Klinikpartnerschaft für den Aufbau des syrischen Gesundheitssystems gestartet

Berlin – Um den Wiederaufbau der zerstörten Gesundheitsversorgung in Syrien nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad zu unterstützen, ist heute eine syrisch-deutsche Klinikpartnerschaft gestartet.
Das Förderprogramm hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter Mitwirkung des an der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angesiedelten Programms Klinikpartnerschaften ins Leben gerufen.
Geplant sind vor allem Fortbildungen und Trainings in Syrien, durchgeführt von hauptsächlich syrischen Ärztinnen und Ärzten, die in Deutschland leben und arbeiten. Denkbar sind auch Onlinekurse und -schulungen.
„Wir können beide Sprachen und haben gute Kontakte zu Entscheidungsträgern in Syrien, um diese Angebote mit nur einem Telefonat zu organisieren“, erklärte Somar Hasan, stellvertretender Klinikdirektor an der Universitätsaugenklinik Mannheim. Hasan ist auch Vizepräsident der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland (SyGAAD).
Das möchte auch die Ärztin Nisreen Ali, die sich in der Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin befindet. „Ich konnte mich in Deutschland fachlich weiterentwickeln und kann meine Erfahrung nach Syrien bringen, um mein Heimatland zu unterstützen“, sagte Ali, die in Hamburg lebt.
Wichtig sei zunächst die Grundversorgung in Syrien sicherzustellen und Materialien zu liefern, sagte Yara Al Najar, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Es brauche keine Luxustechnologie, aber konkrete Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Dies könne auch per Videogespräch oder E-Mail erfolgen.
In der Grundversorgung bräuchte es zudem mehr psychiatrische Versorgung, forderte auch die angehende Psychiaterin Sara Mohamad, die an der Berliner Charité ihre Weiterbildung absolviert. Derzeit gebe es ihrer Ansicht nach nur rund 40 bis 50 Fachärztinnen und -ärzte für Psychiatrie in Syrien.
Unter großem Andrang kamen in Berlin heute mehr als 300 syrische und deutsche Ärztinnen und Ärzte sowie Vertreter von Kliniken und Hilfsorganisationen zusammen, um die Partnerschaft zu starten, entsprechende Ideen zu sammeln und bereits bestehende Kontakte nach Syrien zu verknüpfen.
„Das syrische Gesundheitssystem war schon vor dem Krieg marode, während des Kriegs in den vergangenen 14 Jahren ist es aber noch schlimmer geworden“, sagte der Augenarzt Iyad Durmus, der in Dortmund arbeitet. „Es fehlt an allem, an Infrastruktur, Medikamente, Geräte und Sanierungen der Gebäude, sagte Durmus. Hier komme eine große Aufgabe auf die syrischen Ärztinnen und Ärzte zu.
Hasan stimmte ihm zu. Banale Dinge wie Antibiotika, Spritzen oder Kanülen fehlten derzeit in Syrien, erklärte der Arzt. Man müsste darüber hinaus bereits jetzt beginnen, größere Projekte zu planen, damit diese in den nächsten Jahren umgesetzt werden könnten.
Mehrheit der Bevölkerung hat keinen Zugang zur Versorgung
„Mehr als ein Drittel der Krankenhäuser im Land sind nicht mehr funktionstüchtig“, erklärte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Es mangele an Personal, da die Hälfte des Gesundheitspersonals geflohen sei und an Medikamenten, weil Lieferketten zusammengebrochen seien. Zudem sei die Stromversorgung unzureichend.
„Fast 15 Millionen Syrerinnen und Syrer haben keinen angemessenen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen“, betonte Schulze. Das ist der Großteil der Bevölkerung, laut Statistischem Bundesamt (Destatis) gab es 2023 in Syrien rund 23,2 Millionen Einwohner.
Ziel sei, in den nächsten Monaten mehr als 20 deutsch-syrische Klinikpartnerschaften sowie Partnerschaften zwischen Gesundheitseinrichtungen und Vereinen zu etablieren, heißt es aus dem BMZ. Die Partnerschaften sollen in ganz Syrien etabliert werden, erklärte Schulze.
Dabei müsse die deutsche Regierung einen großen Spagat bewerkstelligen. Denn die rund 6.000 syrischen Ärzte, die in Deutschland arbeiten, seien unbedingt nötig für das hiesige Gesundheitssystem, betonte Schulze. Viele weitere seien zudem bereits eingebürgert. Hinzu kommen noch 2.000 syrische Pflegekräfte, die in Deutschland arbeiten, so Schulze.
Wenn diese Menschen Deutschland auf einen Schlag verlassen würden, wäre das kaum zu verkraften, betonte Schulze. Deshalb sei das Ziel, dass Ärzte syrischer Herkunft hier bleiben würden, aber trotzdem etwa für Fortbildungen und Schulungen zeitweise nach Syrien reisten, um beim Aufbau des dortigen Gesundheitssystems mitzuwirken und Kolleginnen und Kollegen zu trainieren.
Der syrische Gesundheitsminister habe bei Schulzes Besuch im Januar zudem klargestellt, dass Syrien es gar nicht schaffen würde, alle Syrerinnen und Syrer aus dem Ausland wieder aufzunehmen. Das solle in Etappen laufen, um Probleme wie genügend Wohnungen oder die Stromversorgung erst in den Griff zu bekommen, berichtete Schulze. Zunächst sollten die syrischen Staatsbürger aus den Grenzregionen wieder in das Land zurückkehren.
Sanktionen tragen zu kaputtem Gesundheitssystem bei
Weil in syrischen Krankenhäusern und Arztpraxen so viele Geräte defekt seien, müssten die Sanktionen der Europäischen Union (EU) sofort gestoppt werden, forderte der Augenarzt Durmus. „Die Sanktionen haben das Gesundheitssystem lahmgelegt, etwa weil Dialysegeräte oder Geräte für die Überwachung fehlen“, sagte er.
Auch der Kardiologe Ayham Al-Zoebi forderte eine sofortige Aufhebung der Sanktionen. „In einer Klinik, die ich kürzlich in Syrien besucht habe, gab es nur ein einziges EKG-Gerät in der Notaufnahme, alle anderen waren kaputt“, sagte Al-Zoebi, der sich als zweiter Vorsitzender bei der medizinischen Hilfsorganisation MEHAD Germany engagiert.
Die Geräte, die es noch gebe, stammten häufig aus China oder Russland und seien meist 15 Jahre alt, so Al-Zoebi weiter. „Wir brauchen neue Geräte, vor allem aus dem Westen und eine Ausbildung für die Ärztinnen und Ärzte, mit diesen Geräten umzugehen“, forderte er.
Zudem seien die Aufzüge in den Krankenhäusern häufig kaputt, weil es an Ersatzteilen fehle. Weiter sei auch die Personalplanung indirekt von den Sanktionen und fehlenden Ersatzteilen betroffen. „So können Krankenschwestern ihre Nachtschicht in einer Klinik nicht antreten, weil der Bus, der sie zuhause abholt und dort wieder absetzt seit einem Jahr kaputt ist“, sagte Al-Zoebi. Nachts sei es für sie zu unsicher, alleine in die Klinik zu kommen.
Wichtig sei zudem, dass der Krieg in Nordostsyrien schnell beendet werde, betonte der Notfallmediziner Michael Wilk aus Wiesbaden. Er engagiert sich seit vielen Jahren für das syrische Gesundheitssystem und arbeitet vor allem mit dem Kurdischen Roten Halbmond zusammen. Erst wenn nicht mehr geschossen werde, könne das Gesundheitssystem wieder aufgebaut und normal gearbeitet werden, betonte Wilk.
Für die deutsch-syrischen Klinikpartnerschaften seien 15 Millionen Euro vorgesehen. Dieses Geld habe der Haushaltsausschuss des Bundestages vor zwei Wochen freigegeben, sagte Schulze. Die Finanzierung sei längerfristig gesichert und hänge nicht an einer Fortführung der nächsten Bundesregierung, erklärte die Ministerin weiter. Die maximale Förderung für eine Partnerschaft beträgt 500.000 Euro für drei Jahre. Ab heute können entsprechende Anträge eingereicht werden.
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