GenomDE: Genommedizin auf dem Weg in die Regelversorgung

Berlin – Die Genommedizin beziehungsweise „personalisierte“ Medizin wird in einigen Jahren Bestandteil der Regelversorgung in Deutschland sein. Diese optimistische Annahme vertraten gestern die Teilnehmer des ersten genomDE-Symposiums in Berlin mit Blick auf die im Dezember 2021 gestartete Plattform zur medizinischen Genomsequenzierung „genomDE“. Nach Schaffung der rechtlichen Grundlagen im Juli vergangenen Jahres wird derzeit die entsprechende Dateninfrastruktur aufgebaut.
GenomDE nehme bereits Gestalt an, betonten die Expertinnen und Experten beim Symposium „Versorgung und Forschung Hand in Hand“. Zunächst sollen Krankheitsbilder im Bereich der Onkologie und der Seltenen Erkrankungen über ein im Paragraf 64 e Sozialgesetzbuch V verankertes Modellvorhaben zur Genomsequenzierung eine Vorreiterrolle einnehmen. In einigen Monaten, ab Januar 2023, soll über das Modellprojekt die personalisierte Medizin zu diesen Erkrankungen Einzug in die breite Gesundheitsversorgung finden.
Aber auch Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen könnten in den nächsten Jahren von der Genommedizin und dem Aufbau der nationalen Plattform zur Ganzgenomsequenzierung und -datennutzung profitieren, sagte Christine Klein von Institut für Neurogenetik der Universität Lübeck.
Zu den Krankheiten, die später eingeschlossen werden könnten, gehörten immunologische oder neurologische Erkrankungen, wie Morbus Parkinson, aber auch beispielsweise Diabetes Typ I.
Langfristig soll durch genomDE allen Patientinnen und Patienten der Zugang zur Genommedizin ermöglicht werden, wenn genomische Informationen zur zielgerichteten Diagnose, Therapie und Prävention ihrer jeweiligen Erkrankung von Nutzen sein können. „Dieser Versorgungsaspekt ist wichtig“, sagte Sebastian C. Semler, gestern zur Eröffnung des ersten genomDE-Symposiums.
Zugleich solle genomDE einen wichtigen Baustein einer künftigen Forschungsdateninfrastruktur im deutschen Gesundheitswesen bilden, erklärte der Geschäftsführer der Technologie- und Metho¬denplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF), die die Koordination des vom Bundesgesundheitsministeriums geförderten Pilotprojekts genomDE übernommen hat.
Die grundsätzlichen Ziele und Herausforderungen der nationalen Strategie für Genommedizin genomDE hätten bereits Anfang 2019 festgestanden, als das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Initiative startete, betonte Petra Brakle vom BMG. Noch viel zu oft würden bislang Standardtherapien – beispielsweise in der Onkologie - eingesetzt, obwohl personalisierte Medizin nötig wäre.
Jetzt gehe es darum, eine datenbasierte und wissensgenerierende Versorgung in Deutschland aufzubauen, sagte sie. Allerdings seien Genomdaten auch sensible persönliche Daten. „Das Gesundheitssystem ist jedoch in der Lage, diese Daten sicher zu erheben und sicher zu nutzen“, betonte Brakle.
Als Grundlage dafür sei das Vertrauen der Patientinnen und Patienten notwendig. Das Modellvorhaben könne dann im kommenden Jahr die Translation schaffen. „Deutschland ist es auf diese Weise möglich, von Anfang an anschlussfähig an die europäischen Entwicklungen zu bleiben.“
„Die Genommedizin ist eine aufstrebende Medizin, die die Nutzung genomischer Informationen in der klinischen Versorgung zum Gegenstand hat“, sagte Michael Krawczak vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, der dem Symposium gestern per Video zugeschaltet war. Die Genommedizin habe das Potenzial, die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten entscheidend zu verbessern.
„Die Genommedizin sollte deshalb in Deutschland den Status erhalten, den sie verdient.“ Dieses Symposium sei der Auftakt.
Mit der Möglichkeit, das entschlüsselte Genom für die Patientenversorgung zu nutzen, stünde man aber zugleich vor großen ethischen Aufgaben, erklärte Krawczak. So müssten Protokolle zum Umgang mit Zusatzbefunden entwickelt werden. Zudem müsse die Genomsequenzierung immer mit genetischer Beratung verbunden sein. Eine Nutzung der Daten für Forschungszwecke dürfe nur nach informierter Einwilligung erfolgen.
Deutschland habe mit der Entwicklung der Genommedizin lange gewartet, bedauerte Hilger Ropers vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. In der der High-Tech-Strategie 2025 des Bundesforschungsministeriums sei die Genommedizin noch unerwähnt geblieben. „Erst im Januar 2020 erfolgte dann der Beitritt Deutschlands als in die EU-Genom-Initiative 1+ Million Genomes - als 21. EU-Mitgliedstaat“, sagte er.„Mit genomDE hat Deutschland jedoch die Chance, auf diesem Gebiet wieder zur Weltspitze aufzuschließen.“
Zur Erinnerung: Das erste vollständige menschliche Genom wurde im Jahr 2003 sequenziert. Seitdem hat sich die Forschung rasant weiterentwickelt und gezeigt, dass bestimmte Patientinnen und Patienten erheblich von der Analyse ihrer Genomsequenzen profitieren können.
Mittlerweile werden bei praktisch allen fortgeschrittenen Krebserkrankungen genomische Analysen für individuelle Therapieangebote genutzt, insbesondere wenn die Standardoptionen ausgeschöpft sind.
Zentren für personalisierte Medizin im Deutschen Netzwerk für personalisierte Medizin bieten zwar bereits ein Versorgungsangebot. Durch ihre Vernetzung unter dem Dach von genomDE soll es jedoch künftig möglich werden, die Erkenntnisse einzelner Zentren rasch in eine flächendeckende, wissensbasierte Versorgung zu überführen und die Forschung zu intensivieren.
Gestärkt werden soll durch „genomDE“ auch die internationale medizinische Forschung. Denn ähnliche Projekte wie genomDE sind auch in anderen europäischen Ländern gestartet. Ziel ist, diese innerhalb der 1+Million Genomes Initiative der EU miteinander zu verknüpfen. Diese will mehr als eine Million Genome zu sequenzieren und damit die Gesundheitsversorgung in Europa verbessern.
Denn gerade bei seltenen Erkrankungen oder auch bei speziellen Tumorerkrankungen reichen die regional oder national vorhandenen Patientenzahlen oft nicht für aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen aus. Durch die europäische Initiative sollen deshalb Daten europaweit systematisch zusammengeführt werden – unter der strengen Beachtung von Datenschutz und Datensicherheit.
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