Politik

Kitaschließungen während der Pandemie waren nicht nötig

  • Mittwoch, 2. November 2022
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) /picture alliance, Carsten Koall
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) /picture alliance, Carsten Koall

Berlin – Die Schließungen von Kindertagesstätten in den ersten Coronawellen sind nach Ansicht von Bundes­gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unnötig gewesen. „Das Schließen von Kitas ist definitiv medizinisch nicht angemessen und wäre auch in dem Umfang, wie wir es damals gemacht haben, nach heutigem Wissen nicht nötig gewesen“, sagte er heute in Berlin.

„Kitas waren keine Infektionsherde. Die Inzidenzen lagen mit 9,6 Prozent unter denen in Schulen und Familien. Langfristige und schwere Infektionsverläufe mit COVID-19 waren bei den 0-5-jährigen Kindern eher selten“, be­richtete Lauterbach. Er bezog sich auf die Veröffentlichung der Corona-Kita-Studie, die er heute zusammen mit Bundesfamilien­mi­nis­terin Lisa Paus (Grüne) der Öffentlichkeit vorstellte.

„Es wird keine Schließungen dieser Art mehr geben“, sicherte der Bundesgesundheitsminister zu. „Ich halte aber nichts von Schuldzuweisungen; wir haben jetzt neue wissenschaftliche Erkenntnisse und müssen nun nach vorne schauen“, sagte Lauterbach.

„Die Pandemie hat die soziale Ungleichheit schon bei den Kita-Kindern verstärkt“, sagte Paus. Der Corona-Kita-Studie zufolge trügen die Kinder, die am meisten von frühkindlicher Bildung und Förderung profitieren könnten, besonders schwer an den Folgen der Eindämmungsmaßnahmen. Kitas mit vielen Kindern aus sozial benachtei­lig­ten Familien hätten jetzt einen fast doppelt so hohen Förderbedarf etwa bei Sprache oder Motorik wie vor der Pandemie.

Die von beiden Ministerien finanzierte und vom Deutschen Jugendinstitut und Robert-Koch-Institut durchge­führ­te Corona-Kita-Studie lief von Sommer 2020 bis Juni dieses Jahres. Untersucht wurden die Auswirkungen der Pandemie und der Schutzmaßnahmen auf Kindertagesbetreuung, Kinder und Familien aus verschiedenen Blickwinkeln. Ermittelt wurde darin unter anderem, wie oft Kinder im Kitaalter an Corona erkranken, wie em­pfänglich sie für das Virus sind und wie schwer die Krankheitsverläufe sind.

„Viele Kinder sind aufgrund der Coronamaßnahmen psychisch belastet, aber noch nicht psychisch krank“, sagte Lauterbach. Doch viele Kinder und Jugendliche finden keine Therapieplätze, die Wartezeiten sind lag. Um Chro­ni­fizierungen vorzubeugen, habe der Minister veranlasst, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten über Sonderbedarfszulassungen ermächtigen können. Zudem soll der Aus­bau von Gruppentherapien für Kinder und Jugendliche vorangetrieben werden.

Bundesfamilienministerin Paus wies auf eine sich noch in Arbeit befindliche Studie hin, die die finanziellen Fol­gen der psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen untersucht. Danach verursachen Depressionen, Angststörungen und Essstörungen Mehrkosten von 130 Millionen Euro. Eine Arbeitsgruppe in ihrem Ministerium kümmere sich um Maßnahmen, um psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. „Wir müssen verhindern, dass Teile einer Generation abgehängt werden“, erklärte Paus.

Der Corona-Kita-Studie zufolge waren Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren in den ersten zweieinhalb Jahren der Pandemie weniger von COVID-19-Infektionen betroffen als alle anderen Altersgruppen. Infizierte Kinder zeigten meist wenige oder keine Symptome. Kinder zeigten auch seltener schwere Krankheitsverläufe als Menschen anderen Alters. Die mit einer SARS-CoV-2-Infektion verstorbenen Kinder unter 5 Jahren war vergleichsweise klein und lag bei drei von 100.000 Kindern.

Die Studie zeigt weiter, dass die Schutz- und Hygienemaßnahmen, die in den Kitas umgesetzt wurden, das Übertragungsrisiko des SARS-CoV-2 Virus in relevantem Umfang reduzierten. Als nicht beabsichtigte Folge der Coronamaßnahmen fand in den Kitas ein Reboundeffekt bei anderen Atemwegserregern statt, der die Kinder, das Personal und die Familien belastete, vor allem im Frühherbst 2021.

Als besonders wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Infektionsfälle erwiesen sich in den Kitas das Bilden von Kleingruppen mit fester Personalzuweisung sowie das Tragen von Masken durch Erwachsene, vor allem in Innenräumen. Einen schützenden Effekt hatte auch das Lüften der Räume. Keinen messbaren Effekt hatte indes das regelmäßige Desinfizieren der Oberflächen.

Viele Kitas geben in der Studie einen relevanten Anteil an Kindern an, die einen deutlich höheren sprachlichen und motorischen Förderbedarf hätten, als im Vergleich zu vor der Pandemie. Je höher der Anteil an Kindern aus sozioökonomische schwachen Familien ist, desto pessimistischer sind die Angaben der Einrichtungen.

PB/dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung