Gremium mahnt Vorbereitungen auf nächste Pandemie an

Berlin – Angesichts der beendeten Coronapandemie warnt ein Expertengremium davor, die nächste Pandemie in ferner Zukunft zu erwarten. „Unsere Realität ist nicht mehr so, dass Pandemien seltene Schockereignisse darstellen, sondern eine ständige, reale Gefahr", heißt es im Vorwort zum Pandemierisikobericht des Global Preparedness Monitoring Board (GPMB), der gestern beim World Health Summit (WHS) in Berlin vorgestellt worden ist.
„Wir müssen uns eingestehen, dass wir immer gefährdet sind“, sagte die Co-Vorsitzende des unabhängigen Gremiums, Kolinda Grabar-Kitarović, bei der Vorstellung des Berichts. „Wir alle, einschließlich der Staatsoberhäupter, müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Pandemien seltene Ereignisse sind, die ein Mal in einem Jahrhundert auftreten.“
Aus dem rund 100-jährigen Abstand zwischen der Influenzapandemie im 20. Jahrhunderts und COVID-19 dürfe man nicht schlussfolgern, dass nun wieder lange Zeit Ruhe einkehre, sagte die ehemalige Präsidentin Kroatiens. Die Häufigkeit von Ausbrüchen habe in diesem Jahrhundert stark zugenommen.
Grabar-Kitarović bezeichnete es als sehr wahrscheinlich, dass beinahe jedes derzeitige Staatsoberhaupt während der Amtszeit mindestens eine Lage mit Pandemierisiko erleben werde. Sie appellierte, dass man sich auf die nächste Krise vorzubereiten müsse anstatt noch auf die vergangene COVID-19-Pandemie zu reagieren.
Kommende Pandemie werde sich von COVID unterscheiden
Die nächste Pandemie wird, so äußern es die Verfasser in ihrem Bericht klar, anders sein als die vergangene, daher müssten die Reaktionen an die sich ändernden lokalen, nationalen und globalen Gegebenheiten angepasst werden. Man müsse neue Risiken antizipieren. „Ein Fokus nur auf Lehren aus der COVID-19-Pandemie birgt das Risiko, dass man sich eher auf den vergangenen Kampf vorbereitet als auf den nächsten", heißt es im Report.
Das GPMB ist ein unabhängiges Gremium, das die Bereitschaft für globale Gesundheitskrisen sicherstellen soll. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltbank unterstützt. Der Bericht soll eine Handlungsaufforderung an Entscheidungsträger in unterschiedlichen Bereichen, Gesundheitsfachleute und Gemeinden sein.
Dafür wurden 15 wichtige Pandemietreiber aus den Feldern Soziales, Technologie, Wirtschaft, Umwelt und Politik analysiert. Demnach beeinflussen vier Faktoren das Risikolevel am meisten: internationale Mobilität (Reisen, Handel, Migration), Landwirtschaft, Fehlinformationen und Vertrauen.
Aktuelle Ausbrüche als Warnungen
Als Warnzeichen für die dauerhafte Präsenz von Erregern mit Pandemiepotenzial nennt das Gremium etwa die Entwicklung der Vogelgrippe (H5N1) mit Übertragungen nun auch bei Kühen und dem Ausbruch einer neuen Mpox-Klade in mehreren Ländern Afrikas. Die Welt müsse jetzt reagieren, damit uns künftige Pandemien nicht unvorbereitet ereilten.
Der Bericht unterstreicht aber auch, dass es völlig offen sei, wo und wann die nächste Pandemie auftrete. Angesichts dessen müsse man die Bemühungen zur Vorbeugung hochfahren. Auch wenn die Frage des kommenden Erregers ungeklärt sei, könne man Risiken und wunde Punkte analysieren und Strategien zum Vorbeugen von Epidemien und Pandemien entwickeln, mahnte Grabar-Kitarović. Dass Menschen, Organisationen und Regierungen das Kapitel COVID-19 nun abschließen wollten, berge die Gefahr, sich in einer falschen Sicherheit zu wiegen, obwohl tatsächlich eher Wachsamkeit gefragt sei.
Es sei keine Option, die Tatsache zu ignorieren, dass wir in einer vernetzten Welt lebten, in der Urbanisierung, erhöhte Mobilität, Landnutzungsveränderungen und Entwaldung dem Auftreten von Pandemien einen Boden bereiteten, heißt es im Bericht. Der Klimawandel verstärke die Bedrohungen an der sich verändernden Schnittstelle von Menschen, Tieren und Umwelt noch.
Das Gremium hält fest, dass sich Ungleichheiten wie in der COVID-19-Pandemie nicht wiederholen dürften. Wohlhabende Nationen hätten Impfstoffe, Therapien und Schutzausrüstung für sich gesichert, während viele andere im Stich gelassen worden seien. Beim laufenden Mpox-Ausbruch laufe man Gefahr, die Ungerechtigkeiten zu wiederholen.
Das GPMB fordert eine Stärkung der Global-Health-Architektur, einschließlich einer Einigung auf ein Pandemieabkommen, um etwa die Verfügbarkeit biomedizinischer Innovationen im Krisenfall zu erleichtern. Auch müssten Länder ihre Schutzvorkehrungen verstärken, indem sie ihr Gesundheitssystem resilienter gestalteten, die internationale Zusammenarbeit intensivierten, soziale Hilfen ausbauten und Vorkehrungen träfen gegen die versehentliche Freisetzung gefährlicher Pathogene und anderer biotechnologischer Risiken.
Militärische Konflikte sieht das Gremium ebenfalls als Gefahr für die Gesundheit: Infektionskrankheiten könnten unter solchen Umständen später erkannt, bekämpft und eingedämmt werden, wie etwa die Mpox-Situation in der Demokratischen Republik Kongo und die Polio-Fälle in Gaza zeigten.
WHO-Chef: Zuversichtlich bei Einigung auf Pandemievertrag
Der Präsident der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, betonte bei der Vorstellung des Berichts, dass Ausbrüche etwa des Marburgvirus, Mpox und H5N1 daran erinnerten, dass die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit sei.
Es gebe in dem Bereich keine Friedenszeiten, man müsse konstant vorbereitet sein. Der Pandemievertrag der WHO sei hier noch ein großes fehlendes Puzzlestück, sagte Tedros. Auch wenn die Mitgliedsstaaten Fortschritte gemacht hätten, gebe es zu einigen der wichtigsten Punkte noch keine Einigung. Tedros bezeichnete sich diesbezüglich aber als zuversichtlich.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte zum Auftakt des World Health Summit am vergangenen Sonntag in Berlin Druck gemacht und auf eine Einigung auf ein Pandemieabkommen bis Mai 2025 gedrängt. Noch bis einschließlich heute kommen beim WHS Fachleute aus dem Bereich globale Gesundheit zusammen.
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