alte nicht beheben können.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger erklärte die geplante Finanzierungsumstellung für „absurd“. Da sich die Vorhaltepauschalen an den Fällen der Krankenhäuser des Vorjahres orientieren sollen – sofern die Bundesländer keine Planfallzahlen festlegen – würde das dazu führen, dass man den Hamster erneut ins Laufrad setze und ihm sage, er sei nun aus dem Hamsterrad befreit.
CDU habe Reformen in den vergangenen Jahren verschlafen
Die Vorgehensweise der Union nannte der Grünen-Politiker Janosch Dahmen das „Schauspiel einer Pseudopolitik“. Diese erhebe sich über die Probleme in diesem Land und mache keinen einzigen Vorschlag zur Lösung der Herausforderungen. Die Union habe in ihrer 16-jährigen Regierungszeit und in der vormals achtjährigen Zeit als Bundesgesundheitsminister die schwierige Situation in den Kliniken hingenommen, kritisierte Dahmen.
„Es gibt die Hybris, auf der einen Seite zu sagen, das ist eine Teuerkoalition, das kostet alles viel Geld und die Kliniken sollen mehr Geld kriegen.“ Oder die Union spreche von unhaltbaren Zuständen in den Kliniken, aber stelle sich gegen die Krankenhausreform. Mit diesem Vorgehen mache die Ampelregierung nun Schluss, rief Dahmen laut.
Die größte Krankenhausreform, die dieses Land brauche, werde die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellen und dafür sorgen, dass man arbeitsteilig im Krankenhauswesen arbeiten könne. Die Reform stelle sowohl die Notfall- und Grundversorgung in der Fläche als auch spezialisierte, hochqualifizierte Zentren sicher, sagte der Notfallmediziner.
Auch der Grünen-Politiker Grau erklärte, eine zeitgleiche bundesweite Krankenhausreform gemeinsam mit der Krankenhausreform, die bereits seit einigen Jahren in NRW stattfinde, hätte den Krankenhäusern vieles erspart. Dies habe die CDU aber verpasst, warf Grau den Unionsabgeordneten vor.
Die Krankenhausreform sieht die Einführung von 65 Leistungsgruppen vor, die bundesweit einheitliche Qualitäts- und Ausstattungskriterien festlegen sollen. Die Bundesländer sollen im Rahmen ihrer Krankenhausplanung den Krankenhäusern Leistungsgruppen zuweisen können. Vorgesehen ist, Gelegenheitsversorgung auszuschließen und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.
Zudem soll an die Leistungsgruppen eine Vorhaltefinanzierung von 60 Prozent der gesamten Betriebskosten geknüpft werden. Der Rest soll weiterhin über diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) finanziert werden.
Weiter sind sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen geplant, die die Grundversorgung insbesondere in ländlichen Regionen sicherstellen sollen. Im Vorfeld gab es bereits deutliche Kritik an der geplanten Reform von vielen Seiten. Die Bundesländer fordern etwa den Erhalt gewachsener Strukturen vor Ort und sorgen sich vor zu starren Vorgaben im KHVVG.
Im Herbst soll die Anhörung im Gesundheitsausschuss zur Krankenhausreform erfolgen. Das Inkrafttreten des Gesetzes ist für den 1. Januar 2025 geplant.
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