Geteiltes Echo zum Referentenentwurf für ein Triage-Gesetz

Berlin – Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für ein Triage-Gesetz stößt auf ein geteiltes Echo. Viele Verbände und Organisationen bemängeln nicht nur ihre unzureichende Beteiligung im Vorfeld, sondern sehen immer noch eine mögliche Benachteiligung von Menschen mit Behinderung im Falle einer Überlastung des Gesundheitssystems. Die Klarstellung und die Festlegung der Zuteilungskriterien im Falle einer Triage wird dagegen von vielen Verbänden als positiv bewertet.
Unzufrieden mit dem Entwurf, zu dem es in der kommenden Woche eine Anhörung geben soll, sind die Ärzte: Im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender überlebenswichtiger, intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten müssten diese auf einen sicheren Rechtsrahmen vertrauen können, fordert der Marburger Bund.
Der Referentenentwurf werde diesem Anspruch nicht gerecht und weise Unklarheiten auf. Ärztinnen und Ärzten müssten weiterhin eine einzelfallbezogene Entscheidung zur priorisierten Allokation medizinischer Ressourcen in pandemiebedingten Ausnahmesituationen treffen können, ohne dass sie sich mit dieser Zuteilungsentscheidung rechtlichen Risiken aussetzen, betont der Ärzteverband.
Zudem würde in dem Entwurf die Begrenzung der personellen Kapazitäten in der stationären Versorgung bei Triage-Situationen vernachlässigt, kritisiert der MB. Zusätzliche Anforderungen an die Ärzte, wie beispielsweise ein kompliziertes Mehraugenprinzip und umfangreiche Dokumentationspflichten, würden ohne weitere Ressourcen das vorhandene Personal zusätzlich belasten und könnten damit das angestrebte Ziel, Leben und Gesundheit von Patienten mit Behinderungen wirkungsvoll zu schützen, in sein Gegenteil verkehren.
In extremen Zeiten einer Pandemie könne der Fall eintreten, dass alle Betten belegt seien, weil die Zahl Erkrankter schnell und stark zunehme und zudem auch längere Liegezeiten hätten. Ein Ausschluss der Ex-post-Triage würde unter diesen Umständen möglicherweise dazu führen, dass neu hinzukommende Patienten mit ebenfalls schwerwiegenden Erkrankungen, aber höherer kurzfristiger Überlebenschance nicht intensivmedizinisch behandelt werden könnten, heißt es in der MB-Stellungnahme.
„Dieser ‚first come first serve‘-Grundsatz wäre weder ethisch begründbar noch mit der Realität in deutschen Krankenhäusern vereinbar. Es muss die Möglichkeit geben, beispielsweise einen Patienten, der auch nach langer Beatmungszeit nur noch geringe Überlebenschancen hat, palliativ zu behandeln, wenn ein neu hinzukommender mit besseren Chancen dessen Bett dringend zur nur kurzfristigen intensivmedizinischen Behandlung benötigt.“
Für die Diakonie, den Deutschen Evangelischen Krankenhausverband (DEKV) und den Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe (BeB) verdeutlicht der Entwurf, dass eine Triageentscheidung nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen vorgenommen werden darf.
Die Gebrechlichkeit, das Alter, das Vorliegen einer Behinderung, die verbleibende Lebenserwartung und die vermeintliche Lebensqualität der Patienten dürfe für eine Beurteilung explizit nicht herangezogen werden.
„Ich begrüße, dass in dem Gesetzentwurf nun ein klares Entscheidungskriterium steht: Bei der Triage entscheidet nur die aktuelle kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit eines Menschen“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Damit folge der Entwurf allein der Maxime, bei knappen Ressourcen so viele Leben wie möglich zu retten. Trotzdem blieben Fragen offen.
So sieht der Gesetzentwurf vor, dass im Falle einer Triage die Entscheidung nach dem Mehraugenprinzip durch intensivmedizinisch erfahrene Fachärzte erfolgt. Seien Menschen mit Behinderung von der Triageentscheidung betroffen, sei eine Person mit Fachexpertise zu dieser vulnerablen Patientengruppe sowie auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der professionellen Pflege mitberatend in die Entscheidung einzubeziehen, fordern die diakonischen Verbände.
„Pflegekräfte kennen die Patientinnen und Patienten aus der täglichen Versorgung und haben einen anderen Blick auf deren individuelle Gesundheit und Bedürfnisse. Dadurch können Pflegende wichtige Informationen beisteuern, die die medizinische Sicht sinnvoll ergänzen und letztlich dazu beitragen, unbewusste Diskriminierungen zu vermeiden“, sagte Christoph Radbruch, Vorsitzender des DEKV. Auch die ärztliche Ausbildung müsse um Inhalte zu behinderungsspezifischen Besonderheiten ergänzt werden, forderte Frank Stefan, Vorsitzender des BeB.
Zum Hintergrund: Mit dem Referentenentwurf vom 14. Juni 2022 will die Bundesregierung durch Ergänzung des Infektionsschutzgesetz (IfSG) einer möglichen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, chronischen Krankheiten und älteren Menschen vorbeugen, wenn während einer Pandemie knappe intensivmedizinische Ressourcen nur für einen Teil der Betroffenen zur Verfügung stehen.
Nötig wurde das Gesetzgebungsverfahrens durch eine Klage von Menschen mit Behinderung aus dem Sommer 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht. Es urteilte am 16. Dezember 2021, dass der Gesetzgeber keine ausreichenden Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Ungleichbehandlung für den Triage-Fall getroffen hat und forderte ihn auf, diese Benachteiligung unverzüglich zu beseitigen.
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