Pharmaindustrie will mehr Förderung Künstlicher Intelligenz

Berlin – Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) fordert von der Politik mehr Maßnahmen zur Förderung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung. KI habe das Potenzial, die Entwicklung neuer Arzneimittel zu beschleunigen und die Erfolgsquote klinischer Studien zu erhöhen.
Das könne für forschende Unternehmen pharmazeutischen Wertschöpfungskette erhebliche Effizienzsteigerungen bringen, insbesondere in der Wirkstofferfindung, der Studienplanung und bei Zulassungsanträgen. Für Patientinnen und Patienten könne das die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein passendes und gut verträgliches Medikament für sie entwickelt wird.
Noch stehe der Einsatz von KI in Forschung und Entwicklung (F&E) am Anfang, resümiert der diesjährige Biotech-Report, den die Boston Consulting Group im Auftrag des vfa erarbeitet hat. Doch das Potenzial sei enorm und werde sich voraussichtlich in den kommenden zehn bis 20 Jahren vollständig entfalten.
Schon heute zeigen Anwendungen wie AlphaFold oder RoseTTAFold dieses Potenzial auf: Die Programme können die dreidimensionale Struktur eines Proteins basierend auf dessen Aminosäuresequenz mit hoher Treffsicherheit voraussagen. Was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher experimentell mit extrem hohem Zeit- und Kostenaufwand – beispielsweise mittels Kristallografie und Röntgenstrukturanalyse – ermitteln müssen, können sie in wenigen Stunden errechnen.
So könne KI die Wahrscheinlichkeit, ein erfolgreiches Medikament zu entwickeln, steigern, indem sie noch während der Forschungsphase die physikochemischen und physiologischen Eigenschaften von Wirkstoffkandidaten prognostiziert, Kandidaten mit ungünstigen Profilen aussiebt, die vielversprechendsten Kandidaten optimiert und so die auf herkömmliche experimentelle Methoden gestützte Entscheidungsfindung ergänzt.
Auch bereits in der Grundlagenforschung könnten KI-Algorithmen eine große Rolle bei der Erforschung von Krankheitsursachen und Ansatzpunkten für Medikamente spielen. Beispielsweise könnten sie Moleküle im Krankheitsgeschehen, deren medikamentöse Inaktivierung oder Aktivierung den Krankheitsverlauf entschärfen könnten (sogenannte Targets), automatisiert identifizieren und bestätigen.
Dadurch verschaffe der Einsatz von KI Wissenschaftlern Zeit, sich anderen, komplexeren Aufgaben zu widmen – sie ersetze die Forschenden nicht, sondern unterstütze sie in ihrer Entscheidungsfindung. KI agiere also nicht völlig autonom, sondern werde stets durch menschliches Eingreifen unterstützt und überwacht, wobei der Mensch aktiv in den Entscheidungsprozess eingebunden ist, was zu sichereren und zuverlässigeren Ergebnissen führe.
„Dies könnte in der Folge zu einer höheren Erfolgsrate in klinischen Studien mit Menschen führen, zumal insbesondere ein Scheitern in späten klinischen Studien wertvolle Ressourcen kostet“, heißt es im Report.
Allerdings lasse sich gegenwärtig noch nicht abschließend sagen, ob der Einsatz von KI zukünftig tatsächlich die Erfolgswahrscheinlichkeiten erhöht, da sich noch zu wenig Medikamente, zu deren Entwicklung KI maßgeblich beigetragen hat, in der klinischen Entwicklung befinden. Erste Erkenntnisse würden aber bereits auf ein gutes Sicherheitsprofil deuten.
Auch wie hoch die Gesamtzeitersparnis der heute durchschnittlich zwölf- bis fünfzehnjährigen Entwicklungsdauer neuartiger Arzneimittel ist, lasse sich derzeit allenfalls theoretisch abschätzen, da der Einsatz von KI entlang der biopharmazeutischen Wertschöpfungskette von Projekt zu Projekt variiere. Zudem mache die Forschung nur grob ein Drittel der gesamten Entwicklungsdauer aus.
Neben der Vorhersage von Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Wirkstoffkandidaten oder dem schnellen Identifizieren und Optimieren von Antikörpern, könne KI aber auch die Durchführung klinischer Studien erleichtern. So könne sie beispielsweise sinnvolle Ein- und Ausschlusskriterien für Teilnehmende vorschlagen und dabei unterstützen, zu vermeiden, dass einige Patienten zu Kontrollzwecken unbehandelt bleiben müssen.
Allerdings seien auch die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz von KI in Forschung und Entwicklung sehr hoch. Aus technischer Sicht brauchen Unternehmen vor allem hohe Rechenkapazitäten, für die sie spezialisierte Hardware wie Grafikprozessoren (GPU), Tensor Processing Units (TPU) und enorme Speicherkapazitäten anschaffen müssen.
Das verursache immense Kosten, da Speicherplatz und Rechenleistung meist teuer von Drittanbietern gekauft oder gemietet werden müssen. Es sei keine Seltenheit, dass nur das Trainieren eines einzigen KI-Modells mehr als eine Million Euro kostet.
Ebenso unverzichtbar sei jedoch die Verfügbarkeit hochwertiger Datensätze, die sich durch Quantität, Qualität, Vielfältigkeit und Computerlesbarkeit auszeichnen. „Bei (bio-) pharmazeutischen KI-Anwendungen hängt die Vorhersagekraft eines KI-Systems in extrem hohem Maße von den verwendeten Trainingsdaten ab“, betonen die Autoren des Reports.
AlphaFold sei zum Beispiel anhand von rund 100.000 Einträgen in der Protein Data Bank (PDB) trainiert worden, einer öffentlich zugänglichen Datenbank, die Textdateien enthält, welche die dreidimensionale Struktur von Proteinen beschreiben, deren Struktur experimentell ermittelt wurde. Mittlerweile umfasst sie mehr als 200 Millionen Einträge.
In vielen anderen Bereichen der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung sei die Trainingsdatensituation jedoch weniger ideal, insbesondere, wenn Unternehmen zum Training nur auf Inhouse-Daten zurückgreifen können.
Die Politik sollte deshalb laut vfa Maßnahmen ergreifen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei medizinischer KI-Technologie zu sichern. So seien die Kosten für Entwicklung und Training solcher hoch spezialisierten Algorithmen gerade in der akademischen Forschung ohne substanzielle staatliche Unterstützung nicht zu stemmen.
„Daher sollten Fördermittel im Bereich der KI-Forschung signifikant aufgestockt werden, wobei insbesondere Programme zur Entwicklung internationaler Datenstandards, zur Verbesserung der Datenqualität und zur Etablierung von Datenbanken mit qualitativ hochwertigen Gesundheitsdaten gefördert werden sollten, um eine verlässliche Grundlage für KI-Anwendungen zu schaffen“, heißt es im Report.
Zudem wäre es hilfreich, wenn die notwendige Infrastruktur zum Trainieren von KI-Anwendungen bereitgestellt würde. Das könne zum Beispiel in Form eines nationalen KI-Rechenzentrums geschehen, das die enormen Datenmengen verarbeiten kann.
Auch die Einrichtung von KI-Kompetenz- und Exzellenzzentren sei darüber hinaus von großer Bedeutung, um Forschung, Entwicklung und Innovationen voranzutreiben: „Solche Zentren würden nicht nur als Inkubatoren für Start-ups und als Forschungspartner für etablierte Unternehmen dienen, sondern auch als Ausbildungsstätten, die dringend benötigtes Fachpersonal in KI-Technologien schulen.“
Die Aus- und Weiterbildung dieses Fachpersonals müsse ebenfalls durch gezielte Maßnahmen gefördert werden. So sollten Universitäten und Fachhochschulen dabei unterstützt werden, spezialisierte KI-Studiengänge zu etablieren, von denen einige nicht nur KI behandeln, sondern auch interdisziplinäre Elemente aus den Biowissenschaften integrieren.
Umgekehrt solle auch in Biowissenschaften verstärkt ein optionaler Schwerpunkt im Bereich KI in die Curricula integriert werden. Notwendig seien zudem spezifische Weiterbildungsprogramme für bereits vorhandene Fachkräfte.
Auch regulatorisch müsse der Gesetzgeber aktiv werden. Bisherige Regelwerke wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU AI Act oder aber das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) seien sehr allgemein gehalten und ließen konkrete Handlungsanweisungen für die technische Umsetzung vermissen. Das verursache große Unsicherheit bei der Programmierung von KI-Software.
„Es ist daher von höchster Relevanz, dass präzise und umsetzbare Richtlinien entwickelt werden, die die bestehenden und neuen Regularien in konkrete technische und operative Anforderungen übersetzen“, betonen die Autoren des Reports. Dies würde nicht nur die Rechtssicherheit für verbessern, sondern auch die Entwicklung von KI-Technologien in Deutschland wesentlich beschleunigen und vereinfachen.
Der mit dem GDNG eingeschlagene Weg zur Datennutzung müsse weiterentwickelt werden, heißt es außerdem. So könne die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Daten, die für das Training effektiver KI-Modelle entscheidend sind, durch die Schaffung sicherer Datenpools gewährleistet werden, auf die Forschende unter strengen Auflagen Zugriff erhalten. Auch Pharmafirmen könnten ihre Daten in einen solchen Datenpool zum eigenen und zum Nutzen anderer einbringen, was in mindestens einem Projekt sogar schon getan werde.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: