Politik

Neuer Anlauf für Widerspruchsregelung bei Organspende gefordert

  • Mittwoch, 4. Juni 2025
/picture alliance, KEYSTONE, CHRISTIAN BEUTLER
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Berlin/München – Viele Organspenden können in Deutschland bislang nicht realisiert werden, weil die ausdrückliche Zustimmung der potenziellen Spendenden nicht dokumentiert ist. Anlässlich des bundesweiten „Tag der Organspende“ am 7. Juni warb Bayerns Gesundheits- und Präventionsministerin Judith Gerlach deshalb heute für eine Änderung des Transplantationsrechts und die Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende.

„Sie könnte helfen, diesen Organmangel zu lindern“, so die Ministerin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in München. Aktuell warten etwa 8.100 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Die Zahl der postmortalen Organspender lag im vergangenen Jahr hingegen bei 953.

Zwar hätten alle Spendenden durchschnittlich drei schwer kranken Patienten die Chance auf ein längeres und besseres Leben ermöglicht, dennoch würden viele Menschen auf der Warteliste sterben, bevor sie eine Transplantation bekämen, so Gerlach. Dies sei angesichts der positiven Grundhaltung der Deutschen zur Organspende „besonders bedrückend“.

Einer 2024 durchgeführten Umfrage des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit zufolge stünden 85 Prozent der Menschen in Deutschland dem Thema Organ- und Gewebespende positiv gegenüber, so die Ministerin. Dennoch hätte nach eigenen Angaben nach wie vor nur etwa ein Drittel der Menschen in Deutschland einen Organspendeausweis, sodass dann die Angehörigen entsprechend des mutmaßlichen Willens der Betroffenen über eine Organspende entscheiden müssten.

„Angehörige haben dann häufig die Sorge, etwas falsch zu machen“, erklärte Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO. Die Zustimmungsrate sinke in der Akutsituation dramatisch – teilweise sogar auf rund 25 Prozent. Für ihn ist dies Ausdruck einer Überforderung in der Situation des Sterbens eines Angehörigen. „Liegt jedoch ein schriftlicher Wille vor, erreicht die Zustimmungsrate über 75 Prozent“, so der Arzt.

„Wir bitten daher jede Bürgerin und jeden Bürger, den eigenen Willen zur Organspende zu dokumentieren, sei es in einem Organspendeausweis, mit einem Eintrag im Organspenderegister oder in einer Patientenverfügung. So wird den Angehörigen in dieser ohnehin schon schwierigen Situation die Last der Entscheidung genommen“, sagte der DSO-Vorstand.

Positive Tendenz

Derzeit gilt in Deutschland eine Entscheidungsregelung bei der Organspende, verbunden mit einer verstärkten Aufklärung. Die Situation in der Organspende ist Rahmel zufolge jedoch weiterhin angespannt. Zwar gäbe es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bislang 426 postmortale Organspender in Deutschland (im gleichen Vorjahreszeitraum waren es 382) und damit eine positive Tendenz. Die Zahlen ließen jedoch noch keine Rückschlüsse auf einen allgemeinen Trend zu. Der Organmangel sei weiterhin groß.

„Wir können das ändern, weil die Bereitschaft zur Spende ja da ist“, sagte Gerlach. „Ich setze mich deshalb klar für die Einführung der Widerspruchslösung ein und appelliere an den Bundestag, das Thema wieder aufzugreifen“, betonte sie. Damit wäre die Organspende der Normalfall. Grundsätzlich wären dann alle bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Organspendende, könnten dem aber aktiv widersprechen.

Gerlach wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass die Widerspruchsregelung allein das Problem nicht lösen werde. „Wir brauchen eine Kultur der Organspende, die wir nur gesamtgesellschaftlich etablieren können“, sagte sie. Wichtig blieben daher auch weiterhin Maßnahmen wie die Aufklärung der Bevölkerung und Schulungen der Mitarbeitenden in den Kliniken. „Ich appelliere daher an alle, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und die selbstbestimmte Entscheidung zu dokumentieren.“  

Unterstrichen wurde dieser Appell heute von Stefan Mroncz, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands Niere, der vor 22 Jahren eine Spenderniere erhielt. Er wisse um die unvorstellbaren Ängste und Sorgen eines Dialysepatienten, der auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehe, sagte er, und wünsche sich, dass mehr Wartepatienten eine Chance auf ein Spenderorgan erhielten. Die Widerspruchslösung sei da ein wichtiges Element.

​Diese Ansicht teilt das Bündnis Protransplant, ein Zusammenschluss von 30 Patientenverbänden, Selbsthilfegruppen und Unterstützerinnen und Unterstützern im Bereich Transplantation und Organspende. Es forderte die Regierung anlässlich des „Tags der Organspende“ auf, die in der letzten Legislaturperiode angestoßenen Reformen des Transplantationsgesetzes konsequent weiterzuführen.

Sowohl die Widerspruchsregelung als auch die Crossovernierenspende seien wichtige Elemente, um endlich eine Trendwende herbeizuführen. Man müsse sich eingestehen, dass Aufklärung und das Verteilen von Organspendeausweisen nicht reichten.

Zum Hintergrund: In der letzten Legislaturperiode waren bereits Gesetzeswürfe zur Einführung einer Widerspruchsregelung in Bundestag und Bundesrat initiiert worden. Sie konnten jedoch vor den Neuwahlen nicht mehr im Parlament abgestimmt werden.

Auch Crossovernierenspenden sollten ermöglicht werden. „Wir appellieren an Gesundheitsministerin Nina Warken, an diese Vorarbeiten aus der letzten Wahlperiode anzuknüpfen und sie zur parlamentarischen Abstimmung zu bringen“, so das Bündnis Protransplant heute.

Ähnlich äußerte sich Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin. „Jetzt ist es dringend notwendig, einen neuen Anlauf für die Einführung der Widerspruchsregelung zu starten“, sagte er. Die Ärztekammer Berlin fordere die Abgeordneten des Bundestages und die Mitglieder der Landesregierungen im Bundesrat auf, sich für einen erneuten Anlauf zur Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende einzusetzen.  

Die zentrale Veranstaltung zum bundesweiten Tag der Organspende findet in diesem Jahr in Regensburg statt. Unter dem Motto „Zeit, Zeichen zu setzen“ wird es am 7. Juni in der Regensburger Innenstadt ein Programm für die Bevölkerung geben. Wesentlicher Bestandteil sind ein ökumenischer Dankgottesdienst, die Aktion „Geschenkte Lebensjahre“ sowie Informationsstände und Aktionsflächen, an denen Interessierte Fragen stellen können.

ER

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