Politik

Personalisierte Medizin: „Das Zeitalter der klassischen Arzneimittelstudien ist vorbei“

  • Mittwoch, 19. Juni 2024
/Mopic, stock.adobe.com
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Berlin – Das Zeitalter der klassischen randomisierten, doppelt verblindeten Arzneimittelstudie ist vorbei. Das meinte der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, gestern in Berlin auf dem Jahreskongress des Deutschen Netzwerks für Personalisierte Medizin (DNPM) im Hinblick auf die personalisierte Medizin. „Wir kommen hier in Patientengruppen und in Behandlungssituationen hinein, in denen es zu wenige Patientinnen und Patienten gibt, um eine klassische Studie durchzuführen“, sagte Hecken. „Wir haben hier eine Situation, bei der ich es unanständig fände, vergleichende Studien zu fordern.“

Hecken sprach sich für einen neuen Ansatz aus, um die Evidenz, die in der personalisierten Medizin generiert wird, zu messen und die entsprechenden Arzneimittel in die Versorgung zu bringen. Er schlug vor, jeden Patienten, der im Rahmen der personalisierten Medizin behandelt wird, in ein Register aufzunehmen, in dem alle Daten automatisch gespeichert werden. Zuvor sollen, zum Beispiel von den Fachgesellschaften, Endpunkte für diese Therapie definiert werden. Die entsprechenden Arzneimittel sollen nur in bestimmten Zentren verordnet werden dürfen.

„Auf diese Weise haben wir innerhalb einiger Jahre belastbare Daten, zum Beispiel über die Mortalität der Patienten“, erklärte Hecken. So könne man einen geordneten Pfad bestimmen, um die Evidenz, die im Rahmen der personalisierten Medizin zum Beispiel bei der Genomsequenzierung generiert wird, in die Patientenversorgung zu bekommen. Eine Konzentration der Behandlung auf Zentren ermögliche dabei die Gewährleistung einer guten Diagnosequalität und eines guten Nebenwirkungsmanagements.

Zentren für Personalisierte Medizin

Personalisierte Medizin in der Onkologie bedeutet für das DNPM, die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt für die Patientinnen und Patienten zu finden. In den Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) wird dabei in der molekularen Diagnostik nach molekularen Besonderheiten der individuellen Erkrankung einer Patientin oder eines Patienten gesucht. Basierend auf diesen individuellen Besonderheiten wird im Rahmen der Molekularen Tumorboards dann nach einer passenden Behandlung gesucht, die gezielt die Krebszellen der Patienten bekämpfen soll.

Das DNPM ist eine Kooperation von 26 Universitätsklinken in Deutschland, die gemeinsam die medizinische Versorgung und Lebensqualität von Betroffenen einer fortgeschrittenen oder seltenen Krebserkrankung in Deutschland verbessern wollen. Hierzu werden an allen Standorten Zentren für Personalisierte Medizin gegründet, die zusammen mit den bereits bestehenden ZPM in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm das DNPM bilden. Ziel des Netzwerks ist es, Betroffenen transparente und vereinheitlichte Zugangswege zur personalisierten Medizin zu ermöglichen.

„Ich halte das für unethisch“

Hecken betonte, dass eine Kostenersparung mit der personalisierten Medizin nicht zu erwarten sei, da ein hochkomplexes Therapiekonzept ein um ein Vielfaches höheres Preisniveau habe. „Trotzdem ist es eine ethische Verpflichtung, die Patientinnen und Patienten zielgenau zu identifizieren, die von einer personalisierten Medizin profitieren können“, meinte Hecken. Der medizinisch-technische Fortschritt, der zu einer Chronifizierung bestimmter Krankheiten führe, die zuvor tödlich waren, werde die Entwicklung hin zu höheren Ausgaben beschleunigen.

Es würde zu einer Diskussion darüber kommen, ob man jedem Patienten eine personalisierte Medizin in der Last-Line-Therapie zu jedem Preis anbieten könne oder ob man überlegen müsse, wie man mit einer bestimmten Menge Geld den größtmöglichen Nutzen für alle Patienten generieren könne. „Ich halte Letzteres für unethisch“, sagte Hecken.

Immense Herausforderungen

Peter Schirmacher, Ärztlicher Direktor der Allgemeinen Pathologie und Pathologischen Anatomie am Universitätsklinikum Heidelberg, erklärte auf dem Kongress, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Bereich der personalisierten Medizin viel erreicht worden sei. Immense Herausforderungen im Bereich der Diagnostik ständen aber noch bevor. „Um die Diagnostik auf dem derzeitigen Stand der Entwicklung durchführen zu können, müssen wir alle 18 bis 24 Monate in neue Geräte investieren“, sagte er. Zudem sei es eine Herausforderung, das hochspezialisierte Personal zu bekommen, das man für die personalisierte Medizin brauche. Wichtig seien zudem IT-Strukturen, mit denen die generierten Daten weitergegeben werden könnten.

„Es wird einen Konzentrationsprozess hin zu Zentren geben, die die notwendige Infrastruktur für die personalisierte Medizin besitzen“, sagte Schirmacher. „Dieser Prozess muss unterstützt werden.“ Darüber hinaus sei es wichtig, niedrigschwellige Studienoptionen zu schaffen, bei denen die Daten aus den Registern herausgespielt werden könnten. Das werde entscheidend für den Erfolg der personalisierten Medizin sein.

fos

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