Politik

Experten: Das System braucht eine Patientensteuerung

  • Freitag, 21. März 2025
/j-mel, stock.adobe.com
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Berlin – Das deutsche Gesundheitswesen braucht eine bessere Patientensteuerung. Darin waren sich Expertinnen und Experten gestern beim DRG-Forum in Berlin einig. Der ambulante Bereich sei für viele Menschen heute schwer zu durchschauen, sagte die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK) und 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Susanne Johna. Deshalb landeten viele von ihnen bei Notfällen im Krankenhaus, wo sie dann auch versorgt werden müssten. Finanziell lohne sich das für die Krankenhäuser nicht. 

Johna befürwortete ein Modell, in dem Hausärztinnen und -ärzte die Patienten fallabschließend behandeln. „Entweder der Hausarzt kann das Problem selbst lösen, indem er den Patienten beruhigt oder ihn selbst behandelt“, sagte sie. „Oder er überweist den Patienten zu einem Facharzt, verfolgt dann aber weiter, ob dort das Problem gelöst werden kann.“ Die Hausärztinnen und Hausärzte seien insofern so lange zuständig, bis der Fall abgeschlossen ist.

Keine neue Praxisgebühr

Eine Patientensteuerung über eine Praxisgebühr lehnte Johna ab. „Entweder ist eine Gebühr hoch und entwickelt eine Steuerungswirkung. Dann braucht man aber einen sozialen Ausgleich, den man überprüfen muss. Das führt zu viel Bürokratie“, erklärte sie. „Oder man hat eine niedrige Gebühr, die dann aber keine Steuerungswirkung entfaltet. So war es mit der Praxisgebühr.“  Zudem seien die Ärzte gegen die Praxisgebühr gewesen, da sie diese hätten eintreiben müssen. „So kann es nicht noch einmal gehen“, sagte Johna.

In jedem Fall müsse der Bevölkerung erklärt werden, dass die Versorgung für jeden einzelnen durch eine Patientensteuerung besser werden könne, da mit einer Patientensteuerung Menschen, die wirklich eine Versorgung benötigten, zum Beispiel schneller einen Facharzttermin bekommen könnten.

„Heute sagt die Politik in Deutschland den Menschen, dass es keine Leistungskürzungen geben werde“, kritisierte Johna. „Wenn die Menschen dann trotzdem ein halbes Jahr auf einen Facharzttermin warten müssen, sind sie natürlich genervt.“ Mit einer Patientensteuerung könne sich das verbessern.

Patientensteuerung nimmt den Menschen nichts weg

Die Leiterin der hessischen Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, Barbara Voß, betonte, dass den Menschen durch die Patientensteuerung nichts weggenommen werde, sondern sie etwas hinzubekämen: Hilfe auf der Suche nach dem richtigen Behandlungsort. Heute müssten die Patientinnen und Patienten selbst den richtigen Zugang ins System finden. Dabei hätten sie oft wenig Expertise und seien zudem noch persönlich betroffen. Da sei es nicht überraschend, dass diese Menschen nicht immer die sinnvollste Wahl träfen.

„Mit einer Patientensteuerung bekommen die Patientinnen und Patienten Hilfe, um am richtigen Ort im System behandelt zu werden, wenn sie eine Behandlung benötigen“, sagte Voß. Dann steuere sie das System mithilfe einer standardisierten Ersteinschätzung an die richtige Stelle und vergebe direkt auch einen Termin. „Das ist doch besser als heute“, betonte Voß. Die TK Hessen begleite Patienten in Case-Management-Programmen. Das werde sehr gut und mit Dankbarkeit angenommen.

Digital vor ambulant vor stationär

Das Gesundheitssystem habe eine Verantwortung dafür, ein System zu gestalten, in dem der Patient an die richtige Stelle gelangt, betonte Voß. Deshalb sprach auch sie sich gegen eine Patientensteuerung über eine finanzielle Eigenbeteiligung aus.

Die Digitalisierung könne bei einer besseren Patientensteuerung helfen, meinte sie und warb für die Maxime: digital vor ambulant vor stationär. „Wir müssen das digitale Potenzial beim Erstzugang nutzen: über ein digitales, qualitätsgesichertes Ersteinschätzungssystem“, so Voß. „Wenn man dieses System nutzt, wird in vielen Fällen herauskommen, dass kein Arzt notwendig ist. Wenn eine Behandlung notwendig ist, muss das System dann schnell einen Termin zur Verfügung stellen.“

Die Last ist zu groß

Der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Jens Scholz, ergänzte: „Ich würde vor digital noch einen weiteren Parameter setzen: Jeder Patient, der kein Patient ist, muss auch nicht gesteuert werden.“ Heute sei Deutschland sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich bei der Fallzahl im internationalen Vergleich spitze. In vielen dieser Fälle müsse der Patient allerdings gar nicht behandelt werden.

„Die Last im Gesundheitswesen ist durch die hohen Fallzahlen zu groß“, betonte Scholz, der auch als Vorstandsvorsitzender des Verbandes des Universitätsklinika Deutschlands (VUD) aktiv ist. „Deshalb müssen wir Regeln und Leitplanken für die Steuerung der Patienten im System festlegen.“ Dafür müssten auch andere finanzielle Anreize für die Leistungserbringer gesetzt werden. Denn heute setze das System Anreize für eine Überversorgung: Anreize, zum Beispiel, Untersuchungen durchzuführen, die nicht notwendig sind.

Verantwortung benennen

Zudem müsse, so Scholz, die Denke der Patientinnen und Patienten durchbrochen werden: Ich zahle Krankenkassenbeiträge, also will ich auch etwas dafür haben.

Der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), Roland Engehausen, betonte: „Es ist wichtig, jemanden zu benennen, der die Verantwortung für die Patientensteuerung hat.“ Heute gebe es niemanden. Ein Appell an die Menschen reiche in jedem Fall nicht aus. „Wir müssen ein Regelwerk schaffen, dass die Patientensteuerung vorsieht“, so Engehausen.

In den Niederlanden, zum Beispiel, lohne es sich für die Akteure, die Patienten zu steuern. In Dänemark auch. In Deutschland allerdings nicht. „Da fehlt ein Anreiz“, sagte Engehausen. Und dieser Anreiz müsse gesetzt werden. Denn „wir müssen alles dafür tun, um den Behandlungsbedarf in unserem überlasteten System zu reduzieren.“

fos

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