Echte Innovationen bei neuen Arzneimitteln offenbar selten
Hamburg/Bremen – Rund die Hälfte der neuen Arzneimittel, die die Universität Bremen und die Techniker Krankenkasse seit dem Jahr 2013 im Rahmen der Innovationsreporte bewertet haben, sind laut Universität und Kasse keine echten Innovationen.
Von den analysierten 200 Arzneimitteln stuften die Wissenschaftler 26 und damit 13 Prozent als echte Innovationen ein. Das berichtet die TK im neuen „Innovationsreport 2021“.
„Die Ausgaben im Arzneimittelbereich steigen kontinuierlich – es ist klar, dass etwas passieren muss, kurz- wie langfristig. Wir brauchen faire Preise für neue Arzneimittel, die sich an ihrem tatsächlichen Nutzen und den tatsächlichen Forschungskosten orientieren“, sagte Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK.
Zu einem scharfen Urteil kommt der Herausgeber des Reports, Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Beim Blick auf die Gesamtergebnisse sei die Innovationskraft der pharmazeutischen Industrie als „dürftig“ zu bewerten, sagte er.
Es kämen zu wenig Arzneimittel auf den Markt, von denen Patienten wirklich profitierten. „Dennoch werden die von uns als nicht innovativ bewerteten Medikamente verordnet. Das Missverständnis, dass ,neu‘ stets auch ,innovativ‘ im Sinne eines verbesserten Patientennutzens bedeutet, muss endlich ausgeräumt werden“, sagte Glaeske.
Bei einer Analyse von neuen Arzneimitteln, die in den Jahren 2010 bis 2017 in Deutschland auf den Markt gekommen sind, zeige sich außerdem: Der durchschnittliche Packungspreis dieser Medikamente sei um fast 1.200 Prozent gestiegen. „Patentgeschützte Arzneimittel sind hierzulande im internationalen Vergleich zu teuer“, so Glaeske.
Es sei ein Fehler im System, dass die Unternehmen die Kosten bei Markteintritt frei und völlig intransparent festlegen könnten. Sei ein extrem hoher Preis auf diesem Weg erst einmal etabliert, setze dieser die Marke für die nachfolgenden Medikamente, da die Kosten anhand der Vergleichstherapie bestimmt würden – „ein Teufelskreis“, so Glaeske.
Der Wissenschaftler fordert außerdem, Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Erkrankungen nicht länger in der Form zu bevorzugen, dass ihr Zusatznutzen von vornherein als belegt gelte.
„Die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz muss zügig angegangen werden“, so Baas. „Langfristig müssen wir zu einer transparenteren Preisfindung kommen, die sich an objektiv nachvollziehbaren Kriterien orientiert“, forderte er.
Nötig sind laut der TK außerdem weitere kurzfristige Maßnahmen im Arzneimittelbereich, um die Ausgaben zu senken. „Dazu gehören insbesondere ein ermäßigter Umsatzsteuersatz für alle Arzneimittel und eine Erhöhung der sogenannten Herstellerabschläge für patentgeschützte Arzneimittel, die derzeitigen Kostentreiber. Allein mit diesen beiden Maßnahmen ergibt sich ein Einsparpotenzial von etwa acht Milliarden Euro für die gesetzliche Krankenversicherung“, so Baas.
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