Diskussion um Vorschläge zu Primärarztsystem

Berlin – Geht es nach Union und SPD, könnte künftig der Hausarzt die erste Anlaufstelle für Patienten sein. Auch die Grünen sind dafür, lehnen aber einen weitergehenden Vorstoß von Ärztevertretern ab.
Die Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit in den Koalitionsverhandlungen schlägt ein „verbindliches Primärarztsystem“ vor. Ausnahmen sollen für die Augenheilkunde und die Gynäkologie gelten. Für Patienten mit einer „spezifischen chronischen Erkrankung“ soll eine besondere Lösung erarbeitet werden. Genannt werden zum Beispiel Jahresüberweisungen.
Union und SPD versprechen sich von den Maßnahmen insgesamt eine schnellere Terminvergabe sowie eine zielgerichtetere Versorgung. Sie gehen zudem von Einsparungen aus, die im Jahr 2028 zwei Milliarden Euro erreichen könnten.
„Eine wirklich smarte Patientensteuerung könnte helfen, die knappen ärztlichen Ressourcen viel effizienter zu nutzen und auch die Kosten insgesamt spürbar zu senken“, sagte am Wochenende der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Hausarzt sollte erste Anlaufstelle sein und nur im Bedarfsfall an Fachpraxen weiterleiten.
Patienten sollten Reinhardt zufolge weiterhin ihre Ärzte wählen oder wechseln, „aber nicht mehr willkürlich jede Versorgungsebene nach Gutdünken ansteuern können“. Klar sei auch in der Konsequenz, dass jemand, der auf eine Behandlung jenseits der ihm angebotenen Wege bestehe, sich dann auch selbst an den zusätzlichen Kosten beteiligen müsse.
Es könne dabei nicht Aufgabe von Ärzten sein, Strafgebühren für die Krankenkassen einzuziehen. Als Optionen nannte der BÄK-Präsident eine Selbstbeteiligung, die von den Versicherten mit den Krankenkassen abzurechnen sei, bis hin zu gestaffelten Kassentarifen.
Die Grünen unterstützen die Pläne von Union und SPD für ein Primärarztsystem zwar, lehnen aber eine Forderung nach einer Kostenbeteiligung von Patienten bei eigener Facharztwahl ab. „Eine stärkere Patientensteuerung durch ein Primärarztsystem ist das Gebot der Stunde – Strafzahlungen aber sind eine gefährliche Sackgasse“, sagte der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen der Welt.
Er kritisierte, die Verbindlichkeit eines Primärarztsystems dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen. „Wir würden am Ende mit Zitronen handeln, wenn man sich aus sinnvollen Regelungen für alle einfach freikaufen kann – dann droht lebensgefährliche Klassenmedizin.“
Die AfD wies die Pläne für ein Primärarztsystem grundsätzlich zurück. „Es ist unnötige Schikane der Patienten, sie künftig nur noch über Umwege zum benötigten Facharzt zu lassen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Martin Sichert, der Welt. Der Hausärztemangel werde sich verschärfen, wenn Patienten künftig vor jedem Facharzttermin zum Hausarzt müssten, warnte er.
Auch die Linke lehnte den Vorschlag der Koalitionsverhandler ab. „Schwarz-Rot arbeitet an der eigentlichen Problematik vorbei. Lotsen in der gesundheitlichen Versorgung wären gut, aber zusätzliche Hürden erhöhen die Gefahr, dass Menschen mit ernsthaften Beschwerden keine oder erst zu spät eine gute Versorgung erhalten», sagte Linken-Vize Ates Gürpinar der Welt. Dass sich Menschen mit Geld in der Tasche freikaufen könnten, erhöhe die Ungleichbehandlung massiv.
Die FDP mahnte mehr Effizienz im Gesundheitssystem an. „Um Ärzte zu entlasten und die Leistungen für die Patienten zu verbessern, sollten wir vorrangig über Mechanismen wie Beitragsrückerstattungen und den verstärkten Einsatz von Telemedizin, aber vor allem über Entbürokratisierung sprechen“, sagte FDP-Vize Bettina Stark-Watzinger der Welt.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, meldete Zweifel an der Realisierbarkeit der Pläne von Union und SPD an. „Es ist zu schön, um wahr zu sein. Durch Patientensteuerung der Hausärzte wird das gelobte Land versprochen. Bessere Patientenversorgung, zeitnahe Facharzttermine, Kosteneinsparung in Milliardenhöhe sollen dann möglich sein“, kommentierte Brysch die Vorhaben.
Unklar sei aber, wer als chronisch krank eingestuft werde. Dies seien 50 Prozent der Erwachsenen. Auch wies er auf Zusatzbelastungen für Hausärzte hin. Pro Hausarztpraxis dürften 2.000 Patientinnen und Patienten mehr zu betreuen sein. Zudem gebe es Regionen, wo schon heute Primärpraxen Neupatienten ablehnen, sagte Brysch.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit:
1