Neue Debatte über Lockerungen, wegen Impflücke keine Entwarnung

Berlin – Zwei Wochen vor der nächsten Bund-Länder-Runde zur Coronalage mehren sich die Rufe nach Lockerungen von Beschränkungen. Aus Sicht mehrerer Politiker von Bund und Ländern ist der Zeitpunkt für weitgehende Öffnungen noch nicht gekommen.
Die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollen am 16. Februar erneut über Wege aus der Pandemie beraten. Bei der Runde am 24. Januar hatten sich Bund und Länder bereits darauf verständigt, dass Öffnungsperspektiven entwickelt werden sollten für den Moment, zu dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden könne. Befeuert wird die Debatte durch die Aufhebung nahezu aller Coronabeschränkungen im Nachbarland Dänemark zu Monatsbeginn.
Bundesjustizminister Marco Buschmann stellte die Rücknahme vieler Coronabeschränkungen für März in Aussicht. „Ich hoffe, dass im März viele Schutzmaßnahmen zurückgenommen werden können“, sagte der FDP-Politiker der Rheinischen Post. Voraussetzung sei, dass wie vom Robert-Koch-Institut (RKI) prognostiziert „ab Mitte Februar die Fallzahlen wieder sinken“. Auch dürften nicht kurzfristig neue Virusvarianten auftauchen, die die Lage wieder komplett veränderten.
Öffnungsperspektiven mit angemessener Geschwindigkeit
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte betonte mit Blick auf die Bund-Länder-Runde, dann müsse entschieden werden, wie es weitergehe. „Diese Entscheidung muss vorbereitet sein.“ Bovenschulte sagte im ZDF-„heute journal up:date“ zugleich: „Da wir im Moment eine stabile Situation in den Krankenhäusern haben, ist es, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, über Lockerungen zu diskutieren – noch nicht: sie umzusetzen.“ Das Vorgehen Dänemarks ist für Bovenschulte „ein zu mutiger Schritt“. Man brauche Öffnungsperspektiven, aber „mit angemessener Geschwindigkeit“. Es gebe ja auch die Gefahr eines Rückschlags.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst mahnte: „Angesichts der erhofften Entwicklung der Omikron-Variante sind Perspektiven für stufenweise Öffnungen möglich, müssen aber abgesichert werden.“ In dem Zusammenhang warnte er den Bund vor einem baldigen Aus von Coronaschutzmaßnahmen.
„Wenn der Bundestag nicht handelt, werden mit Ablauf des 19. März alle Maßnahmen zum Schutz gegen das Virus auslaufen, spätestens nach einer einmaligen Verlängerung“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) heute mit Verweis auf die entsprechende Befristung im Infektionsschutzgesetz und der nur einmaligen Möglichkeit zur Verlängerung der Maßnahmen um drei Monate. „Dann stünden die Länder und Kommunen faktisch ohne Schutzoptionen da“, warnte Wüst.
Votum des Expertenrates notwendig
CSU-Chef Markus Söder hat einen Stufenplan für zeitnahe Erleichterungen bei den Beschränkungen im Kampf gegen die Omikron-Welle der Coronapandemie verlangt. Obwohl die Inzidenzzahlen stiegen, erhöhe sich die Krankenhausbelegung nicht in gleicher Weise, sagte Söder heute zum Auftakt der zweitägigen Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Er ergänzte: „Weil die Omikron-Wand zwar steil, aber doch vielleicht eine Wand mit Türen und Fenstern ist in eine hoffnungsvollere Zukunft, brauchen wir neben dem Konzept Vorsicht auch das Konzept Augenmaß und Hoffnung.“
Für ihn ergebe sich „eindeutig das Bild: Eher früher mit Erleichterungen beginnen, Stück für Stück“, sagte Söder. Es werde nicht den Tag geben, an dem alles aufgehoben werde. „Aber wir brauchen einen Weg aus der Pandemie“, deswegen sei ein Stufenplan verantwortbar. Nötig sei eine klare Empfehlung des Expertenrates der Bundesregierung. Die hohe Inzidenzzahl sei nicht mehr verlässlich, da das RKI die Zahlen etwa wegen der schwerer werdenden Kontaktnachverfolgung schätze. „Wir können mit dieser Inzidenz keine Freiheitseinschränkung begründen“, sagte Söder.
Es müsse nicht nur die virologische, sondern auch die soziale, psychologische und ökonomische Seite berücksichtigt werden, sagte Söder. Die Maske sei ein wichtiger Schutz, allein mit ihr werde im Handel oder bei mehr Zuschauerzahlen im Sport und in der Kultur viel mehr Freiheit möglich sein. Den Menschen müsse Hoffnung in der schwierigen Zeit vermittelt werden.
Uniion will Impfvorsorgegesetz vorstellen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kündigte an, die Unionsfraktion werde in der nächsten Sitzungswoche des Bundestages Mitte Februar ein „Impfvorsorgegesetz“ vorstellen. Es solle die Möglichkeit einer an die entsprechende Situation angepasste Impfpflicht enthalten, eine Risikoabschätzung ermöglichen, an bestimmte Risikogruppen angepasst und zeitlich eng befristet sein. Nach Vorstellung der Union solle das Gesetz vom Bundestag in Kraft gesetzt werden, nicht alleine von einer Bundesregierung. Impfen sei der Weg heraus aus der Pandemie, sagte Dobrindt. Man müsse aber immer auf die aktuelle Situation reagieren können.
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, befürwortete, dass jetzt über Lockerungen diskutiert wird, mahnte aber: „Das heißt aber nicht, dass jetzt Öffnungen erfolgen sollen.“ Lockerungen könne es erst geben, wenn der Scheitelpunkt der Omikron-Welle überschritten sei und man sehe, dass die Krankenhäuser nicht überlastet seien. „Im Moment sieht es gut aus“, sagte Gaß der Rheinischen Post.
Deutsche Lage nicht mit Dänemark vergleichbar
In der Debatte um mögliche Lockerungen von Coronamaßnahmen in Deutschland sieht der Virologe Christian Drosten den Zeitpunkt für Entwarnung noch nicht gekommen. „Es gibt eine Sache, die sich erstmal nicht verändert hat. Das ist die Impflücke in Deutschland. Da kommen wir nicht so richtig vorwärts“, sagte der Wissenschaftler von der Berliner Charité gestern im Podcast „Coronavirus-Update“ bei „NDR-Info“.
Zuletzt sei die Impfrate sogar wieder gesunken. Beispielsweise in Dänemark fielen nun angesichts der hohen Impfquote weitgehend die Coronarestriktionen – in Deutschland sei die Lage aber nicht vergleichbar. „Deswegen ist eben keine Entwarnung für Deutschland zu geben“, so Drosten.
Der Virologe gab zu bedenken, dass die neue Variante BA.2 von Omikron eine noch höhere Übertragbarkeit haben könnte als der derzeit in Deutschland vorherrschende Subtyp BA.1. Auf Basis neuer Daten aus Dänemark nehme er an, dass BA.2 möglicherweise einen sogenannten Fitnessvorteil und damit eine gesteigerte Übertragungsfähigkeit haben könnte.
Drosten erklärte den angenommenen Unterschied zwischen den beiden Subtypen mit der Metapher von zwei Autos und sagte mit Blick auf BA.2: „Der Motor, der hat schon ein paar PS mehr.“ Bei BA.1 hingegen sei er der Auffassung, dass die Variante der Immunantwort des Körpers ausweichen könnte, weshalb sie sich so schnell ausbreite.
Die dänischen im Preprint – also ohne Überprüfung von Fachkollegen – veröffentlichten Studiendaten deuteten darauf hin, dass das Infektionsrisiko bei BA.2 deutlich höher sei als bei BA.1. Das Risiko der Weitergabe des Virus ist demnach bei infizierten Ungeimpften ebenfalls stark erhöht, bei geimpften Kontaktpersonen allerdings verringert.
Der Anteil von BA.2 in Deutschland ist laut dem jüngsten Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts in Deutschland „nach wie vor sehr gering“ mit 2,3 Prozent in der zweiten Woche des Jahres (Woche zuvor: 1,4 Prozent). Das RKI schreibt zu dem Subtyp: „International wird beobachtet, dass sich BA.2 stärker ausbreitet als BA.1“. Das betreffe etwa Dänemark und das Vereinigte Königreich.
Drosten sagte im Podcast, zwar werde der Anteil von BA.2 wohl auch in Deutschland steigen – wegen der geltenden Infektionsschutzmaßnahmen aber möglicherweise langsamer als in anderen Ländern. Genaueres sei wegen der geringen Datenlage aber noch nicht vorherzusagen.
Planungshorizont Ostern
Er sehe in den kommenden Osterferien eine zeitliche Schwelle und einen „Planungshorizont“ für die Entspannung der Coronalage, so der Virologe. „Wir haben ganz eindeutig den Befund in Deutschland, dass die Übertragungsnetzwerke im Moment aus dem Schulbetrieb gespeist werden. Da werden spätestens die Osterferien dann den Riegel vorschieben“, sagte er. Auch die dann wieder wärmeren Temperaturen dürften sich senkend auf die Inzidenzen auswirken. Ob BA.2 bis dahin „komplett das Feld übernommen“ habe, bleibe abzuwarten.
Drosten sagte, die „ideale Immunisierung“ sei der vollständige Impfschutz durch drei Impfdosen, auf deren Boden man sich dann einmal oder auch häufiger mit dem Virus infiziere und dadurch solch eine starke Immunität entwickle, „ohne dabei schwere Verläufe in Kauf nehmen zu müssen“. Wer dies durchgemacht habe, „der ist dann irgendwann wirklich über Jahre belastbar, immun und wird sich nicht wieder reinfizieren“, sagte Drosten.
Durchseuchung zu gefährlich
Mit Blick auf die vielen Ungeimpften in Deutschland wiederholte er seine Warnung vor dem Zulassen einer Durchseuchung. Er kritisierte eindringlich die Denkweise, eine Infektion mit einer der Omikron-Varianten könne eine Impfung ersetzen und verwies auf die hohe Wahrscheinlichkeit wiederholter Ansteckungen. Deshalb gehe die Rechnung „der Omikron-Infektion als Impfung durch die Hintertür“ einfach nicht auf.
Die Bundesregierung hat ihre Ablehnung einer schnellen Aufhebung von Beschränkungen heute bekräftigt. „Die Voraussetzung für Lockerungen von Coronamaßnahmen sind sinkende Fälle“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Im Augenblick gebe es weitestgehend noch sehr starke Steigerungen. Der Höhepunkt der Welle werde in den nächsten 14 Tagen erwartet. Wenn sich die Entwicklungen in den Kliniken und auf den Intensivstationen verstärkten, könne man dann auch wieder über Lockerungen reden.
Hebestreit verwies auf den Beschluss von Bund und Ländern vom 24. Januar, in dem es heißt: „Bund und Länder werden Öffnungsperspektiven entwickeln für den Moment, zu dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden kann.“
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