Politik

GKV-Finanzen: Reformpaket der Linken führt zu Debatte im Bundestag

  • Freitag, 6. Juni 2025
/picture alliance, Britta Pedersen
/picture alliance, Britta Pedersen

Berlin – Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist desaströs. Die Linke will weitreichende Änderungen und vor allem Gutverdiener stärker in das Solidarsystem einbinden. Ein dahingehender Antrag führte gestern zur einer Debatte über die Zukunft der GKV-Finanzen im Bundestag.

Trotz „beispielloser Erhöhungen“ der Zusatzbeiträge sei die Situation der Krankenkassen desolat, heißt es in dem Antrag der Linkspartei, der an den Gesundheitsausschuss überwiesen wurde. „Obwohl diese Dringlichkeit allgemein bekannt ist, verspricht der Koalitionsvertrag keine Maßnahmen, die der Lage gerecht werden würden.“

Der Koalitionsvertrag sieht die Einsetzung einer Kommission vor, die bis spätestens 2027 Vorschläge für eine Reform der GKV-Finanzierung vorlegen soll. Das sei viel zu spät, kritisiere die Linke.

Wolle man keine Leistungskürzungen in Kauf nehmen, ließen sich die Beitragssätze nur stabilisieren und senken, wenn man schnell und konsequent die Einnahmeseite in den Blick nehme. Die Partei rief den Bundestag deshalb in ihrem Antrag auf, mehrere Maßnahmen umzusetzen.

So müsse die Beitragsbemessungsgrenze unverzüglich auf 15.000 Euro monatliches Bruttoeinkommen angehoben werden. Perspektive müsse ihre vollständige Abschaffung sein. Auch die Versicherungspflichtgrenze müsse entsprechend angepasst oder aufgehoben werden.

„De facto gilt durch die aktuelle Beitragsbemessungsgrenze: Je reicher du bist, desto weniger zahlst du prozentual in die gesetzliche Krankenversicherung ein“, kritisierte der Linken-Abgeordnete Ateş Gürpınar.

Oberhalb der Versicherungspflichtgrenze habe man dann die Möglichkeit, sich durch Privatversicherung gänzlich aus dem Solidarsystem zu verabschieden. „Wir nehmen es nicht hin, dass das Solidarsystem nur die Solidarität von Menschen mit niedrigem und mittlerem Lohneinkommen untereinander meint“, betonte Gürpınar.

Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze würde allerdings „zwangsläufig dazu führen, dass tausende Menschen in die PKV wechseln und der GKV nicht mehr zur Verfügung stehen“, wies Paula Piechotta (Grüne) die Forderung zurück. Zwar werde im Antrag, wie Gürpınar einwandte, auch eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze gefordert. Aber, so Piechotta, in mehreren Gerichtsurteilen seien dem bereits enge Grenzen gesetzt worden.

Auch die von der Linken geforderte Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel sei nicht durchsetzbar. Selbst mit ihren eigenen Regierungsbeteiligungen wäre dies nicht durch den Bundesrat zu kriegen, da es große Steuerausfälle für die Länder bedeuten würde.

Die Linke fordert in ihrem Antrag, die Mehrwertsteuer für Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent zu senken. Zudem solle der Bundeszuschuss dynamisiert und künftig jährlich regelgebunden an die Veränderung der GKV-Ausgaben angepasst werden.

Darüber hinaus müsse die Beitragszahlung des Bundes für Bürgergeldbeziehende reformiert werden. Ihre Höhe solle wie bei solchen Beschäftigten gestaltet werden, die nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ein ähnlich niedriges verfügbares Einkommen haben wie alleinstehende Bürgergeldbeziehende.

Je nach Berechnungsweise entspreche dies aktuell einem Bruttoerwerbseinkommen von rund 1.500 Euro im Monat. „Auf diesen Betrag ist der reguläre Beitragssatz anzuwenden und je Bürgergeld-beziehender Person vom Bund an die gesetzlichen Krankenkassen zu zahlen“, heißt es im Antrag. Die Bundesregierung müsse zusätzlich einen Gesetzentwurf vorlegen, der „mittelfristig für eine nachhaltige und solidarische Beitragsbemessung sorgt“.

Dieser müsse die notwendigen administrativen Voraussetzungen schaffen, damit – wie bislang bei freiwillig Versicherten – zukünftig bei allen Versicherten alle Einkommensarten beitragspflichtig werden, also beispielsweise auch Einkommen aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung. Kapitalerträge sollen dabei bis zur Höhe des Sparerpauschbetrags beitragsfrei sein.

Bei den Regierungsfraktionen stieß der Antrag auf Ablehnung. Es werde jetzt ein „ganzheitliche systematischer Ansatz“ und ein Kurswechsel gebraucht, betonte Simone Borchardt (CDU). Was man allerdings nicht brauche, sei „ein ideologisch aufgeblähtes Gerechtigkeitsvokabular, denn das schädigt nur das System“. Damit verspiele man Vertrauen in das Gesundheitswesen.

Die Reformnotwendigkeit des Systems dürfe nicht länger infrage gestellt werden. „Es nützt nichts, immer mehr Geld in ein krankes System zu stecken“, sagte Borchardt. Vielmehr könne man nur durch gute Steuerung Effizienzreserven heben. „Es wird gern suggeriert, es seien Leistungskürzungen geplant. Das ist falsch. Richtig ist, die angekündigten Maßnahmen der neuen Koalition zielen auf eine bessere Steuerung.“

Deutschland leiste sich über 600 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte pro Jahr, das sei weit mehr als andere vergleichbare Nationen, ohne dass sich dies in einer höheren Lebenserwartung spiegele. „Wir werden die Versorgungsstrukturen neu denken“, versprach Borchardt. „Denn solange jeder Sektor sein eigenes Süppchen kocht, werden wir diesen Koloss Gesundheitswesen nicht in die richtige Richtung lenken können.“

Auch die Digitalisierung müsse entschieden vorangetrieben werden, um die Effizienz zu erhöhen, betonte Christos Pantazis (SPD). Zudem werde ein gut funktionierendes Primärarztsystem zu Kosteneinsparungen führen. Mit Zuschlägen, mobilen Angeboten, Telemedizin und gezielten Investitionen müsse die Hausarztversorgung auf dem Land gesichert werden. Langfristig brauche die GKV eine solide Mischfinanzierung aus Beiträgen, Steuern und Bundeszuschüssen.

„Was wir allerdings nicht brauchen, ist eine Debatte, die sich in Schlagworten verliert“, kritisierte Pantazis die Linke. „Der Antrag erkennt zwar das Problem, wer aber einfach nur mehr Geld fordert, ohne tragfähige Konzepte zur Gegenfinanzierung, verkennt die Verantwortung, die wir hier gemeinsam tragen.“

Man dürfe sich bei der Frage der GKV-Finanzierung „keine Denkverbote auferlegen“, unterstrich er. „Wir müssen über alle relevanten Stellschrauben offen diskutieren, um die Beitragsspirale zu durchbrechen.“

Dazu gehörten auch eine Dynamisierung des Bundeszuschusses und eine kritische Überprüfung versicherungsfremder Leistungen hin zu einer sachgerechten Bundesbeteiligung. „Auch eine Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze kann eine finanzielle Entlastung der Krankenkassen sein, ohne die Versicherten über Gebühr zu belasten“, griff er den Linken-Vorschlag dann auf.

Der Antrag der Linken setze zumindest Impulse, erklärte daraufhin Linda Heitmann (Grüne). Zwar unterstütze auch ihre Partei nicht alle Vorschläge darin. „Aber von Ihnen habe ich bisher noch gar nichts vernünftiges gehört“, wandte sie sich an die Regierungsfraktionen.

Dabei sei keine Zeit mehr für weitere Aufschübe. „Die Hütte brennt, aber Sie warten jetzt lieber erst mal zwei Jahre ab, ob sie die freiwillige oder die Berufsfeuerwehr rufen wollen“, kritisierte sie. „Sie haben das Problem erkannt, aber verschieben die Probleme in eine Kommission.“

Dass schnelles Handeln notwendig ist, betonten am selben Abend auch Fachleute aus Krankenversicherung und Selbstverwaltung. Er halte die im Koalitionsvertrag vorgesehene Kommission zur Erarbeitung von Reformansätzen nur dann für vertretbar, wenn zwischenzeitlich stützende Schritte unternommen werden, erklärte der Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, in Berlin.

Es sei deshalb zwingend notwendig, dass die Bundesregierung noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli ein Vorschaltgesetz mit solchen Maßnahmen vorlege, sagte er auf einer Veranstaltung des Branchenverbands Pharma Deutschland. Es wäre dabei schon kurzfristig hilfreich, würde der Bund endlich die jährlich zehn Milliarden Euro an Beiträgen für Bürgergeldempfangende übernehmen.

Grundlegend müsse nun in drei Schritten vorgegangen werden: Auf kurzfristige Stützmaßnahmen aus Steuergeldern müssten Übergangsmaßnahmen zur Ausgabenbegrenzung folgen. Schließlich brauche es tiefe Strukturreformen.

Dabei sei es von grundlegender Bedeutung, dass sie drei notwendigen großen Sozialreformen – Gesundheit, Pflege, Rente – gemeinsam gedacht werden und dabei auch ganz grundsätzlich über die Aufgabenverteilung in der Sozialversicherung nachgedacht wird. Fatal wäre es, würden drei Kommissionen Vorschläge vorlegen, die sich jeweils widersprechen.

Hier zeigte sich Daniel Bahr, Vorstandsmitglied bei der Allianz und ehemaliger Bundesgesundheitsminister, pessimistisch. „Wenn ich in de Koalitionsvertrag schaue, sehe ich, dass bei den drei großen Bereichen der Sozialreform nichts entschieden wurde“, sagte er. „Ich befürchte, dass die neue Bundesregierung denselben Fehler macht wie die Ampel: sich zu Beginn viel Geld beschaffen und dadurch den Reformeifer senken.“

Er plädiere stattdessen für eine telemedizinische Patientensteuerung, mehr Eigenbeteiligung und eine Anpassung des Leistungskatalogs. „Ich höre immer, wir wollen keine Leistungsdiskussion führen“, sagte er. „Das wird aber weltweit getan – andere Länder machen es uns vor.“

lau

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