Politik

Für ein breites Coronarepertoire im Herbst

  • Montag, 18. Juli 2022
/Ralf Geithe, stock.adobe.com
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Berlin – Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dringt angesichts einer erwarteten schweren Corona­welle im Herbst auf umfassende Möglichkeiten zum Gegensteuern mit staatlichen Schutzvorgaben.

Es werde „ein breites Repertoire von Schutzmaßnahmen“ notwendig sein, hieß es heute aus Ministeriums­krei­sen. Die Länder müssten vieles machen können, um auf die Lage reagieren zu können. „Die Bundesländer müssen bei den Schutzmaßnahmen entfesselt werden“, twitterte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute.

Angesichts der ansteckenderen Virusvariante BA.5 sei für den Herbst „eine prekäre Situation“ wie bei einer an beiden Enden brennenden Kerze zu erwarten: mit einerseits nicht nur vielen, sondern sehr vielen Infektions­fällen in der Bevölkerung – und andererseits ebenfalls vielen infiziert ausfallenden Pflegekräften oder Ärzten, ist aus dem BMG zu vernehmen.

In der Regierung verhandelt Lauterbach derzeit mit Bundesjustizminis­ter Marco Buschmann (FDP) über ein Konzept für den Herbst. Die zum Frühjahr vor allem auf Drängen der FDP deutlich zurückgefahrenen Corona­bestimmungen im Infektionsschutzgesetz laufen am 23. September aus.

Sie sind Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen in den Ländern und definieren mögliche Instrumente. Zu­letzt fielen etwa allgemeine Maskenpflichten für Veranstaltungen und beim Einkaufen weg. Die Koalition strebt ein Konzept möglichst noch im Juli an.

Das BMG will zudem praktische Vorbereitungen für den Herbst vorantreiben. Geplant ist unter anderem eine neue größere Impfkampagne, für die wohl vier Impfstoffe bereitstehen sollen. Ziel sei, einen dann möglicher­weise besonders gut geeigneten Impfstoff auch allen anbieten zu können, hieß es in den Kreisen weiter.

Der Preis dieser Strategie sei, dass von anderem Impfstoff dann viel nicht zu verwenden und am Ende auch zu vernichten wäre. Alternativ müsste man sich auf ein Präparat festlegen, das dann aber womöglich angesichts der Virusvariante nicht das optimale sein könnte.

Für den Herbst geplant sind zudem weitere Regelungen. Um den Einsatz von Medikamenten bei Infizierten zu beschleunigen, sollen behandelnde Ärzte das Präparat Paxlovid abgeben dürfen – nicht nur Apotheken. Um ta­gesaktuelle Daten zu den betreibbaren Betten zu bekommen, sollen Kliniken voraussichtlich ab Mitte Sep­tember an ein digitales Meldesystem angeschlossen sein müssen, wie es vom Ministerium hieß.

Derzeit seien es weniger als 100 von rund 2.000 Häusern. Zum Vermeiden von Abrechnungsbetrug bei Coro­na­bürgertests sollen den Angaben zufolge künftig auch Daten für Plausibilitätsüberprüfungen an das Robert-Koch-Institut (RKI) gehen. Bei Auffälligkeiten könnten dann die Kommunen Teststellen kontrollieren lassen.

Maskenpflicht wird eine Rolle einnehmen

Auch im Streit um das Thema Maskenpflicht zeichnen sich Einigungen ab. „Die Wirksamkeit von Masken für den Einzelnen in Innenräumen ist unstreitig“, sagte Buschmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Deswegen wird eine Form der Maskenpflicht in Innenräumen in unserem Konzept sicher eine Rolle spielen.“ Lauterbach ist grundsätzlich für Maskenvorgaben.

Buschmann sagte: „Wir müssen sehr ernst nehmen, was uns im Herbst und Winter erwartet.“ Er sei guter Din­ge, „dass wir Ende des Monats ein Konzept haben, das wir dann im August mit den Ländern besprechen, und im September bringen wir die Änderung des Infektions­schutzgesetzes durch das Parlament.“ Laut einer vor­läufigen Planung der Tagesordnung könnte der Bundestag die Neuregelungen in der ersten Sitzungswoche nach der Sommer­pause am 8. September beschließen.

Buschmann versicherte: „Wir verlieren keine Zeit.“ Der Vorschlag werde klare und verständ­liche Regeln schaf­fen, die „grundrechtsschonend, also verhältnismäßig“ seien. „Wir sind uns einig in der Koalition, dass es keinen Lockdown mehr geben wird, keine pauschalen Schul­schließungen und auch keine Ausgangssperren.“ Das seien „unangemessene Instrumente im dritten Jahr der Pandemie“.

In den Coronavorbereitungen für den Herbst kommen aus den Ländern nachdrückliche Rufe nach mehr Ein­griffsmöglichkeiten bei kritischer Pandmielage. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek begrüßte es, dass Buschmann die Wirksamkeit von Masken vor allem auch in Innenräumen endlich als „unstreitig“ be­zeichne.

„Zu dieser Erkenntnis zu kommen, hat lange genug gedauert“, sagte der CSU-Politiker. Die Ampelkoalition müsse nun einen Entwurf liefern. Für die Länder sei von zentraler Bedeutung, alle notwendigen Schutzmaß­nah­men schnell, effektiv und rechts­sicher treffen zu können. „Wir müssen weg von diesem Schlafwagenkurs“, forderte Holetschek.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil verlangte baldige Klarheit aus Berlin über den Rechtsrahmen für die Länder. „Der Bund hat die Länder entwaffnet. Wir benötigen bis Mitte September eine Entscheidung“, sagte der SPD-Politiker.

„Ich hätte mir gewünscht, dass man nicht wieder in einen großen Zeitdruck hinein­läuft“, sagte er weiter. Für den Winter, dessen Verlauf man noch nicht kenne, müssten unterschiedliche Instrumente parat stehen.

„Dass dann schärfere Instrumente nicht genutzt würden, wenn es nicht notwendig ist, halte ich für selbst­ver­ständlich. Aber dass man sie nicht zur Verfügung hat, wenn sie notwendig werden, das sollten wir uns nicht antun.“

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) forderte eine Rechtsbasis mit weitreichenden Hand­lungsspielräumen. „Da reichen mir Möglichkeiten nur auf der Ebene der Landkreise nicht aus, das ist in einem Flächenland nicht praktikabel“, sagte er. „Die Menschen wollen klare und einheitliche Regelungen.“ Woidke sagte, welche Maßnahmen im Herbst notwendig werden, hänge davon ab, mit welcher Virusvariante man es zu tun haben werde.

Derzeit gebe es zwar viele Infektionen, aber weniger gravierende Verläufe. Das könne sich mit einer anderen Variante ändern. „Wir brauchen die richtigen Instrumente, um dann einzugreifen, wenn wir Gefahr laufen, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird“.

Die brandenburgische Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte den Potsdamer Neuesten Nachrichten: „Wir bräuchten unter anderem eine Maskenpflicht im Einzelhandel, Hygienekonzepte und Abstandsregeln.“

Weil bekräftigte Kritik daran, dass Coronabürgertests nicht mehr für alle kostenlos sind. „Man kann nicht auf der einen Seite vor einer schwierigen Situation im Herbst warnen und andererseits Instrumente zur Früher­kennung herunterfahren. Das passt nicht zusammen.“

Tests seien nicht das Allheilmittel, es habe sich aber etabliert, dass Menschen, wenn sie sich nicht wohlfühl­ten, einen Schnelltest machen. „Ob diese Menschen jetzt loslaufen und für drei Euro einen Bürgertest machen, da mache ich ein Fragezeichen“, sagte Weil.

dpa/afp

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