Hoher Anteil an Arzneimittelfälschungen im globalen Süden

Berlin – Vor allem im globalen Süden und in der afrikanischen Sahelzone sind Medikamentenfälschungen ein großes Problem. In Ländern mit niedrigem Einkommen, wie etwa in Afrika, Asien oder Südamerika liege der Anteil bei rund 30 Prozent, erklärte Johannes Waltz, Vorsitzender des Global Pharma Health Fund (GPHF) kürzlich vor dem Unterausschuss Globale Gesundheit des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Dabei seien alle Medikamente, am meisten aber Antimalaria-Medikamente oder Antiinfektiva betroffen.
Bis zu 50 Prozent der Pharmaprodukte in der Sahelregion seien von minderwertiger Qualität, ergänzte Richard Neci Cizungu vom Ecumenical Pharmaceutical Network (EPN) in Nairobi. Ein weiterer Bericht habe ergeben, dass fast 23 Prozent aller Antibiotika in Äthiopien, Kenia, Ruanda und Tansania gefälscht oder unwirksam seien, so Neci Cizungu weiter. Die meisten dieser Produkte stammten aus China, Indien aber auch aus europäischen Ländern wie Belgien oder Frankreich. Waltz ergänzte, dass der Anteil gefälschter Arzneimittel in Ländern der ehemaligen Sowjetunion bei rund 20 Prozent liege.
Für Europa geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einem Anteil von weniger als einem Prozent aus, sagte Oliver Onusseit, Leiter des Referats „Arzneimittelzulassung“ im Bundesgesundheitsministerium (BMG). „Ich würde diese Zahl nie unterschreiben. Es ist viel weniger als ein Prozent“, ergänzte er. Bei 600 Millionen verschreibungspflichtigen Arzneimittelpackungen jedes Jahr in Deutschland, wäre ein Prozent eine „fürchterlich hohe Zahl“, so Onusseit.
Unter Arzneimittelfälschungen versteht man nicht nur Medikamente, die keinen Wirkstoff enthalten, sondern auch Arzneimittel, deren Herkunft verschleiert wird, erklärte Onusseit. Hierzulande trägt jede Arzneimittelpackung eine randomisierte Nummer, die in den Apotheken mithilfe des sogenannten Securpharm-Systems überprüft wird. So könne man überprüfen, ob es sich um ein legales Päckchen handelt. Eine zweimalige Abgabe ist zudem ausgeschlossen, erklärte Onusseit.
Securpharm ist der deutsche Beitrag zum EU-weiten Netzwerk EMVS gegen Arzneimittelfälschungen. Seit Februar 2019 ist die Umsetzung verpflichtend. Das System werde von Industrie und Großhandel getragen und laufe mehr oder weniger reibungslos, so Onusseit. Gestohlene Arzneimittel werden über das System allerdings nur entdeckt werden, wenn die Arzneimittel und entsprechenden Nummern auch als gestohlen gemeldet werden.
Vereinzelte Skandale in Deutschland
In Deutschland seien bei einem großen Skandal 2013/2014 tausende Arzneimittel gestohlen und anschließend wieder in die legale Kette eingespeist worden. Diese wurden zwar ursprünglich von einem Arzneimittelhersteller produziert, aber da man nicht wisse, was in der Zwischenzeit mit den Medikamenten passiert sei, gelten sie ebenfalls als unsicher und damit gefälscht, so Onusseit.
Nach diesem Skandal sei eine Bund-Länder-Runde ins Leben gerufen worden, die etwa einmal im Jahr tagt. Dort sind auch das Bundeskriminalamt oder der Zoll vertreten, so Onusseit. Nach dem jüngsten Ozempic-Skandal habe man sich in dieser Runde erneut ausgetauscht. Bei diesem Vorfall seien 200 Arzneimittel von einem deutschen Großhändler in das Vereinigte Königreich vertrieben worden. Dieses wäre aufgefallen, wenn das Securpharm System richtig angewandt worden wäre. „Dem war leider nicht so“, bemängelte Onusseit.
Über legale Versandapotheken gebe es hierzulande kein größeres Risiko, an gefälschte Arzneimittel zu kommen, da die Onlineapotheken wie Präsenzapotheken Medikamente auch bei legalen Großhändlern erwerben, sagte Onusseit. Das Risiko sei eher, ob ein Patient erkenne, ob er bei einer legalen oder illegalen Onlineapotheke bestelle, so Onusseit. Hier müsse mehr Aufklärung betrieben werden, wie man eine sichere Apotheke findet und über entsprechende Gefahren informieren.
Laboruntersuchungen im globalen Süden wichtig
In Ländern des globalen Südens gebe es keine entsprechenden Systeme wie Securpharm, sagte Yukiko Nakatani von der WHO. Wichtig sei jedoch der Mitgliedstaatenmechanismus, der die WHO-Mitgliedstaaten auf einer Plattform zusammenbringe, um gemeinsam Strategien gegen Arzneimittelfälschungen zu erarbeiten und sich gegenseitig über Best Practices auszutauschen, so Nakatani.
Zur Bekämpfung der Arzneimittelfälschungen werden unter anderem sogenannte Minilabs eingesetzt, betonte Neci Cizungu. Diese werden vom Verein GPHF hergestellt und verteilt. Das Minilab sei ein etwa 50 Kilogramm schwerer Koffer, erklärte Waltz, der Leiter von GPHF. Darin enthalten sei Laborequipment, Referenzmittel sowie Anleitungen in mehreren Sprachen. Der Koffer kostet rund 8.000 Euro, je nach Ausstattung.
„In vielen Ländern ist es das Hauptmittel zur Arzneimittelfälschungsbekämpfung“, so Waltz. Damit könne man Arzneimittel etwa auf Verunreinigungen hin überprüfen. Mehr als 1.000 dieser Minilabs werden derzeit in mehr als 100 Ländern eingesetzt, so Waltz.
Potenziell betroffene Medikamente werden zudem auch von anderen Laboren untersucht, die Daten gehen an Labore der WHO, erklärte auch Neci Cizungu. In Kenia gebe es etwa ein solches Labor. Die Daten werden für die internationale Aufklärung genutzt.
Ein großes Problem der Fälschungen sei, dass es keine oder kaum lokale Produktionsmöglichkeiten von Medikamenten in Afrika gebe. Der afrikanische Markt sei abhängig von Importen, so Neci Cizungu. Der Zugang zu entsprechenden Arzneimitteln sei eingeschränkt, daher entscheide oft der (niedrige) Preis. Und: In Krisen sei die Verfügbarkeit von Medikamenten deutlich wichtiger als die Qualität.
Regulierungsbehörden und staatliche Stellen hätten das Problem zudem lange ignoriert und nicht auf die schwierige Situation hingewiesen, kritisierte er weiter. Deshalb brauche es eine bessere Zusammenarbeit auf allen Ebenen, mehr Regelungen für die Produktion und qualifizierte Kräfte, die gefälschte von echten Medikamenten unterscheiden könnten.
Deutschland könne dabei helfen, und mit afrikanischen Behörden zusammenarbeiten, die entsprechende Relevanz verdeutlichen sowie die Resilienz von afrikanischen Gesundheitssystemen stärken, betonte Neci Cizungu.
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