Lauterbach kündigt neue Digitalisierungsstrategie an

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf neue Füße stellen. Das kündigte er heute auf der Digitalisierungskonferenz DMEA in Berlin an. Direkt nach der parlamentarischen Sommerpause werde das Bundesgesundheitsministerium (BMG) damit beginnen, eine umfassende Digitalisierungsstrategie zu erarbeiten und mit allen wichtigen Stakeholdern abzustimmen.
Schwung hatte die Digitalisierung des Gesundheitswesens bereits mit Lauterbachs Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) erhalten – aus Sicht Lauterbachs mangelte es dabei aber an einer umfassenden Betrachtungsweise. „Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir viel Taktik, viel Technik und Innovationen, aber keine richtige Strategie“, erklärte er. Im deutschen Gesundheitswesen wisse man schlicht nicht, „was wir wann haben wollen“.
Zuständig für die neue Strategie soll Susanne Ozegowski sein, die seit dem 1. April als Nachfolgerin von Gottfried Ludewig die für die Digitalisierung verantwortliche Abteilung 5 im BMG leitet.
Es ist kein Neuland für sie: Ozegwoski war zuvor seit 2019 als Geschäftsbereichsleiterin der Unternehmensentwicklung bei der Techniker Krankenkasse (TK) für die dortige Strategieentwicklung und Digitalisierung der Kasse zuständig.
Was sie im BMG vor hat, hatte Ozegowski bereits kurz zuvor erklärt: Ihre Aufgabe würden sich in drei Blöcke teilen. Erstens müsse das Gesundheitswesen auch digital besser für mögliche künftige Pandemien gerüstet sein, wobei vor allem der öffentliche Gesundheitsdienst eine Stärkung benötige.
Zweitens müssten Digitalisierungsgroßprojekte wie die elektronische Patientenakte (ePA) oder das elektronische Rezept (eRezept) endlich auf den Weg gebracht und drittens der Blick in die Zukunft geschärft werden, insbesondere bei den Themen TI 2.0 und Datennutzung.
Partizipativer Prozess notwendig
Das alles in eine kongruente Gesamtstrategie zu gießen, könne keine Aufgabe für das BMG allein sein. „Was ganz klar ist: dass das ein partizipativer Prozess ist“, beteuerte Ozegowski. „Es macht keinen Sinn, sich im dunklen Kämmerlein einzuschließen und da etwas aufzuschreiben.“
Auch ihr Vorgesetzter unterstrich das kurz darauf: „Das wird ein großes Beteiligungsverfahren“, kündigte Lauterbach an. „Es wird kein Schein-Miteinander, sondern ein echtes Miteinander.“
Die Selbstverwaltung müsse dabei genauso ins Boot geholt werden wie die Pflegebranche, hatte Ozegwoski zuvor angekündigt. Dass eine so umfassende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen nicht selbstverständlich ist, lehrt nicht nur die Erfahrung, sondern betonen auch die Beteiligten jetzt bereits.
Die Struktur der Selbstverwaltung mit ihren gewählten Mandaten in den jeweiligen Berufsgruppen führe dazu, dass in der Regel keine Strategien, sondern Ansprüche formuliert werden, erklärte Florian Fuhrmann, Geschäftsführer von kv.digital, einer Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Plattform-, Web- und App-Lösungen für den sicheren Informationsaustausch unter Ärzten und Patienten bereitstellt.
Er unterstütze deshalb die Idee einer Gesamtstrategie, mahne aber zur richtigen Umsetzung, so Fuhrmann. „Wir müssen eine gemeinsame Vision entwickeln, aus der wir dann eine übergeordnete Strategie ableiten“, forderte er.
Partikularstrategien der Stakeholder müssen sich an Gesamtstrategie ausrichten
Die Partikularstrategien der einzelnen Stakeholder von den Ärzten über die Apotheker bis zu den Kassen müssten sich dann an der Gesamtstrategie ausrichten. Dabei, so räumte er auf Nachfrage ein, müssten zur Not auch alle Register gezogen werden – also auch Kammern oder Verbände sanktioniert werden können, wenn sie sich im Prozess querstellen.
Dabei sind nicht einmal alle Beteiligten auf diese Weise organisiert. Das ist das nächste Problem, wie die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, betonte. „Wir brauchen Selbstverwaltungsstrukturen in der Pflege“, fordert sie.
Das sei Aufgabe der Politik. Und nur dann könne die Umsetzung einer Digitalstrategie auch in der Pflege Sinn ergeben. Denn die Unübersichtlichkeit in der Pflege mache ein konzertiertes Vorgehen unmöglich: „Das Problem ist, dass wir mittlerweile vor einem riesigen Berg stehen, einem System, das niemand mehr richtig versteht.“
Welchen Nutzen digitale Anwendungen in der Pflege haben könnten, müsse allerdings in strukturierten Prozessen eruiert werden, die ein entsprechendes Organisationsniveau erfordern.
Welch großen Nutzen digitale Anwendungen in der Medizin haben können, daran ließ Lauterbach unterdessen keine Zweifel aufkommen.
Bereits 1988 habe er in seiner Zeit als Krankenhausarzt in den USA mit elektronischen Patientenakten gearbeitet, schon damals seien dort die Krankenhaussysteme mit den Praxisverwaltungssystemen vernetzt gewesen. Damals habe er erkannt, dass der schnelle Zugang zu den richtigen Daten ermögliche, „ein neues Bild vom Patienten zu schaffen, das sonst nicht möglich ist“. Die ePA sei für ihn dabei die „Kernanwendung“.
Für ihn bedeute Digitalisierung deshalb seither nicht nur, Prozesse im Gesundheitswesen schneller und effizienter zu gestalten, sondern vor allem anderen, die Qualität der medizinischen Versorgung und Behandlung zu erhöhen.
Digitalisierung führt zu einer andere Medizin
„Ich sehe in der Digitalisierung keine andere Form der Dokumentation von Informationen, sondern eine andere Medizin, eine neue Medizin, die Dinge ermöglicht, die vorher nicht möglich waren“, erklärte Lauterbach.
Entgegen der landläufigen Wahrnehmung sei die Digitalisierung des Gesundheitswesens schon seit Jahren eines seiner Herzensthemen gewesen, beteuerte Lauterbach und versuchte, es mit einer Anekdote zu belegen.
Im Jahr 2002 sei er Teil eines Teams zur Ausarbeitung von Wahlkampfvorschlägen im Gesundheitswesen eines Kanzlers, „für den heute wenig spricht“, gewesen. Er habe um „technische, moderne Vorschläge“ gebeten und Lauterbach und sein Team hätten geliefert: die Idee zur elektronischen Patientenakte, wie sie Ulla Schmidt später erfolglos umzusetzen versuchte.
„Das war die Geburtsstunde der Digitalisierung“, erklärte Lauterbach. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich genau 20 Jahre später selbst als Gesundheitsminister hier stehe und die elektronische Patientenakte immer noch nicht vollständig eingeführt ist.“
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