Kritik an Entwurf für künftige Coronarechtsgrundlage

Berlin – Der Entwurf der Bundesregierung für die neue Coronarechtsgrundlage ist nach Ansicht von Experten und Landespolitikern unzureichend. Geregelt wird in dem Entwurf, was die Länder weiter verordnen können, wenn zum 20. März wie vereinbart alle tiefgreifenden Schutzmaßnahmen entfallen.
Möglich sein sollen dann noch Maskenpflichten in Pflegeheimen, Krankenhäusern und dem öffentlichen Nahverkehr sowie Testpflichten in Pflegeheimen und Schulen. Bundesweit bleiben soll außerdem die Maskenpflicht in Fernzügen und Flugzeugen.
Wenn sich vor Ort die Coronalage zuspitzt, sollen dort einige schärfere Auflagen verhängt werden können: Maskenpflichten, Abstandsgebote, Hygienekonzepte sowie Impf-, Genesenen- oder Testnachweise (3G/2G/2G plus) – aber nur, wenn sich vorher das jeweilige Landesparlament damit befasst hat.
Andere Maßnahmen wie etwa Kontaktbeschränkungen wurden auf Drängen der FDP aus dem Katalog der Schutzmöglichkeiten gestrichen, obwohl die weitere Entwicklung des Virus unklar ist. Ursprünglich hatte sie aber bis auf die Maskenpflicht alles streichen wollen.
Mehrere Bundesländer hatten den Koalitionskompromiss kritisiert, auch Länderchefs aus den Berliner Ampel-Parteien. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa hält es für „grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung ohne Not wirksame Instrumente für den Notfall aus der Hand gibt“.
Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) hatte gesagt: „Man wirft doch den Feuerlöscher nicht weg, wenn es noch brennt.“ Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte sich kritisch geäußert. Denn immerhin steigen die Neuinfektionszahlen wieder, wenn auch bei meist milderem Verlauf. Inzwischen sind es mehr als 1.300 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche.
Etwas positiver äußerte sich Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD): „In der gegenwärtigen Lage halte ich das für eine verantwortbare Regelung“, sagte er der Welt. „Sollte sich das Pandemiegeschehen künftig allerdings grundlegend ändern und eine flächendeckende Überlastung des Gesundheitswesens drohen, müsste der Bundesgesetzgeber noch einmal nachbessern.“
Regierung und Koalitionsabgeordnete wandten sich gegen die Kritik. Die neuen Hotspotregelungen trügen den Wünschen der Länder Rechnung, bei Bedarf schärfere Maßnahmen anzuordnen, sagte Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) der Augsburger Allgemeinen. Und der FDP-Politiker Andrew Ullmann sagte der Zeitung, künftig stünden Eigenverantwortung und Schutz der vulnerablen Gruppen im Mittelpunkt.
Das sieht der Vorstand der Patientenschutz-Stiftung, Eugen Brysch, allerdings nicht so: Anders als bei Heimbewohnern sehe die Gesetzesnovelle nichts zum Schutz zuhause lebender Pflegebedürftiger vor, sagte er den Funke-Zeitungen. Die Koalition vergesse Millionen Hilfsbedürftige und ihre Angehörigen.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lobte den Entwurf, forderte aber noch Änderungen in Details, „um Missverständnisse und unterschiedliche Interpretationen auszuschließen“, wie er der Welt sagte. „Insbesondere müssen die Eingriffsschwellen für die Hotspotmaßnahmen im Gesetz genau definiert werden.“
Ähnlich argumentierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen: „Voraussetzung müssen dann aber auch harte Daten sein, wie zum Beispiel die Belegung von Intensivstationen durch Coronafälle, um nicht den Eindruck von Beliebigkeit zu erwecken“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sieht noch Nachschärfungsbedarf bei den Plänen zum Coronaschutz für die nächsten Monate. „Der Zweiklang aus Basismaßnahmen und Hotspotregeln ist im Grundsatz richtig, aber deren Ausgestaltung ist möglicherweise nicht weitreichend genug“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Die Belastung des Gesundheitswesen nehme derzeit wieder zu. „Wir können noch nicht Tabula rasa bei den Schutzmaßnahmen machen.“
Dahmen sagte, zu einem soliden Basisschutz gehöre auch eine Maskenpflicht im Einzelhandel und anderen Innenräumen. „Es wäre wenig konsistent, unter den gegebenen Umständen eine Maskenpflicht im Nahverkehr, aber nicht bei dichtem Gedränge beim Einkaufen zu verhängen.“
Hier seien nun die Landesparlamente gefragt, schnell durch Beschlüsse für anhaltende Sicherheit zu sorgen. Auch bei regionalen Ausbrüchen könne noch weiterer Handlungsspielraum etwa mit Blick auf Kontaktbeschränkungen erforderlich sein.
Der Notfallkoffer sei diesbezüglich nicht mit allen wirkungsvollen und erprobten Instrumenten gefüllt. „Für eine vorausschauendere und vorsorgendere Pandemiepolitik fehlt aber derzeit offenbar die parlamentarische Mehrheit“, sagte Dahmen.
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