Politik

Haushaltsdebatte: Lauterbach stimmt auf „Herbst der Reformen“ ein

  • Donnerstag, 12. September 2024
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) /picture alliance, Flashpic, Jens Krick
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) /picture alliance, Flashpic, Jens Krick

Berlin – Schlagabtausch über die Gesundheitspolitik: Wie in der Haushaltsdebatte üblich, lobten sich die Regie­rungsfraktionen für die bevorstehenden und verabschiedeten Gesetze – die Opposition aus CDU, AfD sowie die Gruppen die Linke und BSW fanden kaum ein gutes Haar an den Plänen.

Dabei verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein großes Arbeitsprogramm: „In der Ge­sund­­heitspolitik stehen wir vor einem Herbst der Reformen“, sagte der SPD-Politiker in der Debatte. Es seien acht Gesetze im parlamentarischen Verfahren, eine der höchsten Gesetzesdichten überhaupt.

Antrieb für die vielen Reformen seien die im westeuropäischen Vergleich hohe Sterblichkeit und die großen Unter­schiede in der Lebenserwartung von Arm und Reich. Dieser Aufgabe müsse man sich stellen, so Lauterbach. „Das ist nur mit echten Strukturreformen zu schaffen, nicht mit Bagatellreformen und noch weniger mit dummen Sprüchen“, sagte Lauterbach mit Blick auf die Unionsfraktion, die seine Rede mit vielen Zwischenrufen begleitete.

Zu den geplanten Reformen gehören die Krankenhausreform, das Gesetz zur Stärkung der Versorgung, mit der bessere Bedingungen für Hausärzte geschaffen werden sollen, sowie ein Pflegefinanzgesetz, um die finanzielle Stabilisierung der Pflege zu erreichen. Der Minister räumte ein, dass die Beitragssätze „unter Druck“ stünden. Man könne die Bürger aber nicht durch Leistungskürzungen haftbar machen, weil die Politik Reformen nicht schaffe.

Aus seiner Sicht wurden in den vergangenen 20 Jahren viele Reformen nicht auf den Weg gebracht und seien da­her heute überfällig. Lauterbach betonte: „In der Gesundheitspolitik funktioniert die Ampel.“ Er rief auch die Op­po­sition auf, „nicht zu schmollen und sich nicht auf Floskeln zurückzuziehen, sondern mitzuziehen.“

Von der Opposition kam viel Kritik an den Vorhaben: Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), warf Lauterbach Realitätsverweigerung vor und warnte, die Krankenhausreform „mit dem Kopf durch die Wand“ werde nicht funktionieren. Ihm fehlten die Strukturreformen, von denen Lauterbach spreche. Besonders mit Blick auf das Gutachten des Bundesrechnungshofes, das vergangene Woche bekannt wurde, sei doch viel kritik­würdig an den Haushaltsplanungen.

Mit Blick auf die finanziellen Belastungen gesetzlich Versicherter fragte er: „Wie oft wollen Sie noch die Beiträge erhöhen?“ Er forderte, schnell 15 Milliarden für die Beitragszahler zu sparen. Zum Beispiel könnte eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Arzneimittel gezahlt werden oder die GKV-Beiträge für Bezieherinnen und Bezieher von Bür­gergeld vom Steuerzahler auskömmlich finanziert werden.

Auch andere Unionspolitiker attestierten der Regierung unkluges Handeln. CDU-Abgeordneter Dietrich Monstadt sieht ein „Chaos in der Regierung“ bei der EU-Medizinprodukterichtlinie und attestierte zudem falsche Präventi­ons­ansätze beim Thema Statin-Verordnung im Rahmen des geplanten Gesunde-Herz-Gesetzes. Der CDU-Abgeord­nete Sepp Müller arbeitete sich in seiner Rede vor allem an der Cannabis-Legalisierung ab.

Der AfD-Abgeordnete Wolfgang Wiehle kritisierte, die Kassenbeiträge stiegen, weil zu viel Geld für falsche Dinge ausgegeben werde. Außerdem kritisierte er die Pandemiebereitschaftsverträge, bei denen „für leere Produktions­hallen“ Steuergeld vergeben werde. Für AfD-Mann Martin Siechert ist die gesamte Gesundheitspolitik der Regie­rung unbrauchbar.

Ates Gürpinar von der Gruppe die Linke beobachte ein „kollabierendes Gesundheitssystem, mit unkontrolliert schließenden Apotheken und Arztpraxen“ und forderte, dass zur Stabilisierung des Systems eine Bürgerversi­cherung kommen müsse. Andrej Hunko von der Gruppe BSW sieht vor allem die Aufarbeitung der Coronazeit sowie eine komplette Überarbeitung des Krankenhausgesetzes als Pflicht des Bundesgesundheitsministers.

Pandemiekosten ein Thema

Die Grünen-Haushaltsexpertin Paula Piechotta legte den Schwerpunkt ihrer Rede auf die Kosten der Pandemie, die noch Jahre den Haushalt belasten werden. „Jens Spahn wird den Bundeshaushalt noch lange belasten. Der Haushalt leidet noch über Jahre an Long-Spahn", sagte sie mit Blick auf die ungeklärte Beschaffung von Masken und die daraus resultierenden Gerichtsverfahren unter dem früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Ebenso forderte sie, dass die Ausgaben von 17,8 Milliarden Euro für Coronatests weiter aufgeklärt werden müssten und auch die Bundesländer intensiver prüfen sollten, ob die Gelder korrekt ausgegeben wurden. Hier forderte sie das Bundesgesundheitsministerium auf, die Bundesländer beim Namen zu nennen, die weiterhin nur unzureichend die Abrechnungen der Testanbieter prüfen.

Auch müsse man bei der Krankenhausreform die Frage stellen, ob es fair sei, die Kosten den gesetzlich Versicher­ten aufzubürden, statt den Steuerzahlern, so Piechotta.

Der FDP-Haushälter Karsten Klein kritisierte auch mit Blick auf die Länder, wer mehr Ausgaben für das Kranken­haussystem fordere, sollte ehrlich sein und höhere Beitragssätze fordern. Es seien in der Pandemie bereits 30 Milliarden Euro an Bundesgelder in die Kliniken geflossen. Er könne keine Reformbemühungen aus dem System wahrnehmen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, forderte einen besseren Um­gang mit Beitragsgeldern: „Die Belastbarkeit der Beitragszahler muss eine Grenze haben.“ Daher sei nötig, dass auch auf die Steuergelder zurückgegriffen werde. Dies gelte für die Kosten der Pandemie, der Finanzierung der GKV-Beiträge für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld sowie für die Krankenhausversorgung.

Abgeordnete der Regierungsfraktionen betonten die vielen Präventionsprojekte, die das Parlament im Rahmen der Haushaltsdebatten noch in den Haushalt verhandeln wollen. Dazu gehört die Suizidprävention, die die Grüne Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther anmahnte. Hier müsse auch bald das entsprechende Gesetz vorgelegt werden, forderte sie mit Blick auf das Bundesgesundheitsministerium.

Auch Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) will mehr für die Prävention und die Erhaltung der Gesundheit tun. Neben dem Bürokratieabbau – „der kostet kein Geld“ – sei dies wichtig für die Zukunft des Systems. Auch die Prä­vention beim Thema Alkohol müsse der Haushalt berücksichtigen, forderte die Grünen-Expertin Linda Heidmann.

Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Helge Braun (CDU), stellte am Ende der Debatte fest, dass dies „wieder schwierige Haushaltsverhandlungen werden.“ Denn: Alle Abgeordneten der Koalition hätten betont, wie wichtig die Prävention sei.

„Das letzte Mal haben wir mehr Gelder für Prävention auch in den Beratungen in den Haushalt so reingeschrie­ben“, betonte Braun. „Und dieses Mal hat die Regierung das wieder nicht bedacht, so dass wir hier wieder die Arbeit machen können“, beklagte er weiter.

Die Betonung, man eröffne mit dem Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) nun ein Institut für Prävention, sei im Haushalt nicht abgebildet. „Hier ist kein Euro für eine Neugründung vorgesehen. Stattdessen hat an mit den Ankündigungen im Koalitionsvertrag seit Jahren große Unsicherheit bei Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geschaffen.“

Auch bei der Frage von Prävention in Bezug auf eine nächste Pandemie stünde die Bundesregierung blank da. „Die nationale Reserve für Schutzausrüstung ist ausgelaufen, neue Gelder dafür sind nicht geplant“, so Braun. Im Notfall müsste sich die Regierung also wieder Schutzmaterial auf dem Weltmarkt beschaffen – mit dann möglicherweise erneut hohen Preisen.

Für Ärger in der Debatte sorgte Lauterbach, als er während der laufenden Aussprache nach seiner Rede den Plenarsaal verließ. Nach einem Protest aus der Union gegen die Abwesenheit mit der Begründung eines Termins im Kanzleramt sagte der amtierende Präsident Wolfgang Kubicki (FDP), er teile den Unmut. Daher habe er die Regierung gebeten, dafür zu sorgen, dass der Minister zurückkehre. Das sei ihm zugesagt worden. Kurz darauf nahm Lauterbach wieder auf der Regierungsbank Platz.

bee

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