Krankenhausreform: Erster Schritt hin zu wertebasiertem Gesundheitssystem

Berlin – Um die Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig Gesundheitskosten zu senken, sollte das aktuelle Gesundheitssystem umgebaut werden. Um dies zu erreichen, sollte das Prinzip der sogenannten „value-based Health-Care“ angewandt werden.
Das betonte Jens Deerberg-Wittram, Krankenhausmanager und Wissenschaftler am Center for Patient-Centered Outcomes Research an der Berliner Charité, bei einem Webinar der Technischen Universität Berlin.
Damit soll eine Steigerung von „Value“ (übersetzt: Wert) als Ziel des Wettbewerbs im Gesundheitswesen erreicht werden. Der Experte definiert Value als eine Art Formel, bestehend aus Gesundheitsergebnissen aus Patientensicht geteilt durch die Kosten, um diese Ergebnisse zu erzielen. Um zu dieser sogenannten „Value-based-Health-Care“ zu kommen, seien sechs Schritte notwendig, so Deerberg-Wittram.
In einem ersten Schritt werden integrierte Versorgungseinheiten benötigt, in denen Patienten von multidisziplinären Teams versorgt werden. Diese müssten ohne wirtschaftlichen Druck entscheiden können, welche Behandlung die beste für den Patienten sei.
Wichtig sei dafür auch zu berücksichtigen, Patienten möglichst zu einem geringsten Preis zu behandeln, etwa mithilfe von Physiotherapie oder Schmerztherapie anstelle einer kostenintensiven OP, die nicht unbedingt notwendig ist.
Zweitens sei es für diesen Ansatz wichtig, dass man sowohl die Gesundheitsergebnisse als auch die Kosten pro behandelten Patienten messe. Nur so könne man wissen, ob entsprechende Vorgehensweisen zu einer höheren Lebensqualität führen würden.
Kliniken, die eine hohe Qualität erbringen, sollten im Vergütungssystem auch entsprechend belohnt werden und mehr Geld erhalten als andere, schlägt Deerberg-Wittram als dritten Punkt vor.
Aufteilung von Behandlungen und Spezialisierung gefordert
Darüber hinaus dürften Kliniken künftig nicht mehr alles machen können. Stattdessen sollte besser verteilt werden, wer welche Aufgabe und welche Behandlungen übernehmen könnte. Dies müsse auch über verschiedene Leistungserbringer hinweg gedacht werden. Gleichzeitig müssten komplexe Eingriffe an Standorten mit einer „exzellenten Spezialversorgung“ durchgeführt werden. Diese Planung müsse stärker überregional ablaufen.
Und schlussendlich brauche es IT-Plattformen, die diese Schritte unterstützen könnten. Dazu gehörten Patientenplattformen zum Eintragen der entsprechenden Daten, aber auch Krankenhausinformationssysteme oder andere Datenplattformen für die Organisation der oben genannten Punkte.
Klar ist, viele dieser Punkte bildet die kürzlich in Kraft getretene bundesweite Krankenhausreform ab. Insbesondere die 65 neuen Leistungsgruppen, die einheitliche Kriterien zu benötigtem Personal oder technischer Infrastruktur erstmals definieren, sollen zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen. Diese Reform sei deshalb ein erster Schritt hin zu einer value-based Health-Care, bewertet Deerberg-Wittram.
Weitere Schritte seien die Verbindung der genauen Qualitätsmessung, empfiehlt der Forscher. „Wer künftig Interventionelle Kardiologie machen möchte, muss künftig die Qualität der stationären Versorgung messen“, schlägt Deerberg-Wittram vor.
Künftig mehr Ergebnisse aus Patientenbefragungen berücksichtigen
Ein erfolgreiches Praxisbeispiel sei die Vorgehensweise bei der Zertifizierung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) von Prostatakrebszentren. Die rund 140 zertifizierten Standorte in Deutschland müssten für dieses Zertifikat standardisiert Patient-reported-Outcomes, etwa wie viele Patienten nach der Behandlung inkontinent geworden sind, messen.
Dafür seien rund 17.000 Patienten befragt worden. Diese Daten werden veröffentlicht und zeigen unterschiedliche Behandlungsqualitäten der Kliniken an. „Als Patient würde ich schon gern wissen, welche Klinik den besten Durchschnitt hat“, so Deerberg-Wittram. In diesem Beispiel aus dem Jahr 2023 handele es sich dabei um die Universitätsmedizin Essen, die dieses Ergebnis selbst in den sozialen Medien geteilt hätte.
„Wir stellen diese Daten aber heute den Patienten nicht zur Verfügung“, kritisierte Deerberg-Wittram. Dies müsse sich ändern. Wenn die Daten nicht für alle öffentlich gemacht werden, werden sie stattdessen künftig von den jeweiligen Leistungserbringern verstärkt in sozialen Medien geteilt und damit auf anderen Wegen veröffentlicht, vermutet der Wissenschaftler.
Patientinnen und Patienten wüssten häufig nicht, wie gut oder schlecht eine Klinik ausgestattet sei und orientierten sich deshalb häufig an Faktoren wie etwa der räumlichen Nähe zu ihrem Wohnort. Deerberg-Wittram sprach sich deshalb auch für die Nutzung des Bundesklinikatlas aus, der über Leistungen in Kliniken transparent aufklären will. Dieser werde die Transparenz erhöhen und Patienten mehr Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der richtigen Klinik bieten.
Das Portal ist im Mai 2024 online gegangen und wird vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) betrieben. Zum Start gab es einige Probleme, mitunter fehlerhafte Darstellungen von Informationen. Mittlerweile ist der Atlas nach Organen, beziehungsweise Fachgruppen gegliedert.
Der Klinikvergleich mancher Behandlungen von Erkrankungen ist bereits hinterlegt, allerdings ist das Portal noch nicht vollständig und deckt alle Behandlungen und Leistungen ab. Das Portal wird zudem offenbar nur wenig genutzt.
Deerberg-Wittram kritisierte auch das aktuelle Finanzierungssystem nach diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) deutlich. Weil man so eine strenge Preiskontrolle im deutschen Gesundheitssystem habe, steige durch diese Logik aus „purer Not“ das Fallvolumen. Das schlage sich in den immer weiter steigenden Gesundheitskosten nieder.
Er begrüßte deshalb die in der Krankenhausreform angedachte Vergütungsreform – weg von den DRG-Fallpauschalen hin zu einer 60-prozentigen Vorhaltefinanzierung. Anreize für viele zusätzliche Operationen würden so künftig sinken, zeigte sich Deerberg-Wittram überzeugt. Die Vorhaltepauschalen würden zudem zu einem verstärkten „Tausch“ von Leistungsgruppen führen, so dass sich die Kliniken besser auf weniger Leistungsgruppen konzentrieren können.
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