Diskussion um gesetzliche Grenzen der Social-Media-Nutzung von Kindern und Jugendlichen

Köln – Mit der Frage, ob soziale Medien wie Whatsapp, Instagram und Tiktok Kindern und Jugendlichen schaden beziehungsweise ab welchem Alter befasste sich gestern ein Expertengespräch des Science Media Center (SMC) in Köln.
Dabei wurde auch die Forderung nach einem wirksamen Altersverifikationssystem (AVS) diskutiert. Derzeit sind soziale Medien nach Regelung der Anbieter erst ab dem 13. Lebensjahr zugelassen. Es wird aber kein AVS eingesetzt, um eine Nutzung von jüngeren Kindern auszuschließen.
„In Bezug auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen spricht man inzwischen von einer globalen Krise. In vielen Ländern hat die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Heranwachsenden zugenommen. Ob Social-Media-Nutzung damit zusammen hängt ist aber unklar, sicher ist sie nicht alleinursächlich“, sagte Isabel Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe Internetnutzungsstörungen, Universitätsklinikum Tübingen.
„Die Ursachen für die Zunahme psychischer Erkrankungen sind sehr komplex; es gibt wenig signifikante Zusammenhänge für eine Social-Media-Nutzung und wissenschaftlich keine starke Fundierung“, ergänzte Anne-Linda Camerini, Forscherin an der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften, Università della Svizzera italiana, Lugano, Schweiz. Erwiesen seien einzig Geschlechtsunterschiede: Mädchen seien anfälliger für eine übermäßige Social-Media-Nutzung als Jungen.
Nach Angaben des SMC fordern viele Staaten, dass das Alter zuverlässig geprüft und die Altersgrenze zudem hochgesetzt wird. Australien habe vergangenes Jahr bereits ein Nutzungsverbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren beschlossen. Die Umsetzung der entsprechenden Altersprüfung solle bis Ende dieses Jahres erfolgen. Neuseeland wolle dem Beispiel folgen und auch in der EU mehrten sich Forderungen nach einer höheren Altersgrenze und einem funktionierenden AVS.
In Deutschland ist man sich dem SMC zufolge noch uneinig, ob ein Verbot ab 16 Jahren die richtige Regelung ist. Der Deutsche Lehrerverband (DL) habe sich gegen ein allgemeines Verbot ausgesprochen. Die Bundesregierung habe ein Expertengremium einberufen, das noch vor der Sommerpause eine Empfehlung über ein etwaiges Verbot abgeben solle.
Wenn ein Verbot empfohlen werden sollte, sei die Umsetzung nicht trivial. Darauf wies Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut (HBI) Hamburg, hin. „Das Kinderdatenschutzrecht besagt, dass die Inhalte sozialer Medien Kindern unter 13 Jahren nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Ein Altersverifikationssystem ist in Europa aber nicht verpflichtend“, erklärte er.
Die Plattformen seien in der so genannten Haftungsprivilegierung, einer rechtlichen Regelung, die die Haftung des Unternehmens unter bestimmten Umständen einschränkt oder ausschließt. Nationale Regelungen sind dem Experten zufolge zudem sehr schwierig, da in der europäischen Union Gesetze bezüglich sozialer Medien durch den Digital Service Act (DSA) gemeinsam geregelt sind.
Auf die Frage, ab welchem Alter soziale Medien nicht schädlich sind, konnten die Experten keine eindeutige Antwort geben. Anne-Linda Camerini führte geschlechtsspezifisches an: so seien Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren besonders vulnerabel, Jungen hingegen zwischen 13 und 15. „Es gibt auch individuelle Unterschiede. Allein das Alter von 16 sagt nicht immer etwas aus“, so die Forscherin. Manche Jugendliche seien dann schon sehr reif, andere nicht.
Zudem sollte zwischen den Inhalten und dem allgemeinen Konsum unterschieden werden. Ihrer Meinung nach ist es notwendig, verstärkt in die Regulierung der Inhalte zu investieren. Denn selbst wenn der Zugang ab einem gewissen Alter verboten werde, gelinge es vielen trotzdem einen Zugang zu erhalten. Manchen sogar mit Hilfe der Eltern, denen das Recht auf Selbstbestimmung ihrer Kinder wichtiger erscheine als deren Schutz.
Auf die Frage, welches Alter sie für angemessen halte, um ohne Gefahren die sozialen Medien zu nutzen, sagte die Expertin für Internetnutzungsstörungen Brandhorst: „Aus rein neurologischer Perspektive ist wahrscheinlich Anfang 20 das richtige Alter. Die Altersgrenze von 13 Jahren sehe ich kritisch, weil jüngere Jugendliche noch am wenigsten reflektieren können.“
Allerdings gebe es noch keine wissenschaftlichen Studien zu Social-Media-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahren, aufgrund von großen Hürden wegen des Datenschutzes. Denn notwendig sei immer die Einwilligung beider Elternteile. Forschung mit Jugendlichen beziehe sich daher auf die 16- bis 18-Jährigen.
Brandhorst sprach sich eindeutig für ein Gesetz aus, das grundsätzlich eine Altersgrenze setzt und Altersverifikationssysteme für die Plattformen verpflichtend macht. „Die Gesellschaft muss Grenzen setzen, denn ein Viertel der Kinder und Jugendlichen steht kurz vor der Sucht. Ein Gesetz kann Eltern auch Rückendeckung geben, damit sie die Gefahren einer Social-Media-Nutzung auch argumentieren können.“ Zudem hält sie eine das Gesetz begleitende Aufklärungskampagne für sinnvoll, um Kinder und Jugendliche zu schützen.
Auch der Experte vom Leibniz-Institut für Medienforschung unterstützte Forderungen nach einem Gesetz. „Die Plattformen können durchaus regulieren, sie tun es aber nicht“, sagte Dreyer. Es sei mittels Künstlicher Intelligenz einfach möglich Altersverifikationssysteme einführen, und darüber hinaus auch zu erkennen, wenn Kinder und Jugendliche bestimmte gefährliche Inhalte übermäßig nutzen.
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