Notaufnahmen der Krankenhäuser in Silvesternacht stark belastet

Berlin – Die Krankenhäuser sind in der Silvesternacht durch feuerwerksbedingte Verletzungen regelhaft stark belastet. Das zeigt eine aktuelle Datenauswertung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)
Dazu hat der Verband die Häufigkeit der ICD W49.9 am Neujahrstag ausgewertet. Die ICD beschreibt Verletzungen, die unter anderem typisch nach Unfällen mit Feuerwerk sind, zum Beispiel amputierte Finger oder Augenverletzungen. Die Daten betreffen ausschließlich stationär aufgenommene Patienten.
Die Gesamtfallzahl der ICD W49.9 betrug demnach im vergangenen Jahr 9.433. Das entspricht im Durchschnitt knapp 26 Fällen täglich. Am Neujahrstag schnellt die Fallzahl hingegen drastisch nach oben: Allein am 1. Januar 2023 wurden 117 neu aufgenommene Fälle mit der ICD W49.9 gezählt.
Im Jahresdurchschnitt 2022 waren 78,5 Prozent der Betroffenen männlich, rund 70 Prozent waren zwischen 18 und 64 Jahren alt. Am Neujahrstag 2023 waren 90,6 Prozent der Betroffenen männlich und rund 75 Prozent zwischen 10 und 39 Jahren alt.
Bei diesen Daten handelt es sich nach Angaben der DKG ausschließlich um Zahlen aus der stationären Versorgung. Die weit überwiegende Zahl der feuerwerksbedingten Verletzungen wird der DKG zufolge allerdings ambulant in den Notaufnahmen oder im niedergelassenen Sektor behandelt.
Die Fallzahlen der Notaufnahmen ließen sich nicht nach Diagnosen spezifiziert auswerten. schreibt die DKG. Insofern bildeten die Zahlen aus der stationären Versorgung lediglich einen Trend zur Belastung der Krankenhäuser durch feuerwerksbedingte Verletzungen ab.
Berichte aus den Notaufnahmen in der Silvesternacht bestätigen allerdings diesen Trend. „Die Zahlen bestätigen ein weiteres Mal das, was jede und jeder wissen sollte: Feuerwerk ist gefährlich und bietet erhebliches Verletzungspotential“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
Diese Verletzungen führten die Krankenhäuser in der Silvesternacht regelmäßig an den Rand des Ausnahmezustands. „Wir appellieren auch in diesem Jahr an diejenigen, die nicht auf Feuerwerk verzichten möchten, damit verantwortungsvoll umzugehen und die erheblichen Gefahren zu bedenken.“
Ärzte warnen, Bundesärztekammer für Böllerverbot
Auch die Bundesärztekammer (BÄK), Fachgesellschaften und Ärzteverbände warnen vor den Gefahren des Silvesterfeuerwerks und rufen die Politik zum Handeln auf. Die Bundesärztekammer setzt sich in einem bundesweiten Bündnis gemeinsam mit Umwelt- und Tierschutzorganisationen, Ärzteverbänden und Polizei für ein böllerfreies Silvester ein.
„Der Bund und die Innenminister der Länder sind gefordert, wenn sich zum Jahreswechsel erneut tausende Menschen durch Silvesterfeuerwerk schwer verletzen, wenn Ärztinnen und Ärzte, Rettungs- und Ordnungskräfte mit Knallkörpern bedroht oder tätlich angegriffen werden“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt mit Blick auf die mehrheitlich ablehnende Haltung der Innenminister, den privaten Gebrauch von Pyrotechnik zu verbieten.
Reinhardt forderte, dieses Thema nach dem Jahreswechsel erneut anzugehen. „Die besonders von Krawallen und Ausschreitungen mit Silvesterfeuerwerk betroffenen Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sollten eine entsprechende Vorlage erarbeiten“, so Reinhardt. Es sei ureigenste Aufgabe der Innenminister, für ein friedliches und sicheres Silvester zu sorgen. Die Minister sollten das Thmea auf die Tagesordnung ihrer nächsten Konferenz setzen.
Allein zum letzten Jahreswechsel habe es einen „verheerenden Höchststand von 838 Patientinnen und Patienten mit durch Silvesterböller bedingten Augenverletzungen“ gegeben, sagte der BÄK-Präsident. Das sei ein Anstieg um rund 300 im Vergleich zu den Jahren vor der Coronapandemie. „Die dokumentierten Augen-, Ohr-, Brand- und Handverletzungen gehen zusammengenommen in die Tausende. Besonders erschreckend ist, dass viele unbeteiligte Kinder und Jugendliche zu Opfern werden“, sagte Reinhardt.
„Auch dieses Jahr erwarten wir leider wieder Hunderte von tragischen Unfällen, die häufig Unbeteiligte und Kinder treffen“, sagte auch der Generalsekretär der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), Claus Cursiefen.
Die Fachgesellschaft empfiehlt, im Außenbereich Schutzbrillen zu tragen und Familien mit Kindern, im Haus zu bleiben. Seit 2016/2017 befragt die DOG jedes Jahr nach Silvester Augenkliniken, um die Zahl der Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper zu ermitteln. Wie die Umfrage zum Jahreswechsel 2022/2023 zeigte, mussten die Kliniken in den fünf Tagen um Silvester 838 Personen mit Augenverletzungen behandeln.
Wie in den Vorjahren auch, handelte es sich bei rund 60 Prozent der Betroffenen um Unbeteiligte, die das Feuerwerk nicht selbst zündeten. „Besonders besorgniserregend ist außerdem mit 40 Prozent der hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen unter den Verletzten“, sagte Ameli Gabel-Pfisterer, leitende Oberärztin für Augenheilkunde am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam.
Die DOG weist daraufhin, dass die Zahl der Verletzungen bei den Jahreswechseln in der Coronapandemie 2020/2021 um 86 Prozent und in 2021/2022 um 61 Prozent gesunken ist. „Verkaufsverbot und Versammlungsbeschränkungen haben sich als effektive Maßnahmen erwiesen, die Augenverletzungen zu reduzieren“, berichtete Hansjürgen Agostini, leitender Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik Freiburg.
„Der aktuelle Umgang mit Böllern in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht schädlich für die Menschen und das Gesundheitssystem. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dies so weiter fortzuführen“, sagte die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, und forderte ein Verbot von privatem Feuerwerk. „Es geht neben den zahlreichen Verletzungen durch Feuerwerk, die in den Notaufnahmen versorgt werden müssen, auch um die enorme Belastung durch Feinstaub und Lärm“, sagte sie.
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) wies darauf hin, dass besonders unter Alkoholeinfluss viele die Sicherheitsvorschriften beim Zünden von Böllern und Raketen missachteten. Oftmals entstünden Verletzungen auch durch nicht zertifizierte Billigfeuerwerkskörper.
„Die meisten großen Handverletzungen werden durch selbst gebastelte Böller verursacht. Am häufigsten sind Verletzungen eines oder mehrerer Finger sowie Hautverletzungen und tiefe Verbrennungen, die die berufliche Laufbahn der häufig jungen Patienten negativ beeinflussen und die lebenslang an diesen Tag erinnern werden“, sagte der DGH-Präsident Martin Langer. Dazu kämen Folgen von alkoholbedingten Stürzen: Knochenbrüche oder Scherben in den Händen.
„Die Silvesternacht ist einer der schwierigsten Dienste des Jahres. Anders als in den anderen Notaufnahme-Nächten konzentriert sich an Silvester alles auf wenige Stunden, in denen sich die Notfälle ereignen“, sagte der stellvertretende DGOU-Generalsekretär Dietmar Pennig.
Am Neujahrsmorgen folgt nach Angaben der Fachgesellschaften eine zweite Welle an Notfällen, wenn etwa Kinder und Jugendliche nicht abgebranntes Feuerwerk anzünden wollen und sich dabei verletzen.
Vor dem Verkaufsstart von Raketen und Böllern hat der Bundesverband Pyrotechnik einen rücksichtsvollen Umgang mit Silvesterfeuerwerk angemahnt und vor illegaler Ware gewarnt.
„Die Gebrauchsanweisung auf dem jeweiligen Feuerwerkskörper beachten, größtmöglichen Sicherheitsabstand wahren und bis nach dem Feuerwerk auf Alkohol verzichten – das ist das kleine Einmaleins des Silvesterfeuerwerks“, erklärte der Verbandsvorsitzende Ingo Schubert gestern. Auch „Respekt vor Tieren, älteren Menschen sowie Rettungskräften sollte selbstverständlich sein“.
Er appellierte an Böllerfans, nur behördlich geprüfte und zugelassene Feuerwerkskörper im Fachhandel zu kaufen. Dank strenger Prüfungen und Kontrollen durch deutsche und EU-Behörden gingen von dieser Ware „keine großen Risiken aus“. Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk startet heute. Er ist gesetzlich auf die letzten drei Werktage des Jahres beschränkt und da Silvester auf einen Sonntag fällt, beginnt er bereits am 28. Dezember.
„Finger weg von illegalem Feuerwerk!“, mahnte der Verband zudem. Die darin verwendeten Substanzen und Mengen „sind mitunter brandgefährlich und bergen ein großes Verletzungsrisiko“, warnte Schubert. Verletzungen durch Feuerwerk machen dem Verband zufolge nur rund fünf Prozent der Krankenhausfälle in der Silvesternacht aus. „Der größte Teil davon, insbesondere schwerer Verletzungen, dürfte auf illegales Feuerwerk zurückgehen.“
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