Politik

Krankenhausreform: Standort­konzentration vor allem in Ballungsgebieten

  • Dienstag, 20. Juni 2023
/picture alliance, Christophe Gateau
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Berlin – Die geplante Krankenhausreform sieht unter anderem eine Zentralisierung und Konzentration von Klinikstandorten vor. Damit soll einerseits die Qualität der Patientenversorgung verbessert, andererseits auch Geld eingespart werden, um die wirtschaftliche Lage der Häuser langfristig abzusichern. So argumentieren Experten und insbesondere die Regierungskommission Krankenhaus.

Die Konzentration von Standorten durch die Reform werde vor allem in städtischen Gebieten und Ballungsräumen deutlich, schätzt Boris Augurzky, Mitglied der Regierungskommission und Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung heute bei einer Online-Veranstaltung des Science Media Centers.

Einer Simulation zufolge könnten in Berlin künftig rund die Hälfte der Krankenhausstandorte bestimmte Leistungsgruppen anbieten im Vergleich zu den Kliniken, die entsprechende Leistungen bereits heute erbringen.

Zur Erklärung: Die Krankenhausreform sieht Leistungsgruppen vor, die genaue Qualitätsvorgaben enthalten sollen. Künftig sollen nur noch die Kliniken bestimmte Eingriffe und Therapien vornehmen dürfen, für die sie entsprechende Qualitätskriterien und Mindestvorgaben vorhalten können. Zudem ist geplant, die Finanzierung der geplanten Vorhaltebudgets an die Leistungsgruppen zu knüpfen.

Die Leistungsgruppe Ösophaguseingriffe könnten in Berlin nach aktuellem Stand etwa elf Standorte erbringen. Nach der Reform wären es der Simulation zufolge noch sechs, erklärte Augurzky heute. Auch bei Pankreaseingriffen oder tiefen Rektumseingriffen würde sich die Zahl der Standorte halbieren.

Bei den Pankreaseingriffen würde die Zahl der Standorte von 22 auf acht sinken, bei den Rektumseingriffen wären es von 32 auf 14. Auch bei der Endoprothetik-Hüfte oder -Knie würden sich die Standortzahlen deutlich verringern, so Augurzky. Für Berlin würde sich die Erreichbarkeit der Standorte für die Patienten damit etwa um rund drei Minuten verschlechtern.

Simulation für Mecklenburg-Vorpommern

Im Vergleich dazu fällt die Simulation für das dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern anders aus. Dort würden künftig statt sechs Standorten noch fünf Kliniken Ösophaguseingriffe vornehmen können. Bei den Pankreaseingriffen wären es sieben statt zehn und bei den tiefen Rektumseingriffen elf statt 14.

„In Mecklenburg-Vorpommern sehen wir eine deutlich geringere Reduktion von Standorten, weil die Fläche weiterversorgt werden muss“, erklärte Augurzky. Hier werde die Anfahrtszeit nicht viel länger werden, deshalb würden auch mehr Standorte erhalten, so Augurzky.

Die Krankenhausreform sei kein geplanter Kahlschlag, der alle Standorte im ländlichen Raum dicht machen solle, betonte der Gesundheitsökonom. Es gehe vielmehr darum, ökonomische und medizinische Vorteile zu erzielen, indem Leistungen an einem Standort häufiger erbracht werden, so Augurzky.

Die Sorge vieler Krankenhäuser aber auch vonseiten der Pflegefachkräfte und Ärztinnen und Ärzte ist groß, dass aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage vieler Kliniken und auch aufgrund der geplanten Reform viele kleine Krankenhäuser dicht machen müssten. Damit sei die flächendeckende Patientenversorgung in Gefahr, heißt es oft.

Die Pflegedirektorin des Deutschen Pflegerates, Jana Luntz, warnte zudem vor geplanten Verschiebungen des Personals. „Wir sind kein Wanderzirkus“, sagte sie heute bei einer Protestaktion der Deutschen Krankenhaus­gesellschaft (DKG).

Das Pflegepersonal würde mit der Reform aber eine Wahlmöglichkeit erhalten, sagte Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin und ebenfalls Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus. Sie könnten sich demnach künftig aussuchen, ob sie eine komplexere Versorgung übernehmen wollten und dafür an einen Standort fahren, der diese Leistungsgruppen erfülle oder ob sie an ihrem Standort verbleiben wollen, der die Gruppen künftig nicht mehr erfüllen könnte. In letzterem Fall sollte das Pflegepersonal mehr Autonomie erhalten, schlägt der Gesundheitsökonom und Mediziner vor. Busse zeigte sich zudem überzeugt, dass aufgrund dieser Optionen mehr Pflegekräfte in Vollzeitarbeit zurückkehren werden.

Vorhaltebudget für jede einzelne Leistungsgruppe

Zur geplanten Vorhaltefinanzierung erklärte Busse, dass für jede Leistungsgruppe ein eigenes Vorhaltebudget geplant sei. Wenn ein Krankenhaus alle 64 geplanten Leistungsgruppen vorhalten würde, könne es entsprechende Anteile der 64 Vorhaltebudgets erhalten, so Busse.

Der Intensivmediziner und weiteres Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus, Christian Karagiannidis, nannte ein Beispiel. Bei einem Anteil von 60 Prozent Vorhaltefinanzierung, wie es zuletzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgeschlagen hatte, würden bei einem Volumen von einer Milliarde Euro für Herzklappenimplantationen 600 Millionen Euro für die Vorhaltefinanzierung an die Kliniken ausgeschüttet werden, die diese Leistungsgruppe anbieten und durchführen dürfen. Sie erhalten das Geld, bevor sie auch nur eine Implantation gemacht haben, so Karagiannidis.

Augurzky ergänzte, dass weniger Standorte damit jeweils mehr Geld erhalten werden, als wenn viele Kliniken die gleiche Leistungsgruppe erfüllen. Damit werde aber auch eine gewisse Konzentration von Standorten sichergestellt, so Augurzky.

cmk

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