Kritik an steigendem Anteil von Steuern und Sozialabgaben

Berlin – Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat den weiter steigenden Anteil der Steuern und Sozialabgaben an den Arbeitseinkommen kritisiert. Reformbedarf sehen auch Wirtschaftsweise.
Ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt müsse für Steuern und Sozialabgaben im laufenden Jahr 52,9 Prozent seines Einkommens aufwenden, 0,3 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, sagte BdSt-Verbandspräsident Reiner Holznagel in Berlin. Allerdings erhielten die Menschen für diese Zahlungen natürlich auch Gegenleistungen, räumte Holznagel ein.
Grundlage der Berechnungen des Verbandes sind Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) von 2022, die durch aktuelle Hochrechnungen ergänzt wurden. Daraus schließt der Verband, dass im Jahr 2025 bis zum 13. Juli rechnerisch das gesamte erzielte Einkommen in öffentliche Kassen fließt. Dieser Tag wird vom BdSt als „Steuerzahlergedenktag“ bezeichnet.
Für die Berechnungen berücksichtigt der Steuerzahlerbund nur Arbeitnehmerhaushalte. Für Selbstständige lägen von Seiten des Statistischen Bundesamts keine hinreichenden Daten vor, hieß es zur Begründung. Für Singlehaushalte ist der Anteil staatlicher Steuern und Abgaben an den Einkünften dem Verband zufolge mit 53,8 Prozent etwas höher als bei Mehr-Personen-Haushalten mit 52,6 Prozent.
Als Grund für den Anstieg nannte Holznagel vor allem höhere Sozialabgaben. So sei der durchschnittliche Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 0,8 Prozentpunkte auf durchschnittlich 2,5 Prozent gestiegen, der Beitragssatz der Sozialen Pflegeversicherung zudem um 0,2 Prozentpunkte. Ebenfalls gestiegen seien Steuern und Abgaben auf Energie, etwa durch die CO2-Abgabe und höhere Netzentgelte.
Holznagel wies darauf hin, dass die Steuern und Abgaben in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch seien. „Unsere Steuer- und Abgabenpolitik ist nicht wettbewerbsfähig“, sagte er. Dies sei auch aus wirtschaftlicher Sicht „hochproblematisch“.
Der Leiter des Deutschen Steuerzahlerinstituts des Bundes der Steuerzahler, Matthias Warneke, wies allerdings darauf hin, dass bei den internationalen Vergleichswerten auch unterschiedliche Abgabensysteme eine Rolle spielen. Beispielsweise sei in der Schweiz zwar der Pflichtbeitrag zur Krankenversicherung niedriger, dafür müsse aber mehr für private Vorsorge aufgewendet werden.
„Wir brauchen einen Kurswechsel hin zu mehr finanzieller Eigenverantwortung“, forderte Holznagel. Es sei wichtig, bei staatlichen Ausgaben „Prioritäten zu setzen und Einsparungen vorzunehmen“. Auch bei den Sozialversicherungen müsse überprüft werden, welche ihrer Leistungen „notwendig und auch bezahlbar seien“. Es gebe hier „kein Einnahme- sondern ein Ausgabenproblem“. Beispiele für mögliche Einsparungen oder Leistungskürzungen nannte der Verband allerdings auf der Pressekonferenz nicht.
Deutliche Kritik übte Holznagel an der schwarz-roten Bundesregierung. Er stellte vor allem infrage, dass die Mittel aus dem neuen Sondervermögen für Investitionen und Klimaschutz wie vorgesehen für zusätzliche Investitionen verwendet werden. Stattdessen würden Mittel für Investitionen aus dem Kernhaushalt in das kreditfinanzierte Sondervermögen verschoben, um im Etat Spielräume für vorrangig konsumptive Ausgaben zu schaffen. Für Länder und Kommunen sei die Vorgabe zusätzlicher Investitionen sogar komplett gestrichen worden.
Grundsätzlich offen zeigte sich Holznagel für eine Umstellung der Sozialversicherungen auf Bürgerversicherungen, in die alle einzahlen, also auch Selbstständige und Beamte. Ein solcher Schritt müsse aber der Entlastung dienen, nicht um „Leistungen sogar noch auszudehnen“.
Nach Einschätzung des Wirtschaftsweisen Martin Werding müssen sich die Arbeitnehmer auf Sozialabgaben in Höhe von 50 Prozent des Bruttoeinkommens einstellen. „Die aktuelle Entwicklung ist atemberaubend. Die Frage ist nicht, ob die Beitragssätze irgendwann 50 Prozent erreichen, sondern wann das geschieht“, sagte Werding der Rheinischen Post. Wegen der fortschreitenden demografischen Alterung halte der Aufwärtstrend ohne Reformen in den 2030er-Jahren unverändert an.
Bereits für das Jahr 2026 erwarte der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum die nächste Beitragserhöhung. „Zum Jahresanfang haben die Krankenversicherungsbeiträge im Durchschnitt die 17-Prozent-Marke geknackt. Seither haben mehrere Kassen ihre Zusatzbeiträge schon wieder angehoben, aktuell dürfte der Durchschnitt bei 17,5 Prozent liegen.“
Für das laufende Jahr rechnete Werding damit, dass sich die Summe aller Sozialbeiträge von 42 Prozent auf 43 Prozent erhöht. Auch bei der Pflegeversicherung sei eine neuerliche Anhebung zu erwarten.
Weitere Prognosen lauteten: „2027 oder spätestens 2028 steigen auch die Rentenbeiträge, die jetzt lange Zeit bei 18,6 Prozent konstant geblieben sind, sprunghaft auf annähernd 20 Prozent. Damit ist bis zum Ende dieser Legislaturperiode eine Abgabenbelastung von 45 Prozent in Sicht.“
Der Wirtschaftsweise forderte durchgreifende Reformen. Aktuell diskutierte Maßnahmen wie Anhebungen von Beitragsbemessungsgrenzen sowie Einbeziehung von Beamten in die Sozialversicherungen reichten nicht aus. „Teilweise reißt es einfach Löcher an anderer Stelle auf – etwa in den Haushalten der Länder, die die Mehrzahl der Beamten beschäftigen“, so Werding.
Nötig seien deshalb Diskussionen über Ausgabenentwicklung, Zielgenauigkeit bestehender Leistungen sowie aktuelle Pläne. Dazu gehöre beispielsweise die Mütterrente. Auch müsse über die Effizienz von Gesundheitsversorgung und Pflege debattiert werden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: