Politik

Ethikrat legt Empfehlungen für künftige Pandemien vor

  • Montag, 4. April 2022
Sigrid Graumann (l-r), Mitglied des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, und Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglied des Deutschen Ethikrates, stellen zu Beginn einer Pressekonferenz den Bericht zum Thema „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise - Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ vor. /picture alliance, Wolfgang Kumm
Sigrid Graumann (l-r), Mitglied des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, und Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglied des Deutschen Ethikrates, stellen zu Beginn einer Pressekonferenz den Bericht zum Thema „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise - Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ vor. /picture alliance, Wolfgang Kumm

Berlin – In seiner neuen Stellungnahme verweist der Deutsche Ethikrat auf Fehler, die in den vergange­nen beiden Jahren der COVID-19-Pandemie bei der Krisenbewältigung gemacht worden und gibt Emp­feh­lungen für künftige Bewältigungsstrategien.

So konnten Entscheidungskonflikte nicht immer gut gelöst und unterschiedliche moralische Güter nicht optimal gegeneinander abgewogen werden, konsta­tiert das interdisziplinär besetzte Gremium in seinem heute vorgelegten Papier „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidun­gen in einer Pandemie“.

Insbesondere Institutionen, wie Gesundheitsämter, Pflegeheime und Schulen, seien nur unzureichend auf die Krise vorbereitet gewesen. Zudem seien die Bedürfnisse einiger vulnerabler Gruppen vielfach unzu­reichend beachtet worden. „Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, heute in Berlin.

In der neuen Stellungnahme gebe der Rat Empfehlungen zum besseren Umgang mit künftigen Pande­mien, so die Ratsvorsitzende. „Dabei schauen wir uns auch an, wer in einer Pandemie besonders vulnera­bel ist, wie man Resilienz stärken kann und wie man eine ethisch und sozial verantwortliche Langzeit­strategie für den Umgang mit schweren Gesundheitskrisen entwickeln kann“, erklärte die Ärztin und Me­di­zinethikerin.

Es sei notwendig, als Gesellschaft besser zu werden darin, in öffentlichen Debatten mit Ungewissheit umzugehen, unterschiedliche Positionen nicht nur auszuhalten, sondern die Vielfalt von Ansichten sogar zum Erkenntnisgewinn zu nutzen.

Zwar würden die Folgen der Pandemie und ihre Bewältigung grundsätzlich alle Bevölkerungsgruppen betreffen, aber nicht alle in gleicher Weise, so Buyx. „Menschen, Gruppen, aber auch Institutionen sind unterschiedlich verletzlich und unterschiedlich widerstandsfähig“, betonte sie. Um eine verhältnismäßige Einschränkung von Grundrechten zu ermöglichen, müsse die notwendige Wissens- und Datenbasis dazu sichergestellt sein.

Man habe in der jetzigen Pandemie die Erfahrung gemacht, dass viele Institutionen der Daseinsvorsorge nur unzureichend auf eine solche Krise vorbereitet waren und dass besonders vulnerable Personengrup­pen nicht gut geschützt werden konnten, erklärte die Sprecherin der zuständigen Arbeitsgruppe des Ethik­rates, Sigrid Graumann.

Deutlich geworden sei dies in den Einrichtungen der Langzeitpflege und der Behindertenhilfe, wo es unter den dort Versorgten extrem hohe Krankheits- und Sterblichkeitszahlen ge­ge­ben hätte, aber auch die Pflegekräfte sehr hohen Infektionsrisiken ausgesetzt worden wären.

„Diese und andere Missstände sollten zum Anlass für eine kritische Analyse systemischer Mängel, dys­funk­tionaler Organisationsformen und ungeeigneter Verfahren genommen werden, um so eine nachhal­tige Strategie zur Bewältigung zukünftiger Pandemien zu entwickeln“, sagte die Biologin und Medizin­ethi­­­­ke­rin. „Institutionen der Daseinsvorsorge in Deutschland müssen krisenfester werden“, forderte sie.

Die Krisenfestigkeit von Institutionen erweist sich Graumann zufolge daran, wie gut es gelinge, durch geeignete Anpassungen den Infektionsschutz mit der Erfüllung ihres jeweiligen gesellschaftlichen Auf­trags in Einklang zu bringen. „Darüber hinaus sollten es Institutionen auch in Krisenzeiten vermeiden, zur Verschärfung sozialer Benachteiligungen beizutragen“, mahnte sie.

In seiner Stellungnahme ist sich der Rat sicher, dass keine Personengruppe völlig unbehelligt durch die Pandemie gekommen sein dürfte. „Wir alle sind verletzlich und aufeinander angewiesen. Aber gibt es gute Gründe, in der Krise einer Pandemie einzelne Menschen oder bestimmte Personengruppen als be­son­ders vulnerabel einzustufen“, sagte Andreas Lob-Hüdepohl, stellvertretender Arbeitsgruppensprecher. Daraus könne dann ein Anspruch auf spezielle Solidarität abgeleitet werden. „Allerdings bleiben auch alle anderen Menschen verletzlich.“

Wenn Menschen nicht besonders verletzbar durch die Krankheit selbst seien, würden sie möglicherweise besonders durch die negativen Folgen der zur Eindämmung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen ver­letzt, beispielsweise Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende.

„Sie haben ein viel geringeres Risiko als ältere und vorerkrankte Menschen, schwer an COVID-19 zu erkranken. Junge Menschen leiden aber besonders unter Einschränkungen ihrer Ausbildungswege und ihres Soziallebens“, sagte Lob-Hüdepohl. Die Beachtung der ganz unterschiedlichen Formen von Vulnerabilität könnte hier zukünftig auch eine gezieltere Förderung von Resilienz ermöglichen.

Kriterien für die gerechte Verteilung von knappen Impfstoffen oder intensivmedizinischen Ressourcen seien ebenso wichtig wie Maßnahmen der Kompensation für besondere pandemiebedingte Belastungen, so Buyx. Aber auch Fragen der internationalen Gerechtigkeit sollten einbezogen werden, wenn es etwa darum geht, welche Solidarität wohlhabendere Länder weniger wohlhabenden bei der Bewältigung der Pandemie schulden.

Für künftige Pandemien fordert der Rat verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategien sowie die Einbeziehung von Menschen mit eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten in die sie betreffen­den Entscheidungen. Nötig sei eine Förderung von Eigenverantwortung, Solidarität und gesellschaft­lichem Zusammenhalt.

ER

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