GKV-Finanzen: Krankenkassen wollen Druck machen

Berlin – Ohne politisches Handeln drohen kurz- und mittelfristig massive Beitragssatzsteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Davor warnten gestern mehrere Kassenvertreterinnen und -vertreter im Rahmen des Hauptstadtkongresses (HSK) mit Nachdruck und forderten Maßnahmen ein.
Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, hatte zuvor im einem Impulsvortrag eindringlich auf ein steigendes „primäres Defizit“ in der GKV aufmerksam gemacht. Selbst bei eher konservativer Rechnung müssten bereits im Jahr 2027 circa 50 Milliarden Euro über Zusatzbeiträge finanziert werden – dies liefe auf einen Zusatzbeitragssatz von 2,5 Prozent hinaus.
Zu dem im Januar diesen Jahres publik gewordenen Papier mit Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für eine stabile GKV-Finanzierung sagte Wasem, dieses biete „sicher keine Perspektiven“ für die Krankenkassen.
Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, betonte, insbesondere die nächsten zehn Jahre würden aufgrund der demografischen Entwicklung herausfordernd für die Kassen. Lasse man die Finanzentwicklung ohne Stabilisierungsmaßnahmen weiterlaufen, werde der GKV-Beitrag 2035 bei 19,3 Prozent liegen.
Klar sei schon jetzt, dass die Sozialabgaben in Deutschland entgegen der bisherigen politischen Vorgaben realistisch nicht auf 40 Prozent gedeckelt werden können, so Storm. Verhindern müsse man aber, dass die Gesamtbelastung in den nächsten zehn Jahren in Richtung 50 Prozent klettere – dies drohe Versicherte und Arbeitgeber zu überfordern.
Seiner Einschätzung nach werde es eine größere Reform bei der GKV-Finanzierung erst „unmittelbar nach der Bundestagswahl“ 2025 geben. Bringe man Einnahmen und Ausgaben wieder in Balance, könne man die GKV-Beiträge bei etwa 16 Prozent halten.
Da aber schon jetzt die Rücklagen der Kassen „wie Eis in der Sonne schmelzen“, gelte es, sich mit Blick auf laufende Gesetzverfahren intensiv gegen weitere Ausgabensteigerungen zu wehren. Storm verwies beispielhaft auf die geplante Krankenhausreform und die vorgesehene Finanzierung des Transformationsfonds in Milliardenhöhe durch die GKV.
Ein rechtliches Gutachten der Kassen zur Frage der geplanten Ausgestaltung des Transformationsfonds zeige klar, dass dies eine Zweckentfremdung von GKV-Beitragsmitteln und somit verfassungsrechtlich sehr problematisch wäre. Zu derselben Einschätzung sei auch der Bundesrechnungshof in einer gutachterlichen Stellungnahme gekommen.
„Das ist, glaub ich, eine Sprache, die man selbst im Bundesfinanzministerium versteht, wenn das Risiko auf dem Rechtsweg wieder eine gravierende Niederlage zu erleiden groß ist“, so Storm. Auch auf die Bundestagsabgeordneten werde man den Druck erhöhen.
Die Politik müsse „andere Wege gehen“, sagte Anne-Kathrin Klemm, Vorständin beim BKK Dachverband. Dem Reflex, finanzielle Lasten der GKV-Versichertengemeinschaft aufzubürden, wenn es kein Geld vom Bundesfinanzministerium gibt, dürfe man nicht stetig nachgeben.
Auch sie sprach davon, dass man hinsichtlich zu erwartender Kostensteigerungen durch in Arbeit befindliche Gesetze im parlamentarischen Verfahren „das Schlimmste“ verhindern müsse. Klemm teilte die Einschätzung Storms, dass ein größeres Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der GKV-Finanzen erst in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten ist.
Die Belastungsgrenze der Gesellschaft hinsichtlich der GKV-Kosten sei „bald“ erreicht, warnte Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse. Auch für die Wirtschaft stellten die steigenden Lohnnebenkosten ein zunehmendes Problem dar.
Eine wesentliche Ursache dafür sei, dass die Frage, ob und in welchem Umfang die Gelder der Solidargemeinschaft für außerhalb ihrer eigentlichen Zuständigkeit liegende Aufgaben genutzt würden, in den letzten Jahren „großzügig“ beantwortet worden sei, so Ballast.
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