Politik

Krankenhausreform: Kritik an unzureichender Arbeit der Regierungskommission

  • Freitag, 4. August 2023
/picture alliance, CHROMORANGE, Christian Ohde
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Frankfurt am Main – Der Regierungskommission Krankenhaus wird vorgeworfen in ihrer letzten Stellung­nahme unzureichende Daten verwendet, wichtige Aspekte außer Acht gelassen und falsche Berechnungen aufgestellt zu haben.

Ein Team um die Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling (DGfM), Erika Raab, hat gestern ein 122-seitiges Gutachten mit ent­sprechender Kritik an der Stellungnahme veröffentlicht.

Die Regierungskommission Krankenhaus setzt sich aus 17 Expertinnen und Experten aus Medizin und der Gesundheitsversorgung sowie Ökonomie und Rechtswissenschaften zusammen. Im Mai 2022 hatte Bundes­gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Kommission ins Leben gerufen.

Sie sollen Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft erarbeiten. Bislang hat die Kommission fünf Stellungnahmen unter anderem zur Pädiatrie und Geburtshilfe, Krankenhausreform sowie Tagesbehandlungen in den Kliniken vorgelegt.

In der fünften Stellungnahme „Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung: Poten­zialanalyse anhand exemplarischer Erkrankungen“ plädiert die Kommission für mehr Spezialisierung und Kon­zentration der Gesund­heitsversorgung durch evidenzbasierte Mindestvoraussetzungen in den Krankenhäu­sern. Sie zeigt zudem auf, dass eine flächendeckende und schnell erreichbare Krankenhausversorgung sicher­gestellt werden könne, auch wenn die Behandlung ausschließlich in zertifizierten oder geeigneten Stand­orten erfolgen würde.

Die Kommission habe allerdings zu eng gefasste und veraltete Daten genutzt. Lediglich jeweils eine Studie für die analysierten Bereiche Schlaganfall und Krebs habe die Kommission herangezogen erklärte Raab. Diese Sekundärdaten, erhoben von Kran­kenkassen würden aber nicht ausreichend etwa über weitere Faktoren wie Alter und Vorerkrankungen aufklären, seien nicht repräsentativ, so Raab. Die für die Stellungnahme verwende­ten Daten würden zudem nur bis zum Jahr 2017 reichen, kritisierte sie weiter.

Die Regierungskommission hat das Gutachten erst heute erhalten und möchte sich zunächst im Detail damit beschäftigen, erklärte der Leiter der Kommission, Tom Bschor, dem Deutschen Ärzteblatt auf Nachfrage. „Für eine kritische Diskussion, soweit sie sachlich und wissenschaftlich und nicht primär von Interessen getrieben ist, steht die Regierungskommission natürlich zur Verfügung.“

Verzerrung der Realität

„Die Ergebnisse verzerren die Versorgungsrealität von den deutschen Kliniken“, bemängelte Raab. Zudem habe die Kommission „umfassende und bereits für Kliniken geltende Qualitätsprüfungen und -sicherungen komplett missachtet“.

Auch die Vorgaben des Notfallstufenkonzepts des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) seien nicht be­rücksichtigt worden, so die Kritik. Außerdem habe die Kommission etwa den Zentrumsbegriff bei Krebszentren stark eingeschränkt, obwohl die Definition eigentlich breiter aufgestellt sei.

Raab betonte, dass die Debatte um die geplante Krankenhausreform mit Sachverstand und Fakten geführt werden müsse. Sie bemängelt, dass die Diskussion um die Krankenhausreform vor der Veröffentlichung der fünften Stellungnahme sachlich geführt gewesen und danach von negativen Schlagzeilen überschattet worden sei.

Die Aussage der Regierungskommission, dass knapp 5.000 Schlaganfalltodesfälle vermeidbar gewesen wären, wenn alle Schlaganfallpatienten in einem Krankenhaus mit einer Stroke Unit behandelt worden wären, sei laut Gutachten nach einer genauen Überprüfung nicht richtig.

Bei vermeidbaren Todesfällen einige Aspekte unberücksichtigt

Nicole Eisenmenger, Gesundheitsökonomin und Geschäftsführerin vom Reimbursement Institute, betonte, dass diese Fälle nicht mit der tatsächlichen Zahl an Menschen gleichzusetzen seien. Bereinige man die Zahl der knapp 5.000 vermeidbaren Todesfälle innerhalb des ersten Jahres nach dem Schlaganfall sowie dessen Rechenweg auf Rezidive, also wiederholte Krankenhausaufenthalte sowie Verlegungsfälle reduziere sich die Zahl der vermeidbaren Todesfälle auf 638, so Eisenmenger.

Außerdem habe die Kommission Palliativbehand­lungen und Patientenverfügungen in dieser Berechnung nicht mitberücksichtigt. „Wenn bei einer Analyse zu möglicherweise vermeidbaren Todesfällen keine Rücksicht auf Palliativbehandlungen und Patientenverfügungen genommen wird – dann verlagert die Regierungskommission die notwendige Diskussion über Versorgungsqualität auf eine realitäts­fremde Ebene. Dabei sollte der Patientenwille stärker im Fokus von Qualitätsdebatten stehen“, betonte Raab.

Auch Ulf Dennler, Mitglied des Präsidiums der DGfM, Fach­arzt für Anästhesie und Intensivmedizin und Leiter der Stabsstelle Datengestütztes Krankenhausmanage­ment am Universitätsklinikum Würzburg, betonte darüber hinaus: „Mich hat es überrascht mit welch plakati­ver Aussage die Regierungskommission gesagt hat, dass es zu wenig Daten über Leistungen im Krankenhaus gibt.“

Dabei gebe es bereits viele Daten, so Dennler. Er kritisierte, dass der Blick auf veraltete Daten aufgrund des medizinischen Fortschritts ohne eine Berücksichtigung der Trends das Potenzial zukünftiger Entwicklungen verfälsche.

Finanzielle Einsparungen nur durch Standortschließungen möglich

Durch die geplanten Leistungsgruppen und der Konzentration von Leistungen seien zudem kaum finanzielle Einsparungen möglich, betonte Dirk Elmhorst, Facharzt für Chirurgie und Geschäftsführer der Beratungsfirma Mediqon.

„Ich kann nicht erkennen, wie sich durch die geplante Krankenhausreform die prekäre finanzielle Situation der Krankenhäuser verbessern kann. Das erscheint mir nur möglich, wenn eine größere Zahl an Krankenhäu­sern geschlossen wird“, so Elmhorst. Gelingen könne die Krankenhausreform nur, wenn eine sektorenübergrei­fende Versorgung stärker in den Blick genommen werde.

Mitglieder der Regierungskommission Krankenhaus, darunter der Intensivmediziner Christian Karagiannidis und Gesundheitsökonom Reinhard Busse, hatten in der Vergangenheit immer wieder betont, dass es für eine erfolgreiche Reform und eine bessere Patientenversorgung deutlich weniger Krankenhausstandorte bräuchte.

Zielbild seien etwa rund 1.200 Kliniken mit knapp 320.000 Betten, so der Vorschlag von Karagiannidis von vor einigen Wochen. Aktuell gibt es in Deutschland rund 1.700 somatische Krankenhausstandorte mit etwa 440.000 Betten.

Eine „äußerst verdienstvolle Arbeit“ nannte Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes (MB) die vorgelegte Kritik der fünften Stellungnahme der Kommission. „Es wird deutlich, dass die Kommission teilweise veraltete Daten verwendet und wichtige Parameter unberücksichtigt gelassen hat“, sagte sie.

Sie erwarte deshalb eine selbstkritische Aufarbeitung der Regierungskommission. „Gute Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, kritische Einwände aufzunehmen und zu bewerten. Standards guter wissenschaftlicher Praxis dürfen niemals in Frage stehen“, sagte Johna.

Sie pochte auf die Notwendigkeit einer fundierten Analyse der Ist-Situation um die grundsätzlich sinnvollen Ziele der Krankenhausreform der Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität und der Entbürokrati­sierung zu erreichen.

„Bund und Länder sind daher gefordert, rechtzeitig vor Fertigstellung des Referentenentwurfs eine belast­bare Ausgangsanalyse und Folgenabschätzung unter Berücksichtigung einer immer älter werdenden Bevölke­rung vorzulegen, die auch regionale Aspekte berücksichtigt. Wir können uns eine Reform im Blindflug nicht leisten“, betonte Johna.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sowie einige Ärztekammern kritisierten die fünfte Stellung­nah­me der Regierungskommission ebenfalls kurz nach ihrer Veröffentlichung. Die Expertise von Fachärztinnen und Fachärzten sei etwa unzureichend berücksichtigt worden. Außerdem fehle die Einbeziehung der bereits bestehenden qualitätsgesicherten Strukturen etwa der Schlaganfallbehandlung in den Bundesländern, hieß es vor einigen Wochen.

cmk

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