„Der beste Kenner des deutschen Gesundheitswesens“ geht in Rente

Berlin – Wenn sich Menschen, die sich in ihrer Profession und ihrem beruflichen Umfeld zu einer „Institution“ entwickelt haben, aus dem Berufsleben verabschieden, dann ist der Abschied oft herzlich und gespickt mit Anekdoten.
Gestern Abend wurde Franz Knieps, bis Juni Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes, von 2003 bis 2009 Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, sowie unter anderem Berater der früheren Ministerin Regine Hildebrandt (SPD) in Berlin, verabschiedet.
Lob, Anerkennung für den riesigen Wissensschatz über das Gesundheitswesen, Menschlichkeit und die charmante Scharfzüngigkeit von Knieps prägten die Reden der Laudatorinnen und Laudatoren.
„Eine diplomatische Karriere wäre nichts für ihn gewesen“, berichtete Ulla Schmidt (SPD), mit der Knieps zwischen 2003 und 2009 die Arbeit an vielen Reformen im Bundesgesundheitsministerium gestaltet hat. „Es war ein großes Glück, dass er an meiner Seite stand", erklärte Schmidt, die nach dem Amt als Ministerin (von 2001 bis 2009) später Vizepräsidentin des Bundestages (2013 bis 2017) wurde.
Schmidt ist bislang die am längsten amtierende Gesundheitsministerin. Es sei „eine Entscheidung, die ich nie bereut habe", dass sie ihn als Abteilungsleiter ins Ministerium geholt habe.
In ihrer Rede berichtete sie über allerlei Anekdoten: Wie Knieps ein Krankenhausprojekt für den früheren Papst Johannes Paul II in Polen beriet und die Anrufe aus dem Vatikan für einen Scherz der Sendung „Versteckte Kamera" hielt. Wie Knieps von Vertretern der Krankenkassen in der Debatte um einen gemeinsamen Spitzenverband als der „Knoten des Bösen" bezeichnet wurde und fortan alle Dokumente im Ministerium mit diesem Ausdruck unterzeichnete.
Die Ratschläge, die Knieps „immer wohlwollend, immer weitsichtig", wie es Schmidt formulierte, gab, halfen bei den politischen Entscheidungen, die in der gesundheitspolitischen Szene in den 2000er-Jahren oft unpopulär waren.
Dabei ging es unter anderem um die Errichtung des GKV-Spitzenverbandes, um die Einführung von Strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease Management Programmen), von Medizinischen Versorgungszentren oder auch der elektronischen Gesundheitskarte sowie -akte.
Von Eskalationsstufen und vielen Wiedersehen
Von den vielen „Schlachten“, die Ministerin Schmidt und er im Bundesgesundheitsministerium gekämpft haben, berichtet auch Knieps. Wie „seine“ Ministerin im jahrelangen Streit mit dem Pharmaunternehmen Pfizer um das Medikament „Sortis“ agiert hatte und klar für die deutschen regulatorischen Regeln eingetreten war.
Wie die Teile der Selbstverwaltung sich gegen Reformen gestemmt haben – „aber wir im Ministerium immer klar sagten: Wir können alle Eskalationsstufen und die darüber auch.“ Er erinnerte dabei an die Proteste des bayerischen Hausärzteverbandes unter dem damaligen Vorsitzenden Wolfgang Hoppenthaller im Münchner Olympiastation.
Oder wie oft der Satz „im Leben sieht man sich immer zwei Mal“ für das Gesundheitswesen auf „im Gesundheitswesen sieht man sich 500 Mal“ verändert werden müsse. Denn oft seien die Akteure, die eine Sache lange bekämpften, später selbst die, die die geänderten Regelungen selbst nutzten.
Knieps nahm sich dabei nicht aus: Sein Wechsel nach dem Ministerium zum BKK Dachverband habe damals viele überrascht und zu hämischen Kommentaren geführt. Der Netzwerker Knieps könne zu vielen Menschen starke Bänder knüpfen, sei bis spät in die Nacht erreichbar, teile sein Wissen gerne – so beschrieben es weitere Rednerinnen und Redner.
Dazu zählt neben Schmidt auch Bärbel Bas (SPD). Die heutige Bundesministerin für Arbeit und Soziales kam nach dem Ende der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2009 als Abgeordnete in den Bundestag – in der Opposition während der schwarz-gelben Regierung wurde sie Mitglied im Gesundheitsausschuss.
Das seien keine einfachen Zeiten gewesen, wenn man, wie sie, habe etwas im Gesundheitswesen ändern wollen, berichtete Bas. Sie hatte zu dem Zeitpunkt viele berufliche Stationen bei verschiedenen Betriebskrankenkassen hinter sich, und berichtete, dass sie bei der BKK weiterhin versichert sei und auch ein Rückkehrrecht habe. „Wir schauen mal, wie diese Legislatur so läuft“, erklärte sie unter Gelächter der Gäste des BKK-Dachverbandes.
In ihrer politischen Karriere in den vergangenen 14 Jahren sei Knieps immer mehr zu einem guten Berater geworden, in vielen politischen Fragen. Sei es bei der Reform des Morbi-RSA im Jahr 2015, an der sie als parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion teilnahm.
Oder auch bei den Verhandlungen mit dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Coronapandemie, als sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende diese Aufgabe übernahm. Auch als Bundestagspräsidentin – der Bundestag ist immerhin „eine Behörde mit 3.100 Beschäftigten“ – habe sie gerne den Rat angenommen. Und auch bei ihrer Aufgabe in dieser Legislatur – „werde ich weiter anrufen.“
Zu viel „Gesetzgebung auf dem Flur“
Auf das vielfältige Lob wusste der Gelobte kaum eine Antwort – sprach dann aber selbst noch einmal mehr als 40 Minuten über seine Perspektiven auf sein Berufsleben. Er sei weiter darüber beeindruckt, wie viele Menschen im Gesundheitswesen unter vier Augen ganz anders sprächen, als in der öffentlichen Meinung.
Außerdem: „Gesetzgebung auf dem Flur, eingeführt von Jens Spahn, verfeinert von Karl Lauterbach, ist eins der Grundübel des Landes“, so Knieps. In den 1980er- und 1990er-Jahren hatten er und andere Mitglieder in mehreren Reformkommissionen bis zu vier Jahre Zeit an der Neuordnung des Gesundheitswesens zu arbeiten.
Herausgekommen ist die Anfänge des heutigen Sozialgesetzbuches V sowie Teile der berühmten Lahnstein-Reformen von 1992. Heute hätte man für solch umfassenden Reformen nur vier Tage, resümiert Knieps.
Für die Zukunft und seine Nachfolgenden forderte er, dass auch einmal „mehrdimensional denken“ müsse, um Reformen für die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesens umzusetzen. Zweitens müsse man ein Gespür dafür entwickeln, wann „Fenster der Möglichkeiten“ sich öffnen und Themen umgesetzt werden könnten.
Und drittens: „Manche Dinge brauchen Zeit, aber Debatten und Fragen müssen frühzeitig gestellt werden“, sagte Knieps mit Verweis auf die Debatte um die Rentenvorschläge von Ministerin Bas aus der vergangenen Woche. „Wenn man nicht weiter denken darf als bis zum eigenen Kontoauszug, dann ist etwas falsch.“
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