Politik

Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung gelten

  • Freitag, 30. Juni 2023

Berlin – An diesem Samstag wird der Pflegebeitrag nach einem vom Bundestag beschlossenen Gesetz um 0,35 Prozentpunkte erhöht, für Menschen ohne Kinder etwas mehr. Dies soll die Pflegefinanzen vorerst bis 2025 absichern.

Familien mit mehreren jüngeren Kindern werden entlastet. Die Reform von Bundesgesund­heitsminister Karl Lauterbach (SPD) bringt 2024 auch Verbesserungen für Pflegebedürftige im Heim und zu Hause. Ein Über­blick.

Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung

Der allgemeine Beitragssatz steigt von 3,05 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns. Davon trägt der Arbeitgeber die Hälfte. Die Aufschläge für Kinderlose werden gleichzeitig von 0,35 auf 0,6 Prozentpunkte erhöht. Sie müssen diesen Aufschlag alleine zahlen, der Arbeitgeber ist nicht beteiligt.

Die Beitragsanhebung soll Mehreinnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bringen.

Wer mehrere Kinder hat, soll wiederum ab dem zweiten bis zum fünften Kind unter 25 Jahren pro Kind 0,25 Beitragssatzpunkte weniger zahlen. Dies geht auf eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zurück, kinderreiche Familien zu entlasten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sichert sich zugleich die Option, die Beitragssätze unter bestimmten Voraussetzungen weiter zu verändern, wenn sich neue Finanzlöcher auftun: Laut Gesetz kann dies „für den Fall eines kurzfristigen Liquiditätsbedarfs“ per Rechtsverordnung erfolgen. Der Bundestag soll eine solche Verordnung aber nachträglich ändern können.

Mehr Geld für die häusliche Pflege

Das Pflegegeld soll zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen. Dieses Geld bekommen Pflegebedürftige, die zuhause ehrenamtlich versorgt werden – in der Regel von Angehörigen. Gleichzeitig werden auch die ambulanten Sachleistungsbeträge um fünf Prozent angehoben.

Entlastungsbudget für Vertretungen

Kurz vor Verabschiedung einigten sich die Koalitionsfraktionen noch auf ein zunächst aus dem Gesetz gestrichenes Entlastungsbudget. Dieses dient dazu, Ersatz für Pflegende zu finanzieren, wenn diese verhindert sind oder eine Auszeit brauchen.

Das Entlastungsbudget beträgt nächstes Jahr für Eltern pflegebedürftiger Kinder 3.386 Euro. Ab 2025 soll es für alle Betroffenen gelten und 3.539 Euro betragen. Zur Gegenfinanzierung wurde die vorgesehene weitere Anhebung der Geld- und Sachleistungen ab 2025 in der häuslichen Pflege aber von fünf auf 4,5 Prozent gesenkt.

Pflegeunterstützungsgeld für Berufstätige

Ausgeweitet werden soll ab 2024 die Unterstützung für Menschen, die wegen der Pflegebedürftigkeit eines Verwandten vorübergehend nicht arbeiten können.

Sie bekommen bislang für maximal zehn Tage im Jahr Pflegeunterstützungsgeld, das bis zu 90 Prozent vom Nettolohn für die fragliche Zeit beträgt. Künftig sollen die zehn Tage „für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen in Anspruch genommen werden können“.

Mehr Kostenbeteiligung bei stationärer Pflege

Für Menschen im Pflegeheim sollen die sogenannten Leistungszuschläge um fünf bis zehn Prozentpunkte angehoben werden. Diese Zuschläge werden von der Pflegekasse an das Pflegeheim gezahlt, um den von den Pflegebedürftigen selbst zu tragenden Eigenanteil zu dämpfen.

Die Eigenanteile waren in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Leistungszuschläge fallen umso höher aus, je länger jemand im Pflegeheim lebt.

Kritik an der Reform

Ein breites Bündnis aus Sozial-, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften warnte angesichts stark steigender Pflegekosten vor zunehmender Armut pflegebedürftiger Menschen. Schon jetzt sei fast ein Drittel aller Pfle­gebedürftigen in Heimen auf Sozialhilfe angewiesen. Das Bündnis fordert den Umstieg auf eine Vollversiche­rung, die alle Kosten übernimmt.

Sozial- und Pflegeverbände kritisieren, dass die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre durch die Reform bei weitem nicht ausgeglichen werden. Der Deutsche Pflegerat fordert deshalb, dass die Ausgaben künftig automatisch steigen müssten, „damit die Bedürftigen nicht immer wieder auf ein neues Gesetz warten müssen“.

Auch Gewerkschaften und Arbeitgeber haben die höheren Pflegebeiträge zum 1. Juli kritisiert. Arbeitgeber­präsident Rainer Dulger sagte, mit der Anhebung des Beitrags zur Pflegeversicherung habe es sich die Politik zu leicht gemacht. „Gerade in Zeiten hoher Inflation und multipler Krisen muss die Politik alles tun, um die Beitragszahlenden zu entlasten.“

Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Anja Piel, sagte, die Erhöhung der Pflege­beiträge in immer kürzeren Abständen sei ganz sicher nicht die Rettung der Pflegeversicherung. Helfen könne eine echte Reform, die dafür sorge, dass sich alle im Ernstfall auf eine Pflege mit guten Leistungen verlassen könnten, die nicht arm mache. Der DGB fordere daher weiter eine Pflege-Bürgerversicherung, die alle Pflegekosten verlässlich abdecke.

Dulger sagte, im Koalitionsvertrag seien Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflegefinanzen vereinbart worden. „Das muss die Ampel jetzt endlich anpacken.“ Parallel müssten nachhaltige Strukturreformen eingeleitet werden.

Die AOK hat einseitige Mehrbelastungen für die Beitragszahler bei der Finanzierung der Pflegereform kritisiert. „Die drohende finanzielle Schieflage der sozialen Pflegeversicherung ist kurzfristig ausschließlich über steigende Beiträge abgewendet worden“, erklärte AOK-Chefin Carola Reimann in Berlin.

Laut einem Bericht des Spiegel will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung im kommenden Jahr sogar komplett streichen. Das Magazin beruft sich auf den Entwurf für den Haushalt 2024, der nach derzeitiger Planung am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll.

Unter Berufung auf Experten des Bundesgesundheitsministeriums hieß es im Spiegel dazu weiter, dies werde unweigerlich zu noch höheren Beiträge für die Pflegeversicherung führen.

afp/dpa

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