Patienten akzeptieren laut Studie lange Fahrtwege für gute Qualität in Kliniken

Berlin – In die Debatte um Methodiken und Analysemöglichkeiten zur Planung von künftigen Krankenhausstandorten hat das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) ein neues Tool vorgelegt. Mit der entwickelten Methodik wurde das Interesse von Patientinnen und Patienten integriert, besonders der Punkt Fahrtweg zum nächsten Krankenhaus und sowie gute Versorgungsqualität.
Das kasseneigene Forschungsinstitut analysierte in einem ersten Schritt die Versorgung bei Lungenkrebsoperationen und kommt zu dem Schluss: „Für eine optimale Versorgung sind in Deutschland aus Patientensicht nur 19 der derzeit 142 behandelnden Krankenhäuser erforderlich.“
Für die Thoraxchirurgie bei Lungenkrebs gibt es seit 2022 eine Mindestmenge, die in Höhe von 75 pro Klinik ab 2025 in Kraft getreten ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ging in seiner Entscheidung 2021 davon aus, dass durch die Mindestmenge sich die Leistung auf etwa 90 Standorte konzentrieren werde.
Patienteninteresse Fahrtzeit und Versorgungsqualität berücksichtigt
Grundlage der Überlegungen ist die Entwicklung einer Analysemöglichkeit, die das Forschungsinstitut „wohlfahrtbasierte Versorgungsplanung“ nennt. Dabei wird versucht, die Erreichbarkeit von Krankenhäusern, die in der Debatte um Standorte immer ein wichtiger Faktor ist, in Relation zu einer möglichst hohen Qualität der Versorgung zu bringen.
Um die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten in der künftigen regionalen Krankenhausplanung besser zu berücksichtigen, wurden 1.000 Menschen befragt, wie wichtig ihnen die Entfernung zu einer Klinik in Relation zur Qualität der Versorgung an dem Ort ist. Dabei wurde festgestellt, dass Menschen bereit sind, über 60 Minuten zu einer Klinik zu fahren, wenn dort die Ein-Jahres-Überlebensrate höher ist. Ist der Anfahrtsweg schon deutlich über 120 bis 240 Minuten, nimmt die Bereitschaft spürbar ab, noch länger zu der nächstbesten Klinik zu fahren.
Mit der vorgestellten Analyse, die bislang für die planbare OP bei Lungenkrebs angewendet wurde, wurden insgesamt 68,5 Millionen Szenarien errechnet, wie Kliniken im Land verteilt werden könnten. Bei den besten 1.000 Szenarien wurde festgestellt, dass es zu erheblichen „Wohlfahrtsverbesserungen“ führen würde, wenn es künftig 15 bis 22 Standorte geben würde. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ein Jahr nach der OP würde sich damit von 89,1 Prozent auf 93,6 Prozent erhöhen. Dafür wäre eine zusätzliche durchschnittliche Fahrzeit von etwa 14 Minuten notwendig, heißt es in der Analyse.
„Das wohlfahrtbasierte Modell zur Ermittlung von Krankenhausstandorten richtet die Versorgungsplanung erstmals konsequent an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten aus. Es ist eine Blaupause für eine moderne patientenzentrierte Bestimmung von stationären Standorten“, erklärte der Vorstandsvorsitzender der Barmer, Christoph Straub.
Nutzung von Planungsinstrumenten sollen ins Gesetz
Über die politische Sprengkraft der Analysen ist er sich bewusst: „Die Auswirkung klingt im ersten Moment weitreichend: Von 142 Krankenhäusern auf einen Korridor von 15 oder 22 Häuser in der Thoraxchirurgie. Aber das ist genau die Aufgabe, vor der die Politik jetzt steht. Die Qualität lässt sich nachweislich durch eine Konzentration steigern“, erklärt er auf Nachfrage bei der Vorstellung der Analyseergebnisse.
Mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen hält er es für falsch, weiterhin auf Vergütungssysteme als Steuerungselement zu setzen. „Ein Vergütungssystem wird nie die Strukturen so verändern, wie der Gesetzgeber es schon mehrfach versucht hat“, so Straub. Allerdings: „Der Bundesgesetzgeber kann aber ins Gesetz schreiben, dass Planungsinstrumente genutzt werden müssen, die wirklich Strukturveränderungen durchsetzen. Der Bundesgesetzgeber könnte damit beispielsweise den G-BA beauftragen.“
Auch Uwe Repschläger, Geschäftsführer des Institutes für Gesundheitssystemforschung bei der Barmer, sieht die bisher vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Mindestmengen als wichtigen Meilenstein in der Planung. „Die Festlegung von Mindestmengen ist ein Beleg dafür, dass der Zusammenhang von ‚Menge‘ und ‚Qualität‘ inzwischen nicht mehr bestritten wird. Eine weitere Konzentration von einer Reihe von Leistungen ist daher sinnvoll. Wichtig ist dabei, dass die dauerhafte Unterschreitung von Mindestmengen zu Konsequenzen führt", sagt Repschläger. „Der Politik fehlt die Kraft und vor allem eine geeignete Methodik für eine rationale Planung.“
Das Konzept des Institutes der Barmer wurde zunächst für die Thoraxchirurgie bei Lungenkrebs entwickelt – in der Zukunft könnten die Wissenschaftler auch weitere Felder, beispielsweise bei der Hüft- und Gelenkchirurgie oder auch der Viszeralchirurgie, analysieren.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit:
1