Fachleute drängen auf nationale Strategien für demografischen Wandel

Berlin – Fachleute aus Pharmaindustrie und Politik haben sich für stärkere Anstrengungen ausgesprochen, um Gesundheitssysteme auf den demografischen Wandel vorzubereiten.
Regierungen müssten Maßnahmen ergreifen, um alternden Gesellschaften, einem zurückgehenden Bevölkerungswachstum und Fragen der Generationengerechtigkeit zu begegnen, sagte der CEO der Unternehmensinitiative Global Coalition on Aging, Michael Hodin, bei einer Konferenz in Berlin.
Dazu gehöre insbesondere auch eine stärkere Einsicht, dass Investitionen in Prävention Gesundheitssystemen weit größere Kosten in der kurativen Medizin ersparen könnten, erklärte Aylin Tüzel, Leiterin der Abteilung Impfstoffe bei Pfizer.
So sei die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls bei an Influenza erkrankten Menschen über 60 Jahren um das Fünffache erhöht. „Wir müssen das Vertrauen in Impfungen mit Hilfe von Regierungen erhöhen“, forderte Tüzel.
In den USA habe man das bereits erkannt, erklärte Madeleine Breckon, Vice President Vaccines Pipelines, Product Communication and Government Affairs bei GlaxoSmithKline (GSK). So enthalte der Inflation Reduction Act der US-Regierung Maßnahmen, die den Zugang zu Schutzimpfungen für Millionen US-Bürger erleichterten.
Bisher würden sich solche Ansätze jedoch auf Einzelmaßnahmen beschränken, kohärente Gesamtstrategien zum Umgang mit dem demographischen Wandel ließen sich kaum erkennen, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan, Gründer des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel. „Was wir brauchen, ist eine nationale demographische Strategie“, forderte er.
Auf europäischer Ebene habe man bereits den richtigen Weg eingeschlagen, beteuerte demgegenüber Ron Korver, Mitglied des Kabinetts der für Demokratie und Demographie zuständigen Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Dubravka Šuica.
Die Europäische Union (EU) habe nun erstmals Demographie als eigenständigen Politikbereich definiert und werde sich dem Thema in der neuen Legislaturperiode stärker als bisher widmen. Dabei gebe es allerdings auch erhebliche Widerstände zu überwinden, räumte er ein.
„Wenn man über das Thema spricht, sind alle enthusiastisch“, sagte Korver. „Aber wenn man dann versucht, flexiblere Renteneintrittsregeln einzuführen oder auch nur Lizenzen für intergenerationelle Wohnprojekte zu erhalten, sind die Menschen oft schon tot, bevor es so weit ist.“
Optimistischer zeigte sich die Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta (Grüne). Politik für eine alternde Gesellschaft zu machen, werde in Zukunft eher leicht sein. Schließlich sei ein zunehmender Anteil der Bevölkerung selbst davon betroffen.
„Deutschland ist unglaublich schlecht in der Prävention“, räumte Piechotta ein. „Das wissen wir schon seit vielen Jahren, aber es war immer genug Geld im System.“ Das ändere sich jedoch im Moment. „Wir haben jetzt zum ersten Mal genug Druck auf dem System, um das zu ändern.“
Das Gesunde-Herz-Gesetz sei einer der ersten Ansätze, Prävention stärker gesetzlich zu verankern, zeige aber auch, dass es immer noch sehr schwer sei, das Thema im Parlament zu diskutieren. Der „politische Albtraum Krankenhausreform“ verdeutliche darüber hinaus, wie schwierig es sei, grundlegende strukturelle Reformen umzusetzen.
Hinzu komme der medizinische Fortschritt, der sich in den vergangenen Jahren in bisher ungesehenem Maße beschleunige, aber eben auch finanziert werden müsse, betonte Stephane Epelbaum, Leiter der Abteilung Neurodegenerative Erkrankungen und Schmerz bei Eli Lilly.
Insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz würden mittlerweile trotz aller Rückschläge Fortschritte gemacht, die noch vor einigen Jahren niemand erwartet hätte.
„Noch 2018 hätte niemand geglaubt, dass man Alzheimer mit einem Bluttest diagnostizieren kann“, sagte er. Mittlerweile scheine es realistisch, dass die Krankheit mit Bluttests durch Hausärzte festgestellt werden könne, bevor sie in Laboruntersuchungen bestätigt werde. Die Staaten müssten beginnen, nationale Pläne zu erarbeiten, die auch Ausgaben für solche Fortschritte umfassten.
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