Politik

Lauterbach hofft auf deutsche Führungsrolle bei medizinischer Künstlicher Intelligenz

  • Dienstag, 25. Juni 2024
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht bei der Vorstellung eines neuen Online-Registers für Erklärungen von Bürgerinnen und Bürgern zur Organspendebereitschaft. /picture alliance, Michael Kappeler
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet, dass Deutschland dank seiner derzeit ent­stehenden Dateninfrastruktur im Gesundheitswesen zu einem Spitzenreiter bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin wird. Das erklärte er heute in Berlin.

Mit dem Digitalgesetz (DigiG) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) würden vor allem für die Ent­wicklung und Weiterentwicklung von KI enorme Chancen entstehen. „Wir haben mit dem, was wir hier machen, den wahrscheinlich weltweit größten Datenraum, in dem diese Daten auch verschränkt sind“, sagte Lauterbach. „Von daher glaube ich, dass uns das weit nach vorn bringen wird.“

Aus der elektronischen Patientenakte (ePA) sollen Gesundheitsdaten künftig pseudonymisiert an das derzeit im Aufbau befindliche Forschungsdatenzentrum (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) fließen, von wo aus jede natürliche Person in der EU auf Antrag Zugriff zu Forschungszwecken erhalten kann.

Für das Training von KI-Algorithmen, die auf möglichst große Mengen hochwertiger Datensätze angewiesen sind, werde das riesige Möglichkeiten eröffnen. „Wir wollen Deutschland hier als einen weltweiten Forschungs­spitzenreiter aufbauen“, erklärte Lauterbach.

Als Beispiele nannte er Vorhersagemodelle für bestimmte Krankheiten, die der Wettervorhersage ähneln: Auf Grundlage großer Zahlen an Parametern könnten KI-Algorithmen Wahrscheinlichkeiten dafür errechnen, ob und wann eine Krankheit bei einer Patientin oder einem Patienten ausbricht, ohne dabei die naturwissenschaftli­chen Zusammenhänge en detail zu verstehen.

So wisse man, dass Vorhofflimmern die Schlaganfallwahrscheinlichkeit insbesondere bei einer bestimmten Kons­tellation von Frequenz und Amplitude des Flimmerns erhöhe, weil das die Klumpenbildung im Blut beför­dere.

Bei Morbus Alzheimer wiederum wisse man, dass das Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Faktoren – da­runter bestimmte Genallele, aber auch der Fett- und Insulinstoffwechsel – Indikatoren für die Erkrankungs­wahrscheinlichkeit eines Patienten sein könnten.

So wie in der Meteorologie aus einer großen Zahl an Faktoren von Luftdruck über Windgeschwindigkeit bis Luftfeuchtigkeit Vorhersagen für das Wetter zu einem Zeitpunkt an einem Ort getroffen werden könnten, werde das künftig auch mit Krankheiten gemacht werden. „Das wird alles möglich sein, wenn wir die Daten homoge­nisieren und zusammenführen.“

Zudem werde die Forschung durch die neuen Datenmengen ganz neue Möglichkeiten erhalten. Es gebe zum Bei­spiel noch keine ausreichenden Erkenntnisse, welche Auswirkung die langfristige Einnahme von HIV-Medi­kamenten auf die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen habe. Hier entstehe ein erheblicher Nutzen für die Forschung.

Auch in der Versorgung selbst werde KI große Veränderungen bringen, betonte er erneut. „Diese neue Medizin wird an keinem niedergelassenen Arzt vorbeigehen, das ist klar“, sagte er. So werde es in Zukunft „digitale Be­gleitärzte“ geben, die Patienten Einschätzungen und Erklärungen zu ihren Diagnosen geben könnten, wodurch sie wiederum menschliche Ärzte entlasten würden.

So könne die aktuelle Version von ChatGPT heute bereits medizinische Zusammenhänge erklären. Schon in naher Zukunft könne KI das Niveau von Spezialisten erreichen. „Das wird zu einem ganz neuen Verständnis der Patienten für ihre Krankheiten führen“, unterstrich er.

Zudem zeige sich bereits die Emergenz von KI beim Verständnis komplexer Zusammenhänge. Schon bald wür­den Sprachmodelle in der Lage sein, nicht auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten Inhalte zusammenzufassen, sondern beispielsweise basierend auf den Daten einer ePA ein tieferes Verständnis des Gesundheitszustandes eines Patienten zu entwickeln.

All das werde zu mehr Transparenz in der Versorgung führen. Der menschliche Faktor müsse dabei erhalten bleiben, wenn Patienten beispielsweise bei schwerwiegenden Diagnosen Wert auf die Beratung durch einen menschlichen Arzt legten.

Bei der Weiterentwicklung von KI in der ambulanten Versorgung erwarte er eine gute Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), speziell mit dem zuständigen Vorstandsmitglied Sibylle Steiner.

Die „ePA für alle“, wie das BMG die ePA mit Widerspruchslösung nennt, soll ab dem 15. Januar 2025 eingeführt werden. Das Ministerium rechne damit, dass innerhalb der ersten vier Wochen nahezu alle gesetzlich Versi­cherten ihre Akte erhalten werden, erklärte Sebastian Zilch, Unterabteilungsleiter „Gematik, Telematikinfra­struktur, E-Health“ im BMG.

Ärzte sind dann verpflichtet, Dokumente und andere Daten in die ePA hochzuladen, was aber in den aller­meis­ten Fällen automatisch erfolgen solle. Eine standardisierte Kontrolle, ob sie dem nachkommen, werde es nicht geben. „Die Anforderung, sich an recht und Gesetz zu halten, gilt natürlich auch für Ärzte“, sagte Zilch.

Sanktionsfälle könne es aber beispielsweise geben, wenn sich ein Arzt explizit weigere, einen Inhalt in die ePA zu stellen. Der Patient könne sich dann mit einer Beschwerde an die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) wenden.

Nach dem Start der ePA mit Widerspruchslösung im Januar werde mit dem digitalen Medikationsprozess die erste Erweiterung um die Jahresmitte erwartet. Weitere strukturierte Anwendungsfälle kann das BMG selbst festlegen, Zilch nannte Laborbefunde und eine elektronische Patientenkurzakte als mögliche nächste Schritte.

lau

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