IQWiG übt Kritik an Regelungen für Arzneimittel gegen seltene Krankheiten

Köln – Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) übt Kritik an den Regelungen für Orphan Drugs, also für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen. Im British Medical Journal fordert eine Arbeitsgruppe des Instituts zusammen mit italienischen Wissenschaftlern, den Orphan-Drug-Status vom Label „Zusatznutzen“ zu entkoppeln (BMJ; DOI: 10.1136/bmj-2022-072796).
In Deutschland gilt für diese Arzneimittel ein fiktiver Zusatznutzen – das heißt, für Orphan Drugs wird ein Zusatznutzen unabhängig von der konkreten Datenlage anerkannt, solange sie eine bestimmte Umsatzschwelle nicht überschritten haben, bislang 50 Millionen Euro.
Der von der europäischen Zulassungsbehörde vergebene Status eines „Orphan Drug“ ist daher mit einem Vorteil gegenüber den bereits vorliegenden Therapieoptionen verbunden. Dies ist bislang gesetzlich so vorgesehen, um Anreize für die Entwicklung von Orphan Drugs zu schaffen.
Aber sind die neuen Orphan Drugs tatsächlich besser als existierende Behandlungsformen? Das IQWiG-Team um Philip Kranz, Natalie McGauran und Thomas Kaiser ist zusammen mit Rita Banzi vom Mario- Negri-Institut in Italien unter anderem der Frage nachgegangen, ob diese Annahme eines fiktiven Zusatznutzens gerechtfertigt ist.
Sie kommen zu dem Schluss: Es ist oft nicht klar, weil der Orphan-Drug-Status ohne ausreichende Evidenz mit einem therapeutischen Zusatznutzen gleichgesetzt wird. Sie fordern daher, den Orphan-Drug-Status vom Label „Zusatznutzen“ zu entkoppeln. „Das Label „Zusatznutzen“ sollte nur vergeben werden, sofern tatsächlich robuste Evidenz im Vergleich zum Therapiestandard vorliegt, heißt es im BMJ-Artikel.
Die Autorengruppe betont, dass es auch für seltene Erkrankungen möglich sei, Evidenz über den möglichen Zusatznutzen von neuen Arzneimitteln zu gewinnen. Dazu sollten internationale Register für seltene Erkrankungen aufgebaut werden, mit deren Hilfe entsprechende hochwertige Studien einfacher möglich wären.
„Robuste Evidenz im Vergleich mit dem Therapiestandard ist für rationale Therapie- und Erstattungsentscheidungen unerlässlich – die frühzeitige Generierung dieser Daten, zum Beispiel parallel zum Zulassungsprozess, sollte daher obligatorisch sein“, sagte IQWiG-Leiter Thomas Kaiser.
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