Nicht invasive Pränataltests: Lob und Kritik zu G-BA-Beschluss

Berlin – Der jüngste Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu der Versicherteninformation zu nicht invasiven Pränataltests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 oder 21 hat unterschiedliches Feedback bekommen.
Vielfach stößt er auf Kritik, denn mit ihm ist der Weg prinzipiell frei für eine Kostenübernahme der Tests durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die bereits im September 2019 durch das Gremium beschlossen wurde.
Damit die Krankenkassen die Tests voraussichtlich ab Frühjahr 2022 bezahlen, muss nur noch das Bundesgesundheitsministerium in den nächsten zwei Monaten grünes Licht geben. Dies gilt jedoch als wahrscheinlich, da es den grundsätzlichen Beschluss von 2019 nicht beanstandet hatte.
Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, SPD, begrüßt die Entscheidung des G-BA. Es sei eine gute Nachricht, dass schwangere Frauen die Inanspruchnahme einer nicht invasiven Pränataldiagnostik über ihre Krankenkassen erstattet bekämen. „Der damit in Kraft tretende Beschluss des G-BA aus dem Jahr 2019 ist eine Entscheidung für die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen“, sagte sie.
Die Frage um die Übernahme der Kosten für Pränataldiagnostik durch die Krankenkassen sei zuvorderst eine soziale, keine ethische Frage, da diese Tests seit 2012 für Selbstzahlerinnen zugelassen seien. Da der G-BA sehr enge Voraussetzungen für die Inanspruchnahme beschlossen habe, werde den Bedenken aller Seiten Rechnung getragen.
Diese Ansicht teilt indes Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, nicht. Sie bezeichnete den Beschluss als „inhaltlich falsch“. „Aufgabe der Krankenkassen ist es, Leistungen zu finanzieren, die einen medizinisch-therapeutischen Nutzen haben. Dieser Test hat das nicht.“
Rüffer befürchtet, dass mit der Kassenübernahme der Bluttests, die seit 2012 auf Selbstzahlerbasis auf dem deutschen Markt sind, die Erwartungshaltung an Schwangere zunehmen werde, ein gesundes und nicht behindertes Kind auf die Welt zu bringen. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Test künftig als ‚Screening‘ eingesetzt wird“, meint Rüffer.
Der G-BA hatte allerdings bereits 2019 betont, dass die Bluttests nur „in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken“ durchgeführt werden sollen. Ein generelles Screnning sei damit nicht verbunden. Voraussetzung für eine Kostenübernahme sei eine vorherige intensive ärztliche Beratung.
Trotzdem warnen Verbände und die katholische Kirche nun vor einer Ausweitung der Tests. Die Lebenshilfe findet die abschließende G-BA-Entscheidung „hochproblematisch“.
„Der Beschluss zur Kostenübernahme formuliert als Voraussetzung keine medizinische Indikation, wie dies bei einer Kassenfinanzierung zu erwarten wäre, sondern ermöglicht Schwangeren für sich zu definieren, dass sie aus Angst vor einem Kind mit Down-Syndrom diesen Test brauchen – unabhängig von einem klinischen Hinweis auf eine Trisomie oder einer erhöhten Wahrscheinlichkeit“ erklärte die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust, dem Deutschen Ärzteblatt.
Damit sei einerseits einer Ausweitung im Sinne eines Down-Syndrom-Screenings Tür und Tor geöffnet, andererseits gäbe die Kostenübernahme ohne medizinische Indikation das gesellschaftliche Signal, dass die Gemeinschaft dafür zahlt, dass keine Kinder mit Down-Syndrom mehr geboren werden.
„Darüber hinaus ist zu erwarten, dass in der Folge auch weitere Tests dieser Art einbezogen werden, bei denen das Risiko falsch positiver Ergebnisse schon deshalb höher ist, weil die Beeinträchtigungen seltener sind“, warnte Nicklas-Faust.
Im Vorfeld der Entscheidung hatten sich Politiker mehrerer Bundestagsfraktionen gegen die beschlossene Anerkennung der NIPT als GKV-Leistung ausgesprochen und eine parlamentarische Debatte angeregt, die jedoch letztlich nicht stattfand. Kritisiert hatten sie auch die jetzt beschlossene Versicherteninformation. Sie werde nicht als neutral verstanden, sondern als Empfehlung für den Test im Rahmen der Vorsorge“.
Es hätte zwar einige Nachbesserungen gegeben, aber zufrieden ist Ulla Schmidt (SPD), eine der Initiatorinnen der interfraktionellen Initiative, auch jetzt nicht: „Das Grundproblem bleibt der Beschluss zur Kostenübernahme für den Bluttest: Dort ist keine klare Indikation als Voraussetzung zur Kostenübernahme formuliert“, sagte sie dem Deutschen Ärzteblatt. „Damit kann es zu einer ungezielten und sehr breiten Anwendung des Bluttests kommen.“
Eine parlamentarische Debatte sei angesichts der großen Herausforderungen rundum Corona in dieser Legislatur nicht mehr zu erreichen gewesen, bedauerte Schmidt. „Es gab den Wunsch nach einer Debatte vor allem in Verbindung mit konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen“, betonte sie jedoch. Und dafür sei – gerade bei einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe – entscheidend, dass es die Überzeugung in den beteiligten Fraktionen gibt, dass dies ein wichtiges Anliegen ist.
Als Bundestagsabgeordnete habe sie sich an der Initiative beteiligt, um Regelungen im Gendiagnostikgesetz zu konkretisieren, damit eine qualifizierte Beratung der Schwangeren vor dem Test und bei Vorliegen eines positiven Ergebnisses in jedem Fall sichergestellt sei, erläuterte Schmidt.
„Neben Informationen zum Leben mit einem Kind mit Behinderung ist für Schwangere besonders wichtig, den hohen Anteil von falschpositiven Ergebnissen zu verstehen“, sagte sie. Schließlich sei für Frauen zwischen 20 und 30 jeder dritte positive Test falsch. „Das Kind hat keine Trisomie“, verdeutlichte die Politikerin und ehemalige Bundesgesundheitsministerin. Das Ergebnis müsse deshalb so oder so invasiv zum Beispiel mit einer Fruchtwasseruntersuchung abgesichert werden.
Die Kritik der Pränatalmedizinerinnen geht in ähnliche Richtung: Im Gegensatz zu den invasiven Verfahren handele es sich bei den NIPT-Tests um Suchverfahren und nicht um ein beweisendes Diagnoseverfahren, betonte der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) mehrfach.
Eine diagnostische Punktion der Gebärmutter – wie sie etwa bei einer Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie durchgeführt werde – ist bei auffälligem Bluttest nach Ansicht des BVNP unerlässlich, um unnötige Abtreibungen zu vermeiden.
Ferner kritisiert der BVNP, dass eine deutliche medizinische Empfehlung, bei welcher Schwangeren der NIPT-Test durchgeführt werden sollte, in den Ergänzungen der Mutterschaftsrichtlinien des G-BA fehle. Auch sei die Empfehlung des BVNP diese Untersuchungen nur in Kombination mit einem differenziertem Ultraschall durchzuführen nicht mit aufgenommen worden.
„Eine Schwangere dürfte bei Umsetzung des Beschlusses ohne Ultraschallkontrolle den NIPT nicht als GKV Leistung erhalten. Kein NIPT ohne differenzierte Feindiagnostik!“, betonte eine Sprecherin des Verbandes gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Zudem weisen die Pränatalmediziner darauf hin, dass jeder NIPT-Bluttest eine gewisse Fehlerrate habe. Je jünger die Schwangere sei, desto eher könne er falsch positiv sein. In der Versicherteninformation würde die Aussagekraft beider Verfahren jedoch nach fälschlicherweise gleichgestellt.
Auch die Frage, in welchen Fällen NIPT vor allem zum Einsatz kommen sollten, werde nicht ausreichend beantwortet. Es werde gleichzeitig zu wenig deutlich, dass ein unauffälliges Testergebnis keineswegs die Geburt eines Kindes ohne Behinderung bedeute.
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