Politik

Krankenkassen: Weitere Erhöhungen bei Zusatzbeiträgen

  • Donnerstag, 1. August 2024
/picture alliance, Zoonar
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Berlin – Die schwierige finanzielle Lage in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wirkt sich nun so aus wie von Fachleuten befürchtet: Viele Krankenkassen mussten ihren Zusatzbeitrag unterjährig erhöhen, nach­dem bereits zum Jahreswechsel etliche Kassen diesen Schritt gegangen waren.

Dabei hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mehrfach betont, politisches Ziel sei es, ein hohes Defizit der Kassen zu verhindern, gleichzeitig aber auch die Versicherten nicht über Gebühr zu belasten.

Für dieses Jahr hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eigentlich einen durchschnittlichen GKV-Zu­satzbeitragssatz von 1,7 Prozent angesetzt. Jede Kasse entscheidet aber je nach Haushalt und entsprechender Prüfung durch den jeweiligen Verwaltungsrat selbst über die Höhe. Der allgemeine Beitrag zur GKV liegt der­zeit bei 14,6 Prozent.

Nachdem die Krankenkassen in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres ein Defizit in Höhe von 776 Millionen Euro verzeichnen mussten, legten viele Kassen bei den Zusatzbeiträgen nach – unterjährige Erhö­hungen sind eigentlich eine absolute Ausnahme. Schon im vergangenen Jahr war allerdings ein GKV-weites Defizit von rund 1,89 Milliarden Euro aufgelaufen, weshalb die Finanzreserven nahezu aufgebraucht sind.

So hat die KKH, mit 1,6 Millionen Versicherten eine der größeren bundesweiten Krankenkassen, ihren Zusatz­beitrag zum 1. August auf 3,28 Prozent erhöht. Die Anpassung des Beitragssatzes sei auf unerwartet hohe Kostensteigerungen in der gesamten GKV zurückzuführen, so der Verwaltungsrat. Diese seien zum Zeitpunkt der Haushaltsplanung im vergangenen Jahr in dieser Dimension nicht absehbar gewesen.

Bei der Knappschaft mit rund 1,5 Millionen Versicherten stieg der Zusatzbeitrag zu Anfang August um 0,5 Prozentpunkte und liegt nun bei 2,7 Prozent. Trotz „seriöser sowie vorausschauender Finanzplanung und trotz aller Sparbemühungen“ reichten die Mittel nicht aus, um ohne eine Anpassung des Zusatzbeitragssatzes die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung der Versicherten zu decken, so die Kasse. Zudem hätten die gesetz­lich vorgegebenen Vermögensabführungen zum Abschmelzen bestehender Rücklagen geführt und stünden jetzt für einen finanziellen Ausgleich von Mehrausgaben nicht mehr zur Verfügung.

Vor „dem Hintergrund der aktuellen Finanzsituation und der zu erwartenden politischen Entscheidungen“ hat auch der Verwaltungsrat der IKK classic eine Anpassung des Zusatzbeitragssatzes um 0,49 Prozentpunkte auf 2,19 Prozent zu Anfang August beschlossen – davon sind mehr als drei Millionen Versicherte betroffen. Die mkk musste ihren Zusatzbeitrag um 0,7 auf 2,5 Prozentpunkte anheben.

Bereits zum Juli hatten mehrere bundesweit geöffnete BKKen sowie die IKK ihre jeweiligen Zusatzbeiträge erhöht. Diese liegen nun zwischen 2,2 und 2,55 Prozent – also auch weit über den vom BMG angepeilten 1,7 Prozent.

Politik untätig

„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Arbeitgeber zahlen einen hohen Preis für Karl Lauterbachs Untätigkeit bei der Stabilisierung der GKV-Finanzen“, kritisierte jüngst Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes.

Dabei könne ein großer Teil des Kostendrucks genommen werden, wenn die Bundesregierung „endlich an den richtigen Stellschrauben drehen würde“. Die zunehmende Finanznot in der GKV sei der Politik seit langem be­kannt. Der bisherige politische Reflex, bei fehlenden Mitteln die Beitragszahler zu belasten, gehe nicht mehr lange gut.

Das „permanente Schröpfen der Versichertengemeinschaft“ müsse endlich aufhören, so Klemm. Außerdem müssten die anstehenden Reformen für die Versicherten einen spürbaren Mehrwert in der Gesundheitsversor­gung bringen. Deutschland gebe, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, so viel Geld für sein Gesundheitssystem aus wie kein anderes Land in der EU. Trotzdem sei man bei der Versorgung nur Mittelmaß.

Um die GKV-Finanzen zu stabilisieren, müsse die Bundesregierung beispielsweise bei den im Koalitionsver­trag versprochenen Finanzmitteln für Bürgergeldbeziehende liefern – dies würde rund neun Milliarden Euro be­ziehungsweise 0,5 Beitragssatzpunkte Entlastung bringen. Laut BKK Dachverband würde eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes bei Arzneimitteln auf sieben Prozent den Beitragssatz um weitere 0,2 Prozent­punkte senken.

Darüber hinaus müssten die Länder ihren Verpflichtungen bei der Krankenhausfinanzierung nachkommen, bevor weitere Mittel in einen Transformationsfonds für eine Krankenhausstrukturreform fließen. Klemm forderte zudem ein klares Zielbild für die Reform.

Nach Einschätzung der Techniker Krankenkasse (TK) droht eine Erhöhung der GKV-Beitragssätze auf bis zu 20 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts. Anfang kommenden Jahres werde es bereits „auf breiter Front deutliche Beitragssatzsteigerungen in der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung“ geben, sagte der TK-Vorstands­vorsitzende Jens Baas den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) von heute. Bis zu 0,6 Pro­zentpunkte mehr im kommenden Jahr seien „absolut realistisch“.

Dadurch werde dann im Schnitt ein Beitrag von fast 17 Prozent erreicht, sagte Baas. „Das galt noch vor ein paar Jahren als eine völlig abstruse Größenordnung.“ Doch der Anstieg werde sich weiter fortsetzen: „Wir be­wegen uns bis zum Ende des Jahrzehnts ungebremst auf einen Beitragssatz von 20 Prozent zu – wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt.“ Auch Baas forderte Minister Lauterbach auf, für eine Stabilisierung der Kassen­finanzen zu sorgen.

BMG sieht „dynamische Ausgabenentwicklung“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) teilte auf Anfrage mit, es werde aktuell eine „sehr dynamische Ausgabenentwicklung in der GKV“ beobachtet. In welchem Maße diese mit Anhebungen der Zusatzbeitrags­sätze einhergehen würden, sei jedoch erst im Herbst auf Basis der GKV-Schätzerkreisprognose absehbar.

Der GKV-Schätzerkreis, bestehend aus Expertinnen und Experten des BMG, des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS) und des GKV-Spitzenverbandes, schätzt immer im Oktober die Einnahmen und Ausgaben der GKV. Auf Basis der Schätzung legt das BMG dann den durchschnittlichen Zusatzbeitrag für das Folgejahr fest.

Das Ministerium betonte weiter, die finanzielle Situation der GKV „fest im Blick“ zu haben. Es werde kontinu­ier­lich daran gearbeitet, „die solidarische Finanzierung von medizinischen Versorgungsleistungen auf höchs­tem Niveau auch in Zukunft nachhaltig und stabil finanzierbar zu erhalten“.

Dafür werde an der Umsetzung verschiedener Reformmaßnahmen gearbeitet, „die die Effizienz der Versor­gung langfristig stärken sollen“. Genannt wurden unter anderem Maßnahmen zur stärkeren Digitalisierung und zum Umbau der Krankenhauskapazitäten. Diese sollen demnach „langfristig zu einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis“ führen.

aha/afp

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