Forschende kritisieren inakzeptables Monitoring von Studien

Berlin – Wissenschaftliche Studien sollten vorab registriert und die Ergebnisse innerhalb eines Jahres nach Studienende publiziert werden. Auf diese Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2017 verweisen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihren Förderprogrammen sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Ähnlich wie auch andere Einrichtungen in der Europäischen Union werden diese Richtlinien jedoch meist nicht zwingend verlangt oder überwacht.
So kommt eine kürzlich als Preprint erschienene Analyse zu dem Schluss, dass die DFG bis Herbst 2022 nur drei der elf WHO-Empfehlungen umgesetzt hat und das BMBF vier (MedRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.04.05.23288169).
Forschende vom QUEST Center for Transforming Biomedical Research, Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité Berlin und Cochrane Deutschland haben mehrere hundert von deutschen akademischen Institutionen gesponsorte klinische Studien identifiziert, die anscheinend niemals ihre Ergebnisse publik gemacht haben (Journal of Clin Epidemiology, DOI: 10.1016/j.jclinepi.2021.12.012). Fünf Jahre nach Abschluss waren von fast 1.700 analyiserten Studien noch 30 Prozent unveröffentlicht.
In einer Anfrage hat die internationale gemeinnützige Kampagnengruppe Transparimed die DFG und das BMBF Ende 2022 aufgefordert, die Zahl der nicht registrierten und der nicht veröffentlichten Studien offenzulegen (Anfrage BMBF Dezember 2022/November 2022 und Anfrage DFG November 2022).
Das BMBF antwortete, dass sie keine Auskunft geben könnten, da sie nicht wissen, ob die vom BMBF finanzierten Studien registriert wurden oder ihre Ergebnisse veröffentlicht wurden. Auch die DFG gab auf die Anfrage hin zu, dass ihnen derzeit die Übersicht fehle. Sie bereiten aber aktuell eine Evaluation ihres Programms Klinische Studien vor. Im Rahmen dieser Evaluation sollen unter anderem auch die angefragten Daten erhoben und bearbeitet werden, hieß es in der Antwort der DFG.
Die Ausschreibung für die Durchführung dieser Evaluation werde gegen Ende dieses Jahres erfolgen, teilte die DFG-Pressestelle auf Anfrage mit. Bis dahin bereite die DFG-Geschäftsstelle die Datenlage vor. Es wurde zudem eine Evaluierungskommission gebildet, die sich im September 2023 treffen werde, um die Evaluation zu begleiten.
BMBF und DFG in der Kritik
Derweil steigt der Druck von Forschenden. Der Gründer von TranspariMED ist nur einer von neun Vertretern aus Wissenschaft und Industrie, die unter Koordination von Cochrane Deutschland jetzt Kritik an der mangelhaften Umsetzung der WHO-Empfehlungen zur Studienregistrierung und -Veröffentlichung äußern: „Wir finden es inakzeptabel, dass manche Empfänger von BMBF-Fördermitteln in Ermangelung eines konsequenten Monitorings klinische Studien nicht prospektiv registrieren und/oder ihre Ergebnisse nicht innerhalb von 12 Monaten veröffentlichen, wie vom BMBF gefordert“, heißt es in einem Brief, den das BMBF heute erhalten hat und der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Auch die DFG hat heute einen fast identischen Brief erhalten, in dem das mangelnde Monitoring der zeitnahen Veröffentlichung von Studienergebnissen kritisiert wird. Im Gegensatz zum BMBF kontrolliert die DFG aber die Vorabregistrierung.
Zu den neun Unterzeichnern der beiden Briefe zählen der Vorstand von Cochrane Deutschland, Jörg Meerpohl, sowie Stefan Sauerland vom EBM-Netzwerk, Till Bruckner von Transparimed und sechs weitere Vertreter von der Universities Allied for Essential Medicines (UAEM), von Leitlinienwatch.de, vom Verein zur Förderung der Technologiebewertung im Gesundheitswesen HTA.de, der Buko Pharmakampagne, der Ärzteinitiative MEZIS und von Transparency International Deutschland.
UK und USA führen Kontrollen ein
Die Gruppe verweist auf eine deutlich strengere neue Gesetzgebung im Vereinigten Königreich, die als Vorbild dienen könnte (Transparimed 2023). Sie biete ein „wasserdichtes System der Registrierung von Studien/Ergebnissen“, teilte ein Sprecher von Cochrane dem DÄ mit. Auch in den USA gab es gerade neue Entwicklungen, wie Science Ende Mai berichtete. Demnach hat das US-amerikanische National Institutes of Health (NIH) seit Juli 2022 mehr als 200 säumige Forschende zur Einhaltung der Vorschriften gebracht. Den Wissenschaftlern wurde mitgeteilt, dass das NIH keine weiteren Forschungsarbeiten genehmigen würde, solange sie sich nicht an die Regeln hielten.
Die Gruppe aus Deutschland bittet nun in ihrem Brief um ein Treffen mit der DFG beziehungsweise mit dem BMBF im Sommer 2023, um die Situation auch in Deutschland und in der EU zu verbessern. Unklar sei auch, warum weder DFG noch das BMBF die WHO-Erklärung bisher formell unterzeichnet hätten und wie die Pläne in dieser Sache aussehen.
„Ein entsprechendes Gesuch an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde bereits abgelehnt“, gibt Cochrane Deutschland zu Bedenken. Das BfArM begründete dies mit dem neu aufgesetzten Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS), in dem man an die Registrierung auch der Ergebnisse erinnert werde. Das BfArM wolle erstmal die Ergebnisse der jüngst verbesserten Anwendung abwarten, berichtete ein Sprecher von Cochrane Deutschland.
Auch der Marburger Bund sprach das Thema bei seiner 141. Hauptversammlung Mitte Mai in Essen an. Sie forderten: Wenn eine Studie abgebrochen wurde, müssten die Gründe dafür publiziert werden. Jede Erkenntnis aus klinischen Studien könne veränderte Behandlungskonzepte nach sich ziehen und bisherige Gewissheiten in Frage stellen. „Da es sich meist um öffentlich geförderte Forschung handelt, sollten die zuständigen staatlichen Institutionen darauf bedacht sein, dass das Publikationsgebot auch tatsächlich eingehalten wird. Bei Verstößen dürfen auch finanzielle Sanktionen kein Tabu mehr sein“, heißt es im Beschluss des Verbandes der angestellten Ärztinnen und Ärzte.
Mehr als die Hälfte deutscher Studien wird zu spät registriert
Die WHO geht davon aus, dass etwa 50 Prozent der klinischen Studien nicht registriert werden, oft weil die Ergebnisse negativ seien (BMJ Opinion 2017). Studien aus den vergangenen Jahren haben immer wieder bestätigt, dass an deutschen Universitätskliniken durchgeführte klinische Studien nicht vor Studienbeginn registriert und die Ergebnisse weder in Studienregistern noch in akademischen Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Eine Analyse von fast 2.000 mit Peer Review publizierten Studien, die bei ClinicalTrials.gov oder im Deutschen Register Klinischer Studien registriert waren ergab: Fast 54 Prozent wurden nachträglich publiziert und nicht wie von der WHO empfohlen vorab (BMJ Open 2023; DOI: 10.1136/bmjopen-2022-069553).
Selbst Veröffentlichungen bei Mitgliedszeitschriften des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) wiesen keine signifikant höheren Raten prospektiver Registrierungen auf. Publikationen in Zeitschriften, die laut eigener Angaben den ICMJE-Empfehlungen folgen, zeigten deutlich niedrigere Raten im Vergleich zu nicht ICMJE-folgenden Zeitschriften.
Hingegen hielten sich von der Industrie gesponserte Studien häufiger an die empfohlene Vorab-Registrierung. Bei 31 Prozent (294/956) der Studien erfolgte die Registrierung zwischen dem Abschluss der Studie und der Veröffentlichung (im Median 370 Tage vor der Veröffentlichung). Weitere drei Prozent (25/956) der Studien wurden nach der Veröffentlichung registriert (im Median 249 Tage nach der Veröffentlichung).
Die Deklaration von Helsinki und die Standards der WHO (Joint statement on public disclosure of results from clinical trials) besagen, dass die prospektive Registrierung und Ergebnisberichterstattung klinischer Studien eine ethische Verantwortung darstellt. Das Dokument führe eine Reihe von Prinzipien auf, die Geldgeber der medizinischen Forschung weltweit übernehmen sollten, um sicherzustellen, dass alle klinischen Studien vorab registriert und ihre Ergebnisse umfassend und schnell veröffentlicht werden, heißt es im Brief der deutschen Forschergruppe an DFG und BMBF.
Ziel der WHO-Richtlinien sei es, die Verschwendung von Forschungsressourcen zu reduzieren, Publikationsbias zu verringern und medizinischen Fortschritt zu unterstützen. Das europäische Recht schreibt die prospektive Registrierung von Arzneimittelversuchen ausdrücklich vor.
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