Politik

Haushaltspläne des Bundes: Krankenkassen befürchten Milliardenlücke

  • Mittwoch, 24. März 2021
/bluedesign, stock.adobe.com
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Berlin – Den Sozialkassen könnten in den kommenden Jahren Mittel in zweistelliger Milliarden­höhe fehlen, weil diese in der Finanzplanung von Ressortchef Olaf Scholz (SPD) bislang nicht berücksichtigt sind. Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands reagierte heute entsetzt.

Der größte Bedarf für Steuerzuschüsse besteht dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge in der gesetzlichen Krankenversicherung, wo es für 2022 einen Fehlbetrag von rund 18 Milliarden Euro gebe, der dann bis 2025 auf mehr als 27 Milliarden Euro anwachse. Die gesetzliche Rentenversicherung benö­tigt demnach ab 2023 einen Steuerzuschuss von mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr, um den Bei­tragssatz stabil zu halten.

Dazu kämen noch Zuschüsse für die Pflegeversicherung. Auch Mittel für die eigentlich dringliche Reform der Pflegekassen, etwa zur Begrenzung des Eigenanteils für Bewohner von Pflegeheimen, sind in der Finanzplanung offensichtlich nicht berücksichtigt.

Man habe „mit Erstaunen und großer Besorgnis festgestellt, dass die Bundesregierung in ihren Eckwer­ten für den Bundeshaushalt 2022 keine zusätzlichen Haushaltsmittel zur Stabilisierung der Beitragssätze zur Kranken- und Pflegeversicherung eingeplant“ habe, hieß es vom GKV-Spitzenverband. Damit werde ignoriert, dass allein die gesetzli­che Krankenversicherung (GK) im kommenden Jahr einen zusätzlichen Finanzbedarf von etwa 16 bis 19 Milliarden Euro haben werde.

„In Abhängigkeit von der weiteren pandemischen und konjunkturellen Entwicklung kann der zusätzliche Finanzierungsbedarf im Jahr 2022 noch deutlich höher ausfallen“, sagte Uwe Klemens, alternierender Verwaltungsratsvor­sitzender des GKV-Spitzenverbandes. Denn absehbar sei bereits, dass sich die Schere zwischen den sich pandemiebedingt ungewiss entwickelnden Einnahmen und den dynamisch steigen­den Ausgaben weiter öffnen werde.

Um sowohl steigende Zusatzbeitragssätze ab dem Jahr 2022, als auch alternativ vorstellbare gesetzliche Leistungseinschränkungen für Versicherte auszuschließen, muss der Bund aus Sicht der Krankenkassen den coronabedingt erhöhten Finanzbedarf des Gesundheitsfonds im Jahr 2022 durch ergänzende Bun­desmittel ausgleichen.

Zu berücksichtigen sei zudem der Finanzbedarf der Pflegeversicherung, teilte die GKV mit. Der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erfreulicherweise verfolgte Reformansatz, der Pflegeversiche­rung zum Ausgleich der von ihr übernommenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben ab dem Jahr 2022 einen jährlichen, dynamisierten Bundeszuschuss zu gewähren, müsse sich auch in der Finanzplanung des Bundes wiederfinden.

„Beide Maßnahmen würden die Beitragsentwicklung stabilisieren und kämen somit auch der weiteren konjunkturellen Entwicklung in Deutschland zugute. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, im Rahmen der weiteren Haushaltsplanung die notwendigen Mittel zur Stabilisierung des Beitragssatzni­veaus in der Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen“, sagte Volker Hansen, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.

Das Bundeskabinett hatte zuvor heute die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2022 und den Finanzplan bis 2025 beschlossen sowie den Entwurf eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 2021 und den Ent­wurf ein Nachtragshaushaltsgesetzes 2021.

Für den Nachtragshaushalt 2021 wird eine zusätzliche Kreditermächtigung in Höhe von 60,4 Milliarden Euro benötigt. Die Kreditermächtigung steigt damit im Jahr 2021 auf 240,2 Milliarden Euro. Die Gesamt­verschuldung der Jahre 2020 und 2021 liegt jedoch um 27 Milliarden Euro unter der ursprünglichen Pla­nung. Die im Jahr 2020 veranschlagte Kreditermächtigung wurde nicht voll benötigt.

Zudem haben sich Ausgaben aus 2020 in das Jahr 2021 verlagert. Die Überschreitung der Kreditober­gren­ze ist aus Sicht der Bundesregierung angesichts des Pandemiegeschehens gerechtfertigt. Die Ent­scheidung darüber liegt beim Bundestag. Der Beschluss muss auch mit einem Tilgungsplan verbunden werden.

Angesichts der fortdauernden Unsicherheit über den weiteren Pandemieverlauf plant die Bundesregie­rung für unerwartete, pandemiebedingte Mehrausgaben Geld ein: Für 2022 sind zehn Milliarden Euro für eine Globale Mehrausgabe („Corona GMA“) vorgesehen. Weitere 1,5 Milliarden Euro werden für pande­mie­bedingt notwendige internationale Unterstützung bereitgestellt.

Die Ausgaben für humanitäre Hilfe, Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit (ODA) werden laut Ministerium um 2,4 Milliarden Euro erhöht. Als weiteren Beitrag zur Stärkung des internationalen Gesundheitswesens stellt die Bundesregierung im Jahr 2022 zusätzlich 162 Millionen Euro für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereit.

Mehr Zukunftsinvestitionen verlangte der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. Er warf Scholz vor, nur den Status Quo „müde zu verwalten“, statt „kräftig in die Zukunft zu investieren“. Eine unsoziale Verteilung der Coronahilfen kritisierte die Linken-Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch.

Kritik an den hohen Schulden übte Peter Boehringer (AfD). Bedenken wegen des Umfangs der Kreditauf­nahme gibt es auch in Union und FDP. Ein grundlegendes Umsteuern bei der Finanzierung des Gesund­heitswesens aufgrund der Pandemie-Erfahrungen verlangte Linken-Parteichefin Janine Wissler.

afp/may

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