Fünf Jahre Coronapandemie: Weitere Kontroverse in ZDF-Talkshow

Berlin – Nach dem fünften Jahrestag des Beginns der Coronapandemie haben sich mehrere der damals viel präsenten Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik erneut kontroverse Debatten im Fernsehen geliefert. In der Talkshow von Moderator Markus Lanz (ZDF) diskutierten die Gäste gestern Abend etwa über die damalige Kommunikation zur SARS-CoV-2-Impfung und über Belastungen für Kinder und Jugendliche sowie Pflegebedürftige.
Ein großer Teil des Gesprächs drehte sich um Formulierungen wie die Warnung vom inzwischen geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer womöglich kommenden „Killervariante“ des Virus.
Der SPD-Politiker war in der Talkrunde vertreten, ebenso die damalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, daneben die Virologen Alexander Kekulé und Jonas Schmidt-Chanasit sowie Hendrik Streeck, der inzwischen für die CDU in den Bundestag gewählt wurde. Lanz zufolge war auch Charité-Virologe Christian Drosten eingeladen, der Wissenschaftler sei dieser aber nicht gefolgt.
Eine Aufarbeitung der Pandemie ist inzwischen auf bundespolitischer Ebene geplant, wie es im vor wenigen Tagen vorgestellten Koalitionsvertrag von Union und SPD für die nächste Legislaturperiode heißt. Demnach soll eine Enquete-Kommission sich umfassend mit jener Zeit befassen. Ziel sind insbesondere Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse.
Die wissenschaftliche und teils auch die politische Aufarbeitung sei im Gang, gesellschaftlich gebe es aber noch einiges zu besprechen, sagte Buyx. Sie gab zu bedenken, dass es damals um „wirklich sehr schwere Entscheidungen“ und Abwägungen gegangen sei. „So zu tun im Rückblick, als hätte man das irgendwie optimal machen können, das geht einfach nicht.“ In solchen Situationen verliere immer irgendwer etwas.
In der Runde schlug die Medizinethikerin versöhnliche Töne an: „Wir haben alle das gleiche Interesse, wir wollen was lernen, wir wollen besser gerüstet sein für Herausforderungen der Zukunft.“ Buyx begrüßte, dass es mit der Zeit zu Verbesserungen der Politikberatung gekommen sei, für die Zukunft erachte sie zudem die Einführung eines „Chief Scientific Advisor“ als hilfreich.
Lauterbach trat in der Sendung Vorwürfen etwa der Angstmacherei entgegen und erinnerte an 60.000 Tote, die es noch im Herbst/Winter vor der Einführung der Coronaimpfung gegeben habe. Diese Zahl zeige für ihn eher, dass in jener Zeit noch mehr Menschen hätten geschützt werden müssen. Es dürfe nicht im Nachhinein so getan werden, als sei alles harmlos gewesen. „Es ist einfach falsch zu sagen, wir haben immer zu drastisch gewarnt – die Leute sind ja tatsächlich gestorben“, betonte Lauterbach.
Die Diskussion rund um einzelne Zitate kritisierte der SPD-Politiker scharf. „Eine ehrliche Aufarbeitung kann sich nicht an misslungenen Äußerungen orientieren“ sagte er. Buyx betonte zum Thema Impfentscheidung, dass die damalige Diskussion vielseitiger gewesen sei als im Nachhinein dargestellt. „Heute fokussieren wir aber schon wieder auf einzelne Aussagen, die dieses sehr abgrenzende Potenzial haben.“
„Diese Debatte ist eine Debatte, die Zweifel sät und uns aus meiner Sicht nicht weiterbringt“, sagte der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister. In Richtung von Streeck, Kekulé und Schmidt-Chanasit sagte er: „Ich wüsste von jedem von ihnen Dreien Zitate, die falsch gewesen sind, ich bringe das aber nicht. Das bringt uns keinen Millimeter weiter.“ Er warnte davor, in der Sendung „neue Falschnachrichten“ zu verbreiten.
Streeck konstatierte, dass durch die Pandemie bei Teilen der Bevölkerung, insbesondere in Ostdeutschland, das Vertrauen in die Regierungsarbeit verloren gegangen sei. Er bemängelte sprachliche Verkürzungen und mangelnde Transparenz, etwa im Umgang mit Hypothesen zum Virusursprung. Er kritisierte auch den Druck, der auf Ungeimpfte ausgeübt worden sei.
Kekulé sah eine gesellschaftliche Spaltung als höchsten Preis der Pandemie und warf der Politik vor, Angst als Instrument eingesetzt zu haben. Er sprach von einer „Propaganda der Gutmeinenden“.
Dies wies Lauterbach entschieden zurück: „In Deutschland gab es zum damaligen Zeitpunkt, soweit ich das beurteilen kann, von der Bundesregierung, der ich damals nicht angehörte, keine Propaganda. Das ist etwas anderes.“ Lauterbach war im Dezember 2021 in das Amt gekommen, sein Vorgänger war Jens Spahn (CDU).
Als wichtigsten Einzelfehler der Pandemie bezeichnete Lauterbach die Priorisierung der Wirtschaft im Vergleich zu den Schulen durch die Politik: „Hätten wir mehr Zwang zum Homeoffice durchgesetzt [...], wären wir tatsächlich wirtschaftlich etwas schlechter durchgekommen, aber die Kinder hätten davon stark profitiert.“
Schmidt-Chanasit kritisierte als großen Schaden der Pandemie, dass Vertrauen in die Ständige Impfkommission (STIKO) verloren gegangen sei. Er verwies in dem Zusammenhang auf Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU).
Lauterbach und Buyx unterstrichen den Nutzen der Coronaimpfung. „Es hat noch nie eine Impfung gegeben in der Geschichte der Menschheit, die so intensiv untersucht worden ist wie die Coronaimpfung“, sagte Lauterbach. Dass es Nebenwirkungen und auch langfristige Folgen/PostVac gebe, bestreite niemand.
Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für Virologie (GfV) waren nicht in der Sendung zu Gast. Die Fachgesellschaft hatte erst Ende März eine ausführliche Stellungnahme mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu besonders umstrittenen Themen der Pandemie vorgelegt und kritisiert, dass es in der der gesellschaftlichen Debatte „zu zunehmenden Verzerrungen wissenschaftlicher Fakten und zeitlich-inhaltlicher Bezüge“ komme, insbesondere wenn es um die Eindämmungsmaßnahmen und die Impfung gehe.
„Die Vernachlässigung wissenschaftlicher Argumentationsstandards in Teilen der öffentlichen Diskussion und der Einfluss von politisch motivierten Meinungsäußerungen hat das Vertrauen der Bevölkerung in wissenschaftliche Entscheidungsgrundlagen der Politik beeinträchtigt“, schreibt die GfV. Man beobachte diese Entwicklung mit Sorge: Sie erschwere eine objektive wissenschaftliche Aufarbeitung der Pandemie.
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