Hypercholesterinämie: Lauterbach drängt auf Screening aller Kinder

Berlin – Der Entwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ ist heute vom Bundeskabinett beschlossen worden. Darin enthalten sind verschiedene Präventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Herzgesundheit – unter anderem ein Screening auf Fettstoffwechselstörungen von Kindern und Jugendlichen.
Ziel ist eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität sowie den damit verbundenen Gesundheitskosten. Vor Bekanntgabe des Kabinettsentwurfs hatte es bereits viel Kritik an dem Gesetzesvorhaben gegeben, weil die Selbstverwaltung in der Planung nicht berücksichtigt worden war.
Erst vorgestern hatte sich das Institut für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) in einer Stellungnahme gegen ein generelles Screening von allen Kindern und Jugendlichen und für eine Untersuchung von Kindern nur bei positiver Familienanamnese einer Familiären Hypercholesterinämie (FH) ausgesprochen.
„Unser Ansatz ist offensiver und umfassender“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). „Wir berücksichtigen die Analyse, aber sie hat uns nicht bewogen, das zu verändern.“
Dem Gesetzesentwurf zufolge soll bei allen Kindern zunächst eine Cholesterinbestimmung im Blut erfolgen mit anschließender genetischer Testung auf eine FH. Ist diese positiv, sollen auch Angehörige getestet werden, kündigte der Minister an. „Der ideale Zeitpunkt dafür ist die U9-Untersuchung.“ Lauterbach sprach von 5.000 bis 10.000 Fällen pro Jahr, die mit einer solchen Fettstoffwechselstörung geboren werden.
Der Kardiologe Stephan Baldus von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Direktor der Kardiologie am Universitätsklinikum Köln, der beratend am Gesetzesentwurf beteiligt war, sprach sich ebenfalls gegen das vom IQWIG vorgeschlagene Kaskadenscreening aus: „Die Wahrscheinlichkeit, über eine Anamnese eine FH zu diagnostizieren, ist unter einem Prozent“, so Baldus.
Zweifel an Sensitivität der LDL-Cholesterinbestimmung
Zweifel gab es im IQWIG-Report zudem bezüglich der Sensitivität einer LDL-Cholesterinbestimmung im Blut als Screeningmethode. Diese lag in einer vom IQWIG zurate gezogenen Studie mit mehr als 5.000 Kindern nur bei 66,7 Prozent, wenn man den Cut-Uff bei einem LDL-Cholesterin von 1,84 MoM (164 mg/dL) ansetzt (Atherosclerosis 2017; DOI: 10.1016/j.atherosclerosis.2017.03.007). In der Studie wurden mehr als 5.000 Kinder im Alter von neun Jahren gescreent – also einem höheren Alter als der U9, die im Alter von fünf Jahren stattfinden soll.
Der Gesundheitsminister und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie plädieren dafür, einen geringeren LDL-Cholesterinwert als Cut-Off für eine genetische Testung festzulegen. Dadurch würden weniger Kinder falsch negativ getestet. Die Bestimmung des Alters für die Screeninguntersuchung und die Bestimmung des Grenzwerts sollen jedoch laut Gesetzesentwurf der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) übernehmen.
Statine sollen früher verordnet werden
Ebenfalls bestimmen soll der G-BA einen neuen Grenzwert zur Verordnung von Statinen. Laut Gesetzesentwurf sollen Statine zukünftig früher als bisher verordnet werden dürfen. Aktuell sind Lipidsenker erst ab einem Zehn-Jahresrisiko für ein kardiovaskuläres Ereignis von mindestens 20 Prozent erstattungsfähig.
Die Schwelle sollte laut Referentenentwurf des Herzgesetzes altersabhängig gesenkt werden und bei unter 50-Jährigen mit einem kardiovaskulären Risiko von 7,5 Prozent verordnet werden dürfen. Im Kabinettsentwurf ist der genaue Schwellenwert nicht mehr enthalten und obliegt dem G-BA. Lauterbach erwartet, dass der G-BA die Schwellenwerte ähnlich anpassen wird, wie im ersten Gesetzesentwurf vorgesehen.
Eine weitere Neuerung in der Prävention von Kindern und Jugendlichen soll die Einladung zur J1-Untersuchung durch die Krankenkassen sein. „Die J1-Untersuchung wird von den meisten Jugendlichen nicht angenommen, weil es kein Einladungssystem gibt“, so Lauterbach.
In der J1 soll zudem ein Fokus auf kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel und Fehlernährung ergänzt werden. Zusätzlich plädierte Lauterbach für eine weitere Untersuchung – einer „Zwischen-J-Untersuchung“ – zwischen der U9 und J1. „Ich habe den Gemeinsamen Bundesausschuss vor einem Jahr aufgefordert den Zeitraum zwischen U9 und J1-Untersuchung zu prüfen,“ so Lauterbach.
Bei Erwachsenen soll die Früherkennung von kardiovaskulären Erkrankungen ebenfalls verbessert werden. Dabei sollen Check-Ups für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter von 25, 40 und 50 Jahren erfolgen. Teil davon sollen standardisierte Befragungen und Untersuchungen sein. Auch hier ist eine Einladung durch die Krankenkassen vorgesehen.
Erleichtert soll zudem für die medikamentöse Tabakentwöhnung werden. Aktuell erfolgt eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen alle drei Jahre nur bei einer schweren Abhängigkeit. Nun soll die Tabakentwöhnung häufiger finanziert werden können und nicht nur bei „schwerer“ Tabakabhängikeit.
Dem Gesetz zufolge sollen die Empfehlungen zum Tabak- und Ernährungsverhalten extrabudgetär vergütet werden. Zudem sollen die Apotheken in die Präventionsprogramme einbezogen werden.
Eine weitere Änderung gibt es bei den Disease-Management-Programmen (DMP). „Die strukturierten Behandlungsprogramme sollen eine verpflichtende Kassenleistung werden“, kündigte Lauterbach an. Es soll zudem ein DMP für die Primärprävention geben.
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