Jüngere Astrazeneca-Geimpfte sollen auf anderes Präparat umsteigen

Berlin – Mit einer ersten Astrazeneca-Dosis geimpfte Menschen unter 60 Jahren sollen für die zweite Impfung auf ein anderes Präparat umsteigen. Darauf haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern gestern Abend einstimmig verständigt.
„Die Lösung, die jetzt gefunden wurde, bietet einen guten Schutz für die Menschen“, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek. Die Minister folgen damit einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) von Anfang April.
Bei den Beratungen, an denen auch STIKO-Chef Thomas Mertens teilgenommen hatte, sei klar geworden, dass die Zweitimpfung durch einen mRNA-Imfpstoff, also das Präparat von Biontech/Pfizer oder Moderna, eine gute Basis sei, um die Menschen wirksam zu schützen, sagte Holetschek. „Gerade in der dritten Welle.“
Konkret empfiehlt der Beschluss für Personen unter 60 Jahren eine Zweitimpfung zwölf Wochen nach der Erstimpfung. „Bereits vereinbarte Termine zur Zweitimpfung können übergangsweise auch ab der neunten Woche nach der Erstimpfung stattfinden“, heißt es weiter.
Nur in Einzelfällen und nach einer individuellen Risikoanalyse mit einem Arzt könne auch Astrazeneca bei der Zweitimpfung verwendet werden. In der vergangenen Woche hatten die Gesundheitsminister die Entscheidung über den Wechsel der Impfstoffe noch verschoben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher noch keine Empfehlung für Kreuzimpfungen gegen das Coronavirus ausgesprochen. Es lägen noch keine ausreichenden Daten für mögliche Risiken einer ersten Impfdosis mit Astrazeneca und einem anderen Mittel als Zweitimpfung vor, hatte WHO-Sprecherin Margaret Harris am vergangenen Freitag erklärt. Sie bezog sich auf eine vorläufige Empfehlungen eines WHO-Expertengremiums von Februar. Demnach solle vorläufig das gleiche Produkt für beide Impfungen gespritzt werden.
Hintergrund der Empfehlung sind Verdachtsfälle auf eine Hirnvenenthrombose nach der Impfung mit Astrazeneca. Experten vermuten, dass das sehr geringe Risiko vor allem jüngere Menschen betrifft. Bund und Länder hatten deshalb kürzlich beschlossen, das Astrazeneca-Mittel in der Regel nur noch Menschen über 60 verabreichen zu lassen.
Laut Bundesgesundheitsministerium hatten in den vergangenen Wochen aber bereits rund 2,2 Millionen Bürger unter 60 Jahren eine Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten.
Berichte über Sinusvenenthrombosen haben inzwischen auch den Pharmakonzern Johnson & Johnson alarmiert. Er kündigte daraufhin gestern an, den Marktstart seines Impfstoffs in Europa zu verzögern. Zuvor hatten die Behörden in den USA eine vorübergehende Aussetzung der Impfungen mit dem Wirkstoff empfohlen, nachdem bei sechs Menschen im Land nach der Impfung solche Blutgerinnsel diagnostiziert worden waren.
In der EU ist der Impfstoff von Johnson & Johnson am 11. März zugelassen worden. Die Brüsseler Behörde erwartet bis Ende Juni 55 Millionen Dosen des Impfstoffs. Gut zehn Millionen Dosen sollen nach Deutschland gehen.
Das Präparat ist ebenso wie das von Astrazeneca ein vektorbasierter Impfstoff. Er nutzt ein harmloses Virus, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu schleusen. STIKO-Chef Thomas Mertens erklärte auf Anfrage, dass es jetzt zunächst Aufgabe der EMA sei, die erfolgte Zulassung zu prüfen. Folgen für Deutschland würden sich aus der verzögerten Auslieferung des Impfstoffes in Deutschland ergeben. Für weitergehende Aussagen sei es zu früh.
Angesichts der Entwicklung warnen Immunologen vor einem Scheitern der deutschen Impfstrategie und fordern von Bundesregierung schnelle Nachbestellungen von mRNA-Impfstoffen im nationalen Alleingang.
Wenn sich bewahrheiten sollte, dass Nebenwirkungen bei Johnson & Johnson ähnlich häufig seien wie bei Astrazeneca, wäre die Konsequenz, dass auch dieser Impfstoff Menschen unter 60 nicht verabreicht werden sollte, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, der Augsburger Allgemeinen.
Für die Impfung der unter 60-Jährigen stehe jedoch bis Herbst nicht ausreichend mRNA-Impfstoff zur Verfügung. „Der deutschen Impfkampagne droht ein großes Problem, deswegen muss die Bundesregierung jetzt reagieren und sowohl mit Biontech als auch mit Curevac in neue Verhandlungen treten und mehr Impfdosen für Deutschland sichern“, sagte Watzl. „Deutschland sollte hier einen Alleingang wagen, da es über die EU zu lange dauert und jetzt viele andere Länder ähnlich aktiv werden.“
Die niedergelassenen Ärzte kritisierten unterdessen eine Benachteiligung gegenüber Impfzentren in der Coronaimpfkampagne. „Den Praxen werden in den kommenden Wochen viel weniger Biontech-Dosen zugewiesen als versprochen, weil der Impfstoff offensichtlich vorrangig an die Impfzentren geht“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Zuteilung für die Hausärzte sei halbiert worden. Daher wachse bei den Ärzten die Sorge, dass sie in den kommenden Wochen eher weniger als mehr am Impfgeschehen teilhaben könnten.
Zwar erhalten die Arztpraxen den Angaben zufolge als Ausgleich für Biontech-Kürzungen mehr Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs. „Aber das wird so nicht aufgehen“, warnte Gassen. „Wenn die Impfzentren komplett den vergleichsweise unproblematischen Impfstoff erhalten, die Praxen aber den umstrittenen, der zumal den unter 60-Jährigen nicht gespritzt werden darf, wird die Impfkampagne massiv ins Stocken geraten. Das darf nicht passieren.“
Das Bundesministerium für Gesundheit widersprach der KBV. So seien die Impfstofflieferungen an die Arztpraxen nicht halbiert worden. Vielmehr steigere sich die Impfstoffmenge stetig. Außerdem sei immer klar geewesen, dass die Arztpraxen nach zwei Wochen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller erhalten würden, so ein Sprecher.
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